
Fazil Say: Complete Violin Works - Friedemann Eichhorn, Fazil Say, Deutsche Radio Philharmonie, Christoph Eschenbach
Ein vielschichtiger Komponist
Label/Verlag: Naxos
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Fazıl Say und seine Werke für Violine in einer soliden Einspielung.
Die Violinmusik von Fazıl Say (*1970), darunter zwei stürmisch wilde Sonaten für Violine und Klavier, das Einzelwerk 'Cleopatra' op. 34 sowie das bekannte Violinkonzert '1001 Nights in the Harem', ist überwältigend, eigenartig, zwischen Orient und Okzident wandelnd. Diese Werke verstören und haben zugleich orientalische Magie, aber sind auch ganz Kind unserer hektischen, abnormalen Zeit. Neu eingespielt für Naxos hat sie der deutsche Geiger Friedemann Eichhorn (*1971), in den kammermusikalischen Werken zusammen mit dem Komponisten am Klavier, andererseits mit der Deutschen Radiophilharmonie Saarbrücken Kaiserslautern. Ob es wirklich eine Referenzaufnahme geworden ist, wie Say es sich gewünscht hat, ist eindeutig zu verneinen, denn Patricia Kopatchinskajas Version des Violinkonzerts zusammen mit dem Luzerne Sinfonieorchester ist geigerisch allemal ansprechender und vitaler, auch im Orchester präsenter.
Kurzatmige Phrasen
Seine erste Sonate für Violine und Klavier op.7 aus dem Jahre 1997 hat Say bereits im März 2003 im Berliner Teldex Studio schon einmal mit dem französischen Geiger Laurent Korcia bei Naïve eingespielt und das war wirklich eine sehr gute Aufnahme. Warum also muss jetzt noch einmal eine Neueinspielung dieser Sonate, die keine nennenswerten interpretatorischen Vorteile bringt, herauskommen? Die erste Sonate schlägt einen Bogen durch das Leben des türkischen Komponisten. Er selbst bezeichnete sie in einem älteren Booklet einmal als Selbstportrait. Das Perpetuum-Mobile-Presto (3.) lebt von unbändiger Motorik und jazziger Akkordik im Klavier. Leider ist die Klangeinstellung der Violine fisseliger in der Neuaufnahme, was zu einer schrilleren Geräuschkulisse führt. Die alte Berliner Aufnahme ist klanglich viel besser eingestellt, hat auch mehr Nerv, was die Künstler betrifft: Die Interpreten sind halt rund 20 Jahre jünger dort. Auch im 4. Satz 'Anonym: Andante', damals noch 'sans titre' überschrieben, ist im Vergleich zu Eichhorn Laurent Korcia der bessere Spieler. Die Wirkung des gezupften, gedämpften Klaviers war damals sensationell, heute ist das alles schon etwas abgegriffen und wirkt wie ein Neuaufguss vergangener Tage. Korcia vermittelt in Introduktion und Epilog – die identisch sind – das Gefühl von Melancholie und Nostalgie, was Eichhorn zum Aufnahmezeitpunkt 2019 in Saarbrücken nicht rundum gelingen mochte. Seine Phrasen sind da zu kurzatmig und in den hohen Flageoletttönen vermag er nicht zu zaubern. Say spielt auch verändert, was seinen Pedalgebrauch angeht. Dadurch geht viel Atmosphäre verloren. Im vorliegenden Werk ist die Neuaufnahme wirklich keine Verbesserung!
Die zweite, neue Sonate 'Mount Ida' (Kazdaği/Kaz Dağlari) stellen Eichhorn und Say an den Anfang ihrer neuen Platte. Sie wurde extra für Eichhorn 2019 geschrieben. Das ‚Massaker an der Natur‘ in Form von großen Umweltzerstörungen durch eine dort am Berg befindliche Goldmine rückt da in den Fokus. Daraus erklärt sich auch der verstörende, presslufthammerartige Beginn am Klavier, der mit klanglich undefinierbaren perkussiven Schlägen in Subkontrabasstiefe anhebt. Zitiert wird hier auch Says Klavierwerk 'Black Earth', wo die ‚Verzweiflung über den Verlust der Geliebten‘ thematisiert wird. Dieses Spiel mit Zitaten ist gekonnt und virtuos und zeichnet Say als klugen, vielschichtigen Komponisten aus, der von seinen Hörern erwartet, dass sie seine Werke kennen. Der erste Satz ist monumental angelegt, schwelgt geigerisch hier und da, ist aber letztlich doch sehr unausgegoren. Bartók-Pizzikati würzen die Musik, die aber doch vorwiegend verstören will. Die beiden Musiker geben sich alle Mühe, den Schrecken der Umweltzerstörung hörbar zu machen. Politisch ist das Album also hochaktuell, ästhetisch gesehen aber doch anstrengend zu hören. In der eingeschobenen Kadenz wirkt der Geiger verloren, Unisono-Oktaven, später wieder die ‚pochenden Töne aus der Herzkammer‘ am Klavier, erzeugen eine feindselige Grusel-Kulisse. Das ist Musik als Thriller.
Exzellenter Anschlag
Der zweite Satz ist den Vögeln gewidmet: 'Wounded Bird' ist er überschrieben und Friedemann Eichhorn ahmt faszinierend die Klänge von zwitschernden Vögeln nach. Das ist sehr gelungen. Der dritte Satz 'Rite of Hope' ist wieder ein sehr motorischer Satz, der geigerisch nicht so viel Ausdrucksmöglichkeit bietet. Natürlich ist das hier alles sehr exakt musiziert, bietet aber emotional nicht so viel Spielraum. Man möchte das eher als Filmmusik bezeichnen, auch wegen der seichten Klänge am Klavier. Say spielt immer noch topsortiert am Klavier, er differenziert dynamisch gut und hat einen exzellenten Anschlag. Dieser CD fehlt aber die Abwechslung zwischen Violin- und Klaviersolomusik, die früher seine Einspielungen auszeichneten. Ein echter Say dafür ist sein kurzes Auftragswerk 'Cleopatra' op. 34 für Violine solo. Er komponierte es für den Internationalen Violinwettbewerb Henri Marteau 2011, wo es als Pflichtstück gespielt wurde, und Anspielungen an Marteaus 'Caprice' Nr. 10 enthält. Natürlich spielt das Werk auch wieder mit Klängen des Orients, die Eichhorn in bezaubernder Manier vorzutragen versteht.
Bleibt noch Says Violinkonzert op. 25 aus dem Jahr 2007. Es ist mit seinen vier Sätzen ein ausgewachsenes Opus, welches den Beinamen '1001 Nights in the Harem' trägt und dadurch ebenfalls seine Exzentrik unterstreicht. Die Mythen und Phantasien, die sich um den Harem der osmanischen Sultane ranken, sind bis heute im kollektiven Gedächtnis verankert: Das Geheimnisvolle an diesen Orten findet sich auch in diesem Violinkonzert wieder. Ausdruck findet dieses Fremde in der oft verwendeten arabischen Tonfolge, ungewohnter Rhythmik und vielen klanglichen Überraschungsmomenten. Befeuert wird der Eindruck durch eine völlige perkussive Durchdringung: Die Schlagwerker der Deutschen Radiophilharmonie Saarbrücken Kaiserslautern leisten hier ganze Arbeit unter dem exakten Dirigat des Maestro Christoph Eschenbach, der hier trotz hohen Alters den vollständigen Durchblick behält und wirklich Spaß an der Musik zu haben scheint. Eichhorn formt die Unterschiedlichen musikalischen Perspektiven dieses Konzertes selbstsicher und professionell. Besonders gefällt sein lyrisches Credo im dritten Satz 'Andantino', welches das türkische Volkslied 'Kâtibim' zitiert, was ein bisschen in seinem Seelenschmerz an die israelische Nationalhymne 'haTikwa' erinnert. Allerdings schafft der Solist es kaum, an die so passionierte Aufnahme Patricia Kopatchinskajas vom Februar 2008 im Luzerner KKL heranzureichen, bei der die Violine auch plastischer abgebildet ist.
Fazit: Die Naxos-Neuaufnahme der Violinwerke von Fazıl Say bietet die Gelegenheit, alle Werke für Violine des Komponisten zusammen auf einer CD zu erwerben, frühere Aufnahmen bieten aber die besseren, leidenschaftlicheren Interpretationen und mehr klangliche Genüsse.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Fazil Say: Complete Violin Works: Friedemann Eichhorn, Fazil Say, Deutsche Radio Philharmonie, Christoph Eschenbach |
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Label: Anzahl Medien: |
Naxos 1 |
Medium:
EAN: |
CD
747313408573 |
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Naxos Als der Unternehmer Klaus Heymann 1982 für seine Frau, die Geigerin Takako Nishizaki in Hongkong das Plattenlabel Marco Polo gründete, war dies der Beginn einer beispiellosen Erfolgsgeschichte. Fünf Jahre später rief Heymann das Label NAXOS ins Leben, das in der Klassikwelt längst zur festen Größe geworden ist und es bis heute versteht, hohe Qualität zu günstigen Preisen anzubieten. Der einzigartige und sich ständig erweiternde Katalog des Labels umfasst mittlerweile über 8.000 CDs mit mehr als 130.000 Titeln - von Kostbarkeiten der Alten Musik über sämtliche berühmten "Klassiker" bis hin zu Schlüsselwerken des 21. Jahrhunderts. Dabei wird der Klassik-Neuling ebenso fündig wie der Klassikliebhaber oder -sammler. International bekannte Künstler wie das Kodály Quartet, die Geigerin Tianwa Yang, der Pianist Eldar Nebolsin und die Dirigenten Marin Alsop, Antoni Wit, Leonard Slatkin und Jun Märkl werden von NAXOS betreut. Darüber hinaus setzt NAXOS modernste Aufnahmetechniken ein, um höchste Klangqualität bei seinen Produktionen zu erreichen und ist Vorreiter in der Produktion von hochauflösenden Blu-ray Audios - Grund genug für das renommierte britische Fachmagazin "Gramophone", NAXOS zum "Label of the Year" 2005 zu küren. Auch im digitalen Bereich nimmt NAXOS eine Vorreiterrolle ein: Bereits seit 2004 bietet das Label mit der NAXOS MUSIC LIBRARY ein eigenes Streamingportal mit inzwischen über 1 Million Titel an und unterhält mit ClassicsOnline zudem einen eigenen Download-Shop. Mehr Info... |
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