
Händel, Georg Friedrich: Almira, Königin von Castilien - Boston Early Music Festival Orchestra, Paul O'Dette, Stephen Stubbs
Pralles vom Gänsemarkt
Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Diese 'Almira' befeuert die Fantasie, liefert pralles Barockspektakel und lässt im übertragenen Sinne die Ohren des Zuhörers glänzen und funkeln.
Georg Friedrich Händel gilt uns als einer der Hauptvertreter der barocken Opera seria. Seine italienischen und Londoner Erfolge beleben seit vielen Jahren wieder das Repertoire, seine Oratorien finden auf die Bühne und eine Rarität nach der anderen wird aus den Bibliotheken ans Tageslicht befördert. Doch sein Opernerstling 'Almira, Königin von Castilien' ist ein Stück Musiktheater, das einen jungen, unverkrampften und ideenreichen Komponisten zeigt, der sich noch nicht an den Strukturen der Seria orientiert. Die Hamburger Operntradition ist ohnehin eine besondere, zur Blüte geführt von Reinhard Keiser. Und dessen Weggang aus Hamburg 1704 ist es zu verdanken, dass der junge Händel die Chance erhielt, ein nun liegengebliebenes Libretto für die Hamburger Oper zu vertonen.
Das Werk lässt nichts aus, was auf einer Bühne Effekt machen könnte: Intrigen, Eifersuchtsszenen, Treueschwüre, Duell- und Kerkerszenen, Festzüge, häufige Szenenwechsel und Liebesbekenntnisse werden in Baumrinden eingeritzt. Das ist pralles Barocktheater vom Feinsten, ganz in der Hamburger Manier sprachlicher Vielfalt – deutschsprachige Arien und Ensembles wechseln sich mit italienischen ab, die Rezitative treiben auf Deutsch die herrlich abstruse, komplizierte und temporeiche Handlung voran und die französische Oper hat in den Tänzen und kurzen Formen ihre Spuren hinterlassen.
Lustvoll aufspielend
Einen Eindruck vom enormen Unterhaltungspotential der 'Almira' kann man sich nun beim Label cpo machen. Auf vier CDs ist eine Koproduktion vom Boston Early Music Festival und Radio Bremen von 2018 erschienen. Die musikalischen Leiter Paul O’Dette und Stephen Stubbs legen eine Edition vor, die zum ersten Mal auf allen auffindbaren Originalquellen basiert, behutsam ergänzt und rekonstruiert. Ein stilistisch bewandertes Ensemble erweckt die leidenschaftlich bewegten Figuren zum Leben, während das Boston Early Music Festival Orchestra lustvoll aufspielt. So eine üppig instrumentierte Händel-Oper erwartet man nicht, wenn man sich als neugieriger Hörer in die 'Almira' versenkt. Farbenreich setzt der Komponist alles ein, was damals in Hamburg zu haben war. Die farbigen Bläser dieser Ersteinspielung berauschen förmlich, die agilen Streicher und das hervorragende Continuo geben den Puls. Harmonisch wild geht es an manchen Stellen zu und O’Dette und Stubbs reizen auch die komischen Momente genüsslich aus, wie das musikalisierte Türklopfen in Tabarcos Arie oder die feurigen Kastagnetten, die augenzwinkernd nach Spanien entführen.
Das Opernspektakel wird aber nicht weniger von den energetischen Solisten getragen. An vorderster Front belebt der Tenor Zachary Wilder als Osman den Höreindruck. Seine Stimme klingt zunächst recht nasal und leicht schnarrend, aber der Sänger geht mit seinem Material so raffiniert um, dass man die fehlende Klangschönheit schnell vergisst. Wilders Interpretation sticht durch ihre Klarheit in Phrasierung und Artikulation hervor, seine Höhe ist strahlend, die dynamischen Abstufungen entwaffnend. Sein amouröser Gegenspieler Fernando wird von Colin Balzer gesungen. Dieser hat das schönere Stimmmaterial, kann aber nicht an die Prägnanz des Tenorkollegen Wilder heranreichen. Dennoch gefällt Balzers schlanke Stimmführung, die Leichtigkeit und Verträumtheit, mit der er beispielsweise seine Arie 'Schöne Flamme' ausstattet. Das ist frei von jeder Künstlichkeit und entwickelt sehr heutige Song-Qualitäten. Überhaupt gönnen sich die Musiker an einzelnen Stellen stilistische Auslegungen, die in ihrer Direktheit und Chansonhaftigkeit positiv überraschen. So punktet beispielsweise auch der Bariton Jesse Blumberg als Raymondo im zweiten Akt mit 'Zweier Augen Majestät' – ein Moment zum Dahinschmelzen bei einer ansonsten eher unauffälligen, aber stimmlich tadellosen Leistung.
Feuchte Augen
Die Damenriege ist bestens besetzt, wenn sich die Stimmen auch nicht so signifikant unterscheiden, dass man beim bloßen Hören immer wüsste, wer gerade singt. Dabei liefert Emöke Baráth als Almira Vokalglanz und -schönheit vom Feinsten – von Wärme durchzogene, lyrische Bögen, brillante Höhen und emotionale Tiefe. 'Geloso tormento' im ersten Akt ist mit Baráth ein regelrechter Showstopper mit Garantie für feuchte Augen. Als Edilia bietet die Einspielung die lupenrein artikulierende und intonierende Amanda Forsythe. Ihr Sopran ist ein wenig kristalliner als der von Emöke Baráth. Die Höhe wird manchmal etwas spitz und anfangs fehlt ihrer Darstellung eine Portion Fulminanz, aber im Laufe der Einspielung steigert sich die Künstlerin und rundet das Bild der verschmähten und eifersüchtigen Liebenden glaubwürdig ab.
Das gelingt Teresa Wakim als Bellante nur bedingt. Alles ist ordentlich gesungen, aber auch tendenziell blass und zeitweise mit flacher Tongebung. Das soubrettige Timbre passt aber fraglos zu ihrer Partie. Christian Immler ist ein sonorer und bisweilen auch mutig falsettierender Consalvo, während ein bestens disponierter Jan Kobow mit untrüglichem Gespür für Pointen und sprachliche Finesse den Diener Tabarco zum Kabinettstückchen macht. Diese 'Almira' befeuert die Fantasie, liefert pralles Barockspektakel und lässt im übertragenen Sinne die Ohren des Zuhörers glänzen und funkeln – eine mehr als lohnende Ausgrabung!
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!
Ihre Meinung? Kommentieren Sie diesen Artikel
Jetzt einloggen, um zu kommentieren.
Sind Sie bei klassik.com noch nicht als Nutzer angemeldet, können Sie sich hier registrieren.
Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
![]() Cover vergrößern |
Händel, Georg Friedrich: Almira, Königin von Castilien: Boston Early Music Festival Orchestra, Paul O'Dette, Stephen Stubbs |
|||
Label: Anzahl Medien: |
cpo 1 |
Medium:
EAN: |
CD
761203520527 |
![]() Cover vergössern |
Händel, Georg Friedrich |
![]() Cover vergössern |
cpo Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
Mehr Info... |
![]() Cover vergössern |
Jetzt kaufen bei... |
Weitere Besprechungen zum Label/Verlag cpo:
-
Klavierwerke von israelischen Komponisten. Kolja Lessing: Kolja Lessing widmet sich eindrücklich den Klavierwerken israelischer Komponisten. Weiter...
(Manuel Stangorra, )
-
Herrliche musikalische Momente: Zwei Gossec-Raritäten und eine Kuriosität zeitigen unterschiedlich überzeugende Ergebnisse. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Klavierquartett plus eins: Théodore Dubois überrascht mit unerwarteten Klangkombinationen. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
Weitere CD-Besprechungen von Benjamin Künzel:
-
Wildwest aus Ost: Diese neue 'Fanciulla del West' kann sich hören lassen, stößt aber kaum eine andere frühere Aufnahme vom CD-Regal. Weiter...
(Benjamin Künzel, )
-
Aus dem Archiv ans Licht: Das erste Soloalbum von Philipp Mathmann und der Capella Jenensis unter der Leitung von Gerd Amelung punktet mit einer klugen und innovativen Programmgestaltung und in jeder Note mitklingendem Herzblut. Davon möchte man gerne mehr hören. Weiter...
(Benjamin Künzel, )
-
Hamburger Seifenoper: Auf einer Bühne muss man Graupners 'Antiochus und Stratonica' vielleicht nicht zwingend erleben. Als 'Theater für die Ohren' funktioniert diese abstruse Barock-Seifenoper aber ganz vorzüglich. Weiter...
(Benjamin Künzel, )
Weitere Kritiken interessanter Labels:
-
Klavierwerke von israelischen Komponisten. Kolja Lessing: Kolja Lessing widmet sich eindrücklich den Klavierwerken israelischer Komponisten. Weiter...
(Manuel Stangorra, )
-
All die schönen Märchen sind wahr: Die Sopranistin Rebecca Bromberg entdeckt die Lieder des Spätromantikers Erich J. Wolff. Weiter...
(Karin Coper, )
-
Klangdokumente aus vier Jahrzehnten: Eine würdige Sammlung um Böhms Dresdner Schubert-Aufnahmen. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
Portrait

Das Klavierduo Silver-Garburg über Leben und Konzertieren im Hier und Heute und eine neue CD mit Werken von Johannes Brahms
Sponsored Links
- klassik.com Radio
- Urlaub im Schwarzwald
- Neue Musikzeitung
- StageKit - Websites für Musiker, Veranstalter und Konzertagenturen
Hinweis:
Mit Namen oder Initialen gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers,
nicht aber unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Die Bewertung der klassik.com-Autoren:
Überragend
Sehr gut
Gut
Durchschnittlich
Unterdurchschnittlich