
Weber, Carl Maria von: Der Freischütz - MDR Leipzig Radio, Choir, Frankfurt Radio Symphony, Marek Janowski
Ernüchternd
Label/Verlag: Pentatone Classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Dieser 'Freischütz' funktioniert zumindest auf musikalischer Ebene über weite Strecken. Aufnahmetechnisch gibt es nichts auszusetzen. Flair und Charme oder gar eine fesselnde Lesart sucht man aber vergebens.
Pultlegende Marek Janowski hat zum zweiten Mal Carl Maria von Webers 'Der Freischütz' eingespielt. Seiner RCA-Aufnahme von 1994 folgt jetzt die neue Produktion beim Label Pentatone, die mit attraktiven, momentan international beachteten Namen auf jeden Fall das Interesse der Käufer weckt. So liefert beispielsweise die junge Norwegerin Lise Davidsen ihre erste Operngesamtaufnahme, der Wagner-Tenor Andreas Schager gibt den Max und mit Alan Held als Kaspar ist ein durchaus prominenter Rollenvertreter des diabolischen Jägerburschen auf Tonträger verewigt. Beim Hören dieser im November 2018 in Frankfurt entstandenen Einspielung stellt sich aber nicht der Eindruck einer spannenden Diskografie-Bereicherung ein, sondern eher eine gute Portion Ernüchterung.
Vielleicht sind die Erwartungen auch zu hoch. Lise Davidsen gab diesen Sommer ihr Bayreuth-Debüt als Elisabeth im 'Tannhäuser' und wurde von der Presse gefeiert. Auch ihr erstes Solo-Album bei Decca mit Werken von Wagner und Strauss klingt vielversprechend. Doch ihrer Agathe fehlt es in der vorliegenden Aufnahme an Zwischentönen, an Charakter. Davidsens große, mächtige Stimme ist ohne Frage beeindruckend. Allein die Klanggewalt, die von dieser Künstlerin ausgeht, ist beneidenswert, aber differenziert ist ihre Interpretation nicht. Diese Agathe ist ein großes Mädchen – ein sehr großes Mädchen –, das jugendlich rein und unschuldig zu klingen versucht, was aber nicht gelingen will. Die Farbpalette ist beschränkt und durch eine stimmlich angezogene Handbremse entsteht keine Innerlichkeit. Die Sopranistin verfügt aber ohne Zweifel über die notwendige Dramatik, über große Bögen mit langem Atem und einige herrlich aufblühende Töne, auch wenn die Höhen nicht immer treffsicher angepeilt sind. Man wünscht dieser Künstlerin mit der Ausnahmestimme nur das Beste, aber es ist hier ähnlich wie bei ihrer Einspielung der 'Vier letzten Lieder': Es klingt üppig, aber auf Dauer auch langweilig.
Öl ins Feuer
Ähnlich agiert Sofia Fomina als stimmlich leicht überdimensioniertes Ännchen – vielleicht eine konsequente Entscheidung im Hinblick auf die gewaltige Agathen-Stimme. Nur spielerische Leichtigkeit oder gut platzierte Doppelbödigkeit sind nicht Fominas Stärke. Sie singt die Partie mit ihrem schönen Sopran höchst anständig, aber auch latent auf der Grenze zwischen Gleichförmigkeit, Eindimensionalität und unfreiwilliger Parodie. Andreas Schager als Max ist ebenfalls gewöhnungsbedürftig, macht aber bei den Solisten die beste Figur. Auch er gießt mächtig Öl ins vokale Feuer, lässt es weitgehend ordentlich krachen. Die verletzlichen Seiten des Max streift er nur peripher und dann in eher weinerlichen als verinnerlichten Tönen und Farben. Sein Max schwächelt oder strahlt, dazwischen gibt es nichts. Seine große Arie im ersten Akt ist dennoch einer der unbestrittenen Höhepunkte der Aufnahme, schon allein deshalb, weil man um Schagers Kondition keine Angst haben muss. Dass auch bei ihm nicht alle geforderten Spitzentöne souverän gemeistert sind, trübt die Zufriedenheit ein wenig.
Als Kaspar lässt Alan Held musikalisch wenige Wünsche offen. Er bewältigt die gefürchteten Läufe und Sprünge, ist textlich ordentlich unterwegs und bedient die erwartete stimmliche Dunkelheit. Mitreißend oder gar angsteinflößend ist dieser Kaspar aber nicht. Franz-Josef Selig ist ein rollendeckend Bassfülle verströmender, leicht mulmiger Eremit, Markus Eiche ist eine luxuriöse Ottokar-Besetzung, Andreas Baier der solide Kuno und Christoph Filler ein spannender, weil ungemein präsent und lebendig agierender Kilian.
Am Pult des hr-Sinfonieorchesters liefert Marek Janowski den erwarteten dunklen Romantiksound mit herrlichem Blech und satten tiefen Streichern. Der MDR Rundfunkchor ist schlicht hervorragend. Das wäre alles tadellos, wenn man sich nicht dauernd fragen würde, weshalb es diese Neueinspielung gebraucht hat. Janowski hat nichts entscheidend Neues zu sagen, auch wagt er sich nicht über die Grenzen der Hörgewohnheiten hinaus. Muss er vielleicht auch nicht, aber dann hieße es – wenn man Janowskis stilistisch kundige, funktionale 'Freischütz'-Interpretation hören will –, zur 1994er-Aufnahme greifen. Die ist trotz kleinerer Besetzungseintrübungen in sich stimmiger und lebendiger.
Bedenkliches Erzählkonzept
Dass bei der Neueinspielung aus Frankfurt die Dialoge in Frage gestellt werden, ist erst einmal nicht verwerflich. Die gefundene Lösung einer Erzählvariante von Katharina Wagner und Daniel Weber gerät aber dann doch hilflos und banal: Samiel und der Eremit, beide hervorragend und kunstvoll von Corinna Kirchhoff und Peter Simonischek gesprochen, beleuchten knapp und erschreckend schwarz-weiß-malerisch den Handlungsverlauf aus ihrer jeweiligen Sicht. Abgesehen davon, dass dieses Konzept bedenkliche Lücken aufweist und nicht restlos aufgeht, nutzt es sich schnell ab und lässt den Wunsch nach lieber hölzernen Dialogen aufkommen, als diesem fragwürdigen Rettungsversuch zuhören zu müssen. Dieser erzeugt eher Unlust und Kopfschütteln beim Hörer als Erkenntnis oder Mehrwert. Kurz: Dieser 'Freischütz' funktioniert zumindest auf musikalischer Ebene über weite Strecken. Aufnahmetechnisch gibt es nichts auszusetzen. Flair und Charme oder gar eine fesselnde Lesart sucht man aber vergebens.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Weber, Carl Maria von: Der Freischütz: MDR Leipzig Radio, Choir, Frankfurt Radio Symphony, Marek Janowski |
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Label: Anzahl Medien: |
Pentatone Classics 2 |
Medium:
EAN: |
CD SACD
827949078866 |
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Weber, Carl Maria von |
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