
Mondnacht - Werke für Chor a cappella - NDR Chor, Philipp Ahmann
Beide Schumanns und mehr
Label/Verlag: Es-Dur
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Eine schöne Schumann-Chorplatte, Robert und Clara mit Bemerkenswertem. Dazu Killmeyer als romantischer Kommentar gemäßigter Moderne. Der NDR Chor ist eine agile Formation, die Philipp Ahmann in seiner Hamburger Zeit in die Repertoire-Breite geführt hat.
Romantisch wird es auf der aktuellen Platte des NDR Chors und seines langjährigen Chefdirigenten Philipp Ahmann, der seit Anfang 2020 beim Leipziger MDR-Rundfunkchor in der Verantwortung steht: Schumann, Clara und Robert, dazu, als zeitlich verspätete, aber ästhetisch tatsächlich eng verwandte Stimme, Wilhelm Killmeyer. Vor allem Robert Schumann wird mit seiner ebenso klangfrischen wie sensitiven Chormusik in einem schönen Panoramablick erkundet: Am Beginn stehen 'Vier doppelchörige Gesänge' op. 141, in denen die Musik in vorbildlicher Balance von harmonischer Ambition und leicht fasslichen Linien ruht, im schlüssigen Wechsel von kompaktem Satz und durchbrochenen Wirkungen. Danach folgen 'Romanzen für Frauenstimmen und Klavier ad libitum' op. 69, die leichter in der Anmutung sind, luftig-wehend zwischen der 'Tamburschlägerin', dem 'Waldmädchen' und der 'Soldatenbraut'. Direkt im Anschluss folgt ein kleiner, nur drei Sätze umfassender Zyklus von Clara Schumann – ganz schlicht 'Drei gemischte Chöre' betitelt. Auf Texte von Emanuel Geibel entfaltet sich bruchlos in Qualität und Anspruch ganz zauberhafte Musik, stimmungssatt und in der linearen Erfindung mit außerordentlichem Gewicht.
Schumann-Nähe
Danach, ebenfalls im Zentrum des Programms, steht der achtteilige Zyklus '...wie in Welschland lau und blau...' für Männerchor a cappella von Wilhelm Killmeyer (1927-2017). Es war vielleicht nicht nur Killmeyers selbst bezeugte Schumann-Nähe, die ihn zu einem veritablen Beispiel für wirkungsvollen Männerchorsatz der Gegenwart hat werden lassen – die Sammlung entstand 1995-1997 im Auftrag des 'Kissinger Sommers' für das Renner Ensemble Regensburg. Die Eichendorff-Texte lassen die inhaltliche Grundlage fast romantischer sein, als sie es bei Robert Schumann war, bei dem auch viel Klassik um Goethe zu hören ist, dazu Nachromantisches von Mörike oder Rückert. Killmeyer emanzipiert sich in seinen Chorliedern behutsam, schrittweise von der Welt Schumanns, nachdem er mit seinem beinahe affirmativen Entree 'Heimweh' fast schon zu direkt an deren Idiom angeknüpft hatte. Allmählich werden Strukturen, Schemata und Tonalität unklarer: Zwar bleiben tatsächlich avancierte Gesten aus, doch wird eine eigene kompositorische Stimme in diesem genuin romantischen Umfeld hörbar.
Mit fast idealtypischer Romantik geht es bei Robert Schumann weiter: Eine Auswahl an Romanzen und Balladen, die oft schöne erzählende Gesten und scharf konturierte Stimmungen bereithalten. Am Schluss des Programms steht dann eine von Clytus Gottwald gefertigte Bearbeitung der wunderbaren, für das Album zugleich titelgebenden 'Mondnacht': Markus Schwering preist die Fassung, die den Klaviersatz chorisch ausformuliert, im Booklet als wahrhaft ‚seraphischen Satz‘, der Schumanns Romantik kongenial als Legato-Wunder entfaltet.
Flexible Romantik
Der NDR Chor bietet ein gerundetes, harmonisches Bild; die Register sind zugleich kernig-plastisch ausgebaut und tragen mit trennscharfem Charakter zu einer aufgeräumten, präzisen Klangwirkung bei. Das scheint auf den ersten Blick konträr zur romantischen Chorgeste zu stehen – doch weit gefehlt: Mit dem Blick Arthur Rubinsteins auf Chopin könnte man postulieren, nicht verwaschene Farben, weiche Tongebung oder nachlässige Phrasierung machen die Romantik, vielmehr ist auch in angemessener Klarheit all dieser Parameter die romantische Geste zu finden.
Charaktervoll
Manche reduzierte Besetzungen des Chors geraten charaktervoll, dazu treten schöne Soli aus der Gruppe hervor; die Frauen- und Männerchorästhetik ist von einem je schlüssigen Ansatz getragen. Beeindruckend ist das weite Spektrum der dynamischen Realisierung, besonders gelungen ist aber die perfekte Kontrolle des Geschehens, die ungemein motiviert wirkende Zeichnung mancher Entwicklung, das Setzen dezidierter Akzente. In wenigen Momenten gerät die dynamische Kontrolle etwas weniger überzeugend – dann sind in den Sopranen auch Härten zu hören. Die insgesamt überzeugende Diktion ermattet in avancierter Lyrik gelegentlich – da scheinen die Protagonisten der Freude am noblen Klang zu erliegen.
Philipp Ahmann lässt das Geschehen in fließenden Tempi Gestalt gewinnen, viel Geduld ist zu erleben, zuzeiten wird gedrängt. Zusammenklänge und Linien sind delikat ausgehört, die Intonation ist insgesamt stabil und fast durchgehend ohne Druck und äußere Force gehalten. Das Klangbild der im Rolf-Liebermann-Studio des NDR entstandenen Aufnahme ist zugleich konzentriert und gesammelt, klar gegliedert und doch harmonisch gefügt, dazu von angemessener Ausdehnung. Eine schöne Schumann-Chorplatte, Robert und Clara mit Bemerkenswertem. Dazu Killmeyer als romantischer Kommentar von gemäßigter Moderne. Der NDR Chor ist eine agile, flexible Formation, die Philipp Ahmann in seiner Hamburger Zeit konsequent in die Breite des Repertoires geführt hat.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Mondnacht - Werke für Chor a cappella: NDR Chor, Philipp Ahmann |
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Label: Anzahl Medien: |
Es-Dur 1 |
Medium:
EAN: |
CD
4015372820787 |
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Killmayer, Wilhelm |
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Es-Dur ES-DUR ist ein Label für klassische und zeitgenössische Musik mit Sitz in Hamburg. Das Label wurde 1992 zusammen mit dem Label CHARADE vom Tonmeister Eberhard Schnellen gegründet und erwarb sich aufgrund der herausragenden künstlerischen und technischen Qualität der mittlerweile rund 50 Veröffentlichungen schnell einen sehr guten Ruf. Im Frühjahr 2011 übergab Eberhard Schnellen die Führung des Labels in die Hände seiner langjährigen Mitarbeiter Karola Parry und Udo Potratz, beide ebenfalls Tonmeister. ES-DUR bietet sorgfältig produzierte Editionen wie die Kammermusikreihe mit David Geringas und Tatjana Schatz. Im Rahmen dieser Reihe legte David Geringas im November 2011 mit GERINGAS PLAYS BACH PLUS eine außergewöhnliche Einspielung der Cello-Suiten von J.S.Bach vor, die in der Presse überaus positiv aufgenommen wurde. Die Reihe MUSIK AM GOTHAER HOF mit der Thüringen Philharmonie Gotha unter Herrman Breuer und bekannten Solisten wie Antje Weithaas, Jens Peter Maintz oder Michael Sanderling reflektiert das reiche musikalische Schaffen der Komponisten vom Gothaer Hof wie Louis Spohr, Georg Anton Benda und Andreas Romberg und wurde in der Fachpresse mit höchstem Lob bedacht. Der ES-DUR-Katalog repräsentiert den Reichtum und die Vielfalt der Musikgeschichte und Gattungen, großen Raum finden aber auch die spannenden musikalischen Entwicklungen der Gegenwart - der Klang unserer Zeit. Mehr Info... |
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"Schumann ist so tiefgreifend, dass er den Herzensgrund erreicht."
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