
Rafael Kubelik - The Collection of East Classics - Wiener Philharmoniker, Tschechische Philharmonie Prag, Royal Philharmonic Orchestra
Am falschen Ende gespart
Label/Verlag: Profil - Edition Günter Hänssler
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Eine eher lieblos aufbereitete Edition ohnehin anderswo greifbarer bedeutender Einspielungen des wichtigen tschechischen Dirigenten.
Da Rafael Kubelíks (1914–1996) diskografischer Nachlass durchaus umfänglich ist, kann sich die vorliegende Edition mit 10 CDs und Einspielungen der Jahre 1945 bis 1960 ganz auf ‚East Classics‘ konzentrieren – kanonische und weniger kanonische Werke kanonisierter Komponisten des tschechoslowakischen, ungarischen und russischen Raums. Leider handelt es sich fast ausschließlich um bei den Originallabels ebenfalls erhältliche Einspielungen, dort zumeist in (teilweise mehr als substanziell) besserer Klangqualität.
Smetana
Smetanas berühmter Zyklus 'Ma vlást' ist hier zu hören in einer Decca-Einspielung mit den Wiener Philharmonikern aus dem Jahr 1959 (1960 erschienen, hier nun in Mono); ergänzt wird die Smetana-Schau durch Ouvertüre und drei Tänze aus 'Prodaná nevěsta' ('Die verkaufte Braut') mit dem Philharmonia Orchestra London vom 4. November 1951 (EMI, auch auf Testament erschienen). So klar Kubelíks Darlegung der Architektur sowohl der einzelnen Stücke als auch der Verbindungen untereinander ist, so kraftvoll sein Zugriff, so bedauerlich ist doch, dass die Aufnahmequalität hier zumeist doch eher ‚boxy‘, eindimensional-schmalspurig die Musik eher einschränkt (die fünf Tondichtungen noch stärker als die Opernausschnitte). Zwar gelingt es den Interpretationen sozusagen über die Tonqualität zu triumphieren, doch wissen wir, dass die vorliegende Ausgabe klangtechnisch nicht zu den überzeugendsten zu zählen ist.
Dvořák
Der zentrale Komponist der Edition ist ohne Frage Antonín Dvořák, von dem Kubelík für Deutsche Grammophon nicht nur eine berühmte Gesamteinspielung aller neun Sinfonien mit den Berliner Philharmonikern vorgelegt hat, sondern der in Kubelíks Diskografie ohnehin einen besonderen Platz einnimmt. Die vorliegende Ausgabe enthält die Sinfonien 7 und 9 (mit den Wiener Philharmonikern 1956 für Decca, Nr. 9 hier in besserem Stereoklang als Nr. 7), die 'Slawischen Tänze' opp. 46 und 72 (mit den Wiener Philharmonikern 1955 für Decca, in gutem Monoklang), die 'Slawische Rhapsodie' op. 45 Nr. 3 und das 'Scherzo capriccioso' op. 66 (mit dem Royal Philharmonic Orchestra für EMI 1958, in erfreulich offenem Stereoklang), die 'Symphonischen Variationen' op. 78 (mit dem Philharmonia Orchestra 1957 live vom Edinburgh Festival 1957, offenbar von einer minderwertigen Vorlage, die in hohem Maße knistert und rauscht), das Cellokonzert (mit Pierre Fournier und dem Philharmonia Orchestra von Oktober 1948 für EMI), das Klavierkonzert (live mit Rudolf Firkušný und der Tschechischen Philharmonie Prag vom 19. Mai 1946, in merkwürdig unausgewogener Mikrofonierung – der Solist viel zu prominent, auch das Orchester uneinheitlich), die drei Ouvertüren opp. 91-93 (ebenfalls mit der Tschechischen Philharmonie Prag vom 1. März 1946, für His Master‘s Voice/EMI, hier aufnahmetechnisch etwas überzeugender als beim Klavierkonzert). Wie natürlich Dvořák bei Kubelík klingt, zeigt die immense innere Vertrautheit des Dirigenten mit dem musikalischen Idiom, und die Frische und der Charme bestätigen den Wert diverser dieser früheren Einspielungen neben den Aufnahmen der 1960er- und 1970er-Jahre.
Janáček
Von Leoš Janáček enthält die Edition die Tondichtung 'Taras Bulba' und die Sinfonietta mit dem Royal Philharmonic Orchestra 1958 (EMI) bzw. mit der Tschechischen Philharmonie Prag 1946 (auch auf EMI/Testament). Die Sinfonietta klingt aufnahmetechnisch überraschend fern mikrofoniert – vielleicht um eine Übersteuerung der Blechbläserfanfaren zu vermeiden? Oder handelt es sich um einen Live-Mitschnitt? Doch überwindet Kubelíks dichte, spannungsvoll-frische Interpretation auch diese aufnahmetechnischen Einschränkungen. Da ist 'Taras Bulba' klanglich wieder in einer gänzlich anderen Welt – interpretatorisch nicht weniger dicht, aber das klangliche Raffinement der Komposition ist in vorbildlicher Weise eingefangen.
Martinů
Außerhalb der Tschechoslowakei wurde die Musik Bohuslav Martinůs lange nur wenig gepflegt; das 'Memorial to Lidice' hören wir hier in einem dramatisch starken Live-Mitschnitt mit der Tschechischen Philharmonie vom Juni 1946 (auch auf Supraphon veröffentlicht), bei dem die Tonbandschwankungen leider nicht behoben wurden, die Vierte Sinfonie in einer her leider nicht recht durchhörbaren Studioproduktion von großer Dichte vom 10. Juni 1948 (auch auf EMI und Supraphon); die klanglich überraschend klangdimensionsarme Aufnahme des Doppelkonzertes für zwei Streichorchester, Klavier und Pauken mit Sidney Cook, James Bradshaw und dem Philharmonia Orchestra entstand am 10. Mai 1950 für EMI. Die 'Fresken Pietro della Francescas' folgten mit dem Royal Philharmonic Orchestra in vorbildlichem Aufnahmeklang 1958 für EMI in einer Einspielung, die zu den besten des Werkes zu zählen ist.
Bartók
Die Einspielung von Béla Bartóks 'Musik für Streicher, Schlagzeug und Celesta' mit dem Chicago Symphony Orchestra entstand gegen Ende von Kubelíks kurzer Tätigkeit als Leiter des Klangkörpers 1951 für Mercury (hier in gutem Mono-Klang). Das 'Concerto for Orchestra' und die 'Two Portraits' für Violine und Orchester wurden 1958 mit dem Royal Philharmonic Orchestra und seinem damaligen Konzertmeister Steven Staryk eingespielt; die EMI-Aufnahmen zeichnen sich durch große Wärme und intensive Dichte aus und sind klangtechnisch erfreulich klar und differenziert.
Mussorgskij – Borodin – Tschaikowskij – Schostakowitsch
Die letzten zwei CDs sind russischer Musik gewidmet, Mussorgskijs 'Bildern einer Ausstellung' (in Ravels Orchesterfassung; Chicago Symphony Orchestra 1951 – auf Mercury 1952 erschienen), Borodins Zweiter Sinfonie und den 'Polowetzer Tänzen' aus 'Fürst Igor' (Wiener Philharmoniker und Wiener Singverein 1960 für EMI), Tschaikowskijs 'Pathétique' (Wiener Philharmoniker vom November 1960 für EMI, in gutem Stereo) und Schostakowitschs Neunter Sinfonie (live Tschechische Philharmonie 13. Dezember 1945, auch auf Supraphon). Natürlich ist die Ravel-Orchestrierung eigentlich ein ‚Irrläufer‘, doch dirigiert Kubelík keine ‚französisch-impressionistische‘ Version, sondern packt eher zu und verleiht der Musik dadurch genügend Kraft.
Der Schostakowitsch (in etwas dumpfem Mono) strotzt nur so vor Leben, und der Tschaikowskij kommt wohltuend ohne falsches Sentiment daher (endlich wieder einmal ist der Schlusssatz nicht ‚pathetisch‘-krokodilstränig verschleppt). In der Borodin-Sinfonie werden die Stereoeffekte der Partitur ganz besonders schön realisiert, und der Wiener Singverein beeinträchtigt trotz teilweise sehr merkwürdiger deutscher Textunterlegung nicht den ‚russischen‘ Gesamteindruck (auch weil man nicht viel verstehen kann).
Doppeltes Ärgernis
Zuletzt darf ein doppeltes Ärgernis der Edition nicht unerwähnt bleiben. Die Dokumentation ist schlichtweg eine Unverschämtheit – ein mehr als oberflächlicher, nur eine Seite kurzer Text über den Dirigenten und mehr als nur rudimentäre Informationen zu den Einspielungen lassen den Interessierten schnell ins Internet und anderswohin flüchten. Und dass Profil Hänssler die CDs immer in zugeklebten Papierhüllen liefert, so dass man mit Brieföffner, Messer oder Schere ‚Hand anlegen‘ muss, hat mit Kundenfreundlichkeit gleichfalls nichts zu tun. Eine geringfügig größere Investition könnte hier mit Leichtigkeit deutlich größere Wertigkeit mit sich bringen.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Rafael Kubelik - The Collection of East Classics: Wiener Philharmoniker, Tschechische Philharmonie Prag, Royal Philharmonic Orchestra |
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Label: Anzahl Medien: |
Profil - Edition Günter Hänssler 10 |
Medium:
EAN: |
CD
81488190199 |
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