> > > Musik aus Schloss Wolfenbüttel IV: Weser-Renaissance, Manfred Cordes
Montag, 4. Dezember 2023

Musik aus Schloss Wolfenbüttel IV - Weser-Renaissance, Manfred Cordes

Passion erzählt


Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Passionen zwischen Schütz und Bach? Ja, die gab es. Johann Theile mit einem sehr schönen Beispiel für Entwicklungen und Tendenzen. Weser-Renaissance Bremen und Manfred Cordes setzen ihre Reihe mit Musik aus Wolfenbüttel gelungen fort.

In der vierten Folge der Reihe mit 'Musik aus Schloss Wolfenbüttel', die Manfred Cordes und sein Ensemble Weser-Renaissance Bremen beim Label cpo realisieren, steht die Matthäus-Passion von Johann Theile im Mittelpunkt. Theile war von 1685 bis 1689 Hofkapellmeister in Wolfenbüttel, hatte zuvor Stationen unter anderem in Lübeck und seit 1673 am herzoglichen Hof in Schleswig-Holstein-Gottorf absolviert. Im Moment des Antritts seiner Stelle ebendort erschien in Lübeck seine Matthäus-Passion – die Verbindung mit seinem späteren Amtieren in Wolfenbüttel ist also nur mittelbar.

Zu hören ist in knapp einer Stunde Spielzeit ein grundsätzlich konzentrierter Evangelienbericht, jedoch in zwei als 'Actus' bezeichneten Abteilungen zu je vier quasi dramatischen Szenen zusammengebunden. Einige dieser Szenen warten an ihrem Ende mit einem als 'Aria' bezeichneten Satz auf, der auf frei gedichteten Textanteilen beruht und schlicht, beinahe liedhaft gehalten ist. Funktional, mit Blick auf das biblische Geschehen, sind diese Arien ihren späteren Verwandten durchaus ähnlich: Die gläubige Seele sinniert über das Passionsgeschehen, sie zweifelt und hadert, sie bittet und hofft. Gleichzeitig scheint hier mit der Schlichtheit des Tons und der Regelmäßigkeit der Gliederung auch die Sphäre des Choralen angesprochen, die zum Beispiel in Bachs Passionen später eine so große Rolle spielen sollte. Die vokalen Linien des Evangelisten wie der anderen Akteure werden von einem gambensatten Streicherensemble begleitet, lebendig, alles Karge meidend, das noch in Schütz‘ Passionen so prägend war. Einige Turba-Abschnitte haben ein schärfer hervorgehobenes Profil.

Genau der richtige Ton

Manfred Cordes hat für dieses Projekt vokale Protagonisten von Format versammelt: Den Evangelisten singt der Tenor Hans Jörg Mammel, der das Geschehen mit mild dramatischem Erzählton vorantreibt und in Bewegung hält. Dominik Wörner singt mit seinem famosen Bass einen Christus, der das emotionale Kraftzentrum der Erzählung ist. Die weiteren Solisten – die Soprane Marie-Luise Werneburg und Johanna Bookmeyer, der Altus David Erler, der Tenor Christian Volkmann und der Bass Joachim Höchbauer – formen den kleinen, agilen, durchaus wandlungsfähigen Chor und verleihen den Partien der Soliloquenten Format.

Das Instrumentalensemble ist mit zwei Violinen, drei Gamben, Orgel und Chitarrone besetzt: eine exquisite Kammerformation mit delikatem Grundklang, transparent und doch sonor. Vor allem in der Begleitung des Evangelistenberichts wird durch die fortwährende Präsenz der Gamben die Mittellage deutlich betont; die Violinen krönen diesen Grundklang bei den Christus-Worten. Die echte Bass-Sphäre ist mit Orgel und Chitarrone zwar vorhanden, aber wenig manifest – diese Transparenz, dieses Moment des Gespinsthaften ist ein eigener Reiz der Konstellation. In den Arien werden die instrumentalen Ritornelle köstlich gezeichnet. Manfred Cordes lässt das Geschehen frei fließen, der syllabisch vertonte Bibeltext wurde von Theile gelegentlich auf sehr knappem Raum untergebracht – ein Parlando, das manch neuralgischem Punkt Wucht und Wirkung zu nehmen Gefahr läuft. Die Arien sind umso entspannter ausmusiziert. Der Text wird ganz einfach erzählt: ungekünstelt, ohne besonderes Wollen – Musik aus dem Herzen der Sprache heraus entfaltet. Dazu liefert die Stiftskirche zu Bassum als bewährter Aufnahmeort des Ensembles Struktur und Balance, Transparenz und Raum.

Passionen zwischen Schütz und Bach? Ja, die gab es. Johann Theile mit einem sehr schönen Beispiel für Entwicklungen und Tendenzen. Weser-Renaissance Bremen und Manfred Cordes setzen ihre Reihe mit Musik aus Wolfenbüttel gelungen fort.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Musik aus Schloss Wolfenbüttel IV: Weser-Renaissance, Manfred Cordes

Label:
Anzahl Medien:
cpo
1
Medium:
EAN:

CD
761203528523


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Theile, Johann
 - Passio Domini nostri Iesu Christi - Actus I
 - Passio Domini nostri Iesu Christi - Actus I
 - Passio Domini nostri Iesu Christi - Actus I
 - Passio Domini nostri Iesu Christi - Actus I
 - Passio Domini nostri Iesu Christi - Actus I
 - Passio Domini nostri Iesu Christi - Actus II
 - Passio Domini nostri Iesu Christi - Actus II
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 - Passio Domini nostri Iesu Christi - Actus II
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Dirigent(en):Cordes, Manfred


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cpo

Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
Besonders stolz macht uns dabei, daß cpo - 1986 gegründet - in Rekordzeit in die Spitze vorgestoßen ist. Das Geheimnis dieses Erfolges ist einfach erklärt, wenn auch schwierig umzusetzen: cpo sucht niemals den Kampf mit den Branchenriesen, sondern füllt mit Geschick die Nischen, die von den Großen nicht besetzt werden, weil sie dort keine Geschäfte wittern. Und aus mancher Nische wurde nach einhelliger Ansicht der Fachwelt mittlerweile ein wahres Schmuckkästchen.
Am Anfang einer Repertoire-Entscheidung steht bei uns noch ganz altmodisch das Partituren-lesen, denn nicht alles, was noch unentdeckt ist, muß auch auf die Silberscheibe gebannt werden. Andererseits gibt es - von der Renaissance bis zur Moderne - noch sehr viele wahre musikalische Schätze zu heben, die oft näher liegen, als man meint. Unsere großen Werk-Editionen von Pfitzner, Korngold, Hindemith oder Pettersson sind nicht umsonst gerühmt worden. In diesem Sinne werden wir fortfahren.
Letztendlich ist unser künstlerisches Credo ganz einfach: Wir machen die CDs, die wir schon immer selbst haben wollten. Seien Sie herzlich zu dieser abenteuerlichen Entdeckungsfahrt eingeladen!


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