
J.S.Bach: Toccatas - Masaaki Suzuki, Cembalo
Interessantes vom Rande
Label/Verlag: BIS Records
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Schritt für Schritt durchmisst Masaaki Suzuki Bachs Cembalo-Kosmos mit den Toccaten BWV 910 bis 916 herausragend auch in Werken, die weniger im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen und doch ganz und gar Bach sind.
Zu den sieben Toccaten BWV 910 bis 916, wohl Bachs Weimarer Zeit zuzurechnen, ist wenig Gesichertes über Herkunft und Ziel bekannt. In ihrer gleichsam durchkomponierten Mehrsätzigkeit weisen sie sämtlich einen stringenten Zug auf und knüpfen sehr klar an die Ideen des ‚Stylus phantasticus‘ an, der für die Umsetzung auf Tasteninstrumenten kaum etwas als unmöglich ansah und einen freiest denkbaren Zugriff als Grundlage hatte. Etwas, das der gelehrte und neben anderen Berufungen auch musiktheoretisch bewanderte Jesuit Athanasius Kircher als Methode bezeichnete, ‚die an nichts gebunden ist, weder an Worte noch an ein harmonisches Thema. Sie ist organisiert um Erfindungen, den verborgenen Grund der Harmonie, und geniale, geschickte Verbindungen von harmonischen Phrasen und Fugen zu manifestieren.‘
Virtuosität also, in stark kontrastierenden Gesten, gerade im affektiven Gegensatzpaar von der Freiheit der einleitenden Toccaten und dem finalen Eindruck durchaus streng gebauter Fugen. In zwei bis vier Sätzen vollziehen sich diese klar umschriebenen Ausdruckssphären; neben perlender bis prasselnder Geläufigkeit ist ebenso lyrischer Edelsinn zu hören: effektvolle Stücke von frühvollendeter Stimmigkeit. Philologisch ist der Befund heterogen, gibt es eine zwar breite, aber dafür nicht immer klare Überlieferung, jedenfalls kein Manuskript von Bachs eigener Hand. Im Booklettext arbeitet Yo Tomita dieses Thema akribisch auf, die Einordnung der Werke in das Schaffen Bachs, der analytische Blick auch im Vergleich komponierender Zeitgenossenschaft tritt dahinter etwas zurück.
Meisterlich
Diese sieben Toccaten stehen nicht im Zentrum der Bach rezipierenden Tastenkünstler. Dennoch findet sich eine Reihe hochkarätiger Einspielungen, von Glenn Gould über Angela Hewitt bis zu Blandine Rannou, Mahan Esfahani oder Pieter-Jan Belder – hochstehende Klavieristik in jedem Fall, ob nun historisch umfassend informiert oder eher am Rande mit diesem Aspekt befasst. Masaaki Suzuki tritt jetzt beim Label BIS auf einer hybriden SACD in diese Reihe. Er ist, das kann man einleitend sagen, ein kompletter Meister des Cembalos. In den vergangenen Jahren hat er diese Seite seiner Künstlerschaft wieder sehr viel deutlicher profiliert. Einen Aspekt, der auch zuvor, in der Zeit der großen Anstrengungen bei den Aufnahmen des vokalen Bach mit dem Bach Collegium Japan, jedem klar sein musste: Masaaki Suzuki ist ein perfekt ausgebildeter, manuell und mit Blick auf die Fähigkeit zu kluger Disposition interpretatorischer Möglichkeiten zweifellos hochbegabter Cembalist und Organist. Zuletzt zeugten famos gelungene Englische Suiten von Bach davon, schon zuvor war er mit etlichen klingenden Veröffentlichungen zu Bachs Cembalo-Kosmos hervorgetreten. Auch im Programm der aktuellen Platte, in etwas abseitiger Szenerie und toccatenhaft vergrößerter Freiheit des Zugriffs, zeigt er sich als unumschränkter Souverän und veritabler Könner, formal in jeder Hinsicht unangefochten, dazu mit lodernder Leidenschaft für die Musik.
Perfekte Balance
Es werden Tempi von enormer Varianz durchmessen, Suzuki hat und nimmt sich alle Freiheiten. Auch dynamisch wird, anders als Verächter des Instruments argwöhnen könnten, eine erstaunliche Bandbreite präsentiert – gewissermaßen alles, was im Instrument steckt. Und das ist bei diesem 1982 von Willem Kroesbergen realisierten Nachbau eines Ruckers-Cembalos nicht wenig: Es verfügt über ein gerundetes Volumen, sonor im Einzelton wie im Zusammenklang, alle Register sind gleichermaßen präsent – das Instrument wirkt insgesamt ausgesprochen leichtgängig und harmonisch komponiert. Artikulatorisch ist alles zu erleben, was mit einem hochklassig gebauten und gespielten Cembalo möglich ist: kleinteilig aktiviertes Spiel, bereichert um kraftvoll-akkordische Akzente, dazu feine lyrische Momente. Das Klangbild ist hochkonzentriert und klar, wirkt relativ nah mikrofoniert und schafft dennoch das Kunststück, eine räumliche Anmutung zu evozieren. Zudem bietet es all der Energie, die Suzuki investiert, eine perfekte Balance.
Masaaki Suzuki spielt sich in der ersten Reihe der historisch informierten Bach-Cembalisten unserer Tage ‚fest‘: Schritt für Schritt durchmisst er diesen Kosmos, jetzt wiederum herausragend in Werken, die weniger im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen und doch ganz und gar Bach sind.
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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J.S.Bach: Toccatas: Masaaki Suzuki, Cembalo |
|||
Label: Anzahl Medien: |
BIS Records 1 |
Medium:
EAN: |
CD SACD
7318599922218 |
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Bach, Johann Sebastian |
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BIS Records Most record labels begin with a need to fill a niche. When Robert von Bahr founded BIS in 1973, he seems to have found any number of musical niches to fill. The first year's releases included music from the renaissance, Telemann on period instruments, Birgit Nilsson singing Sibelius and works by 29 living composers - Ligeti and Britten as well as Rautavaara and Sallinen - next to Purcell, Mussorgsky and Richard Strauss. A musical chameleon was born, a label that meant different things to different - and usually passionate - devotees. Mehr Info... |
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