> > > Gluck: Orfeo ed Euridice: La nuova Musica, David Bates
Samstag, 2. Dezember 2023

Gluck: Orfeo ed Euridice - La nuova Musica, David Bates

Theaterluft aus jeder Pore


Label/Verlag: Pentatone Classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Diese von David Bates geleitete Aufführung von Glucks 'Orfeo ed Euridice' atmet Theaterluft aus jeder Pore und hat Energie und Musizierlust im Überfluss getankt. Dem kann man sich nicht entziehen.

Man kann sich durchaus fragen, ob der CD-Markt dringend die nächste Aufnahme von Christoph Willibald Glucks 'Orfeo ed Euridice' braucht. In den letzten Jahren kam Vaclav Luks (2013) mit seiner 'Orfeo'-Version als Opernfilm heraus, 2015 folgte Laurence Equilbey mit Franco Fagioli in einem Livemitschnitt bei der Deutschen Grammophon und 2017 legte Diego Fasolis eine Einspielung der Parma-Version mit Philippe Jaroussky bei Erato vor. Nun ist wieder eine neue 'Orfeo ed Euridice'-Aufnahme erschienen, diesmal beim Label Pentatone auf einer einzigen übervollen CD mit 88 Minuten Spieldauer. Ob man sich diesen Livemitschnitt aus London vom Mai 2018 auch noch ins Regal stellen möchte, bleibt jedem selbst überlassen, aber es sei gesagt: Das Anhören lohnt sich definitiv.

Den Gluck-Orpheus in historischer Aufführungspraxis gibt es in etlichen Varianten für den heimischen Konsum, aber die vorliegende Version mit Ensemble La Nuova Musica unter der Leitung von David Bates ist von besonderer Frische und Theatralität. Nichts klingt akademisch oder gar aufpoliert. Dieser 'Orfeo' strotzt vor Lebendigkeit und Spielfreude. Bates und seine Musiker betonen das Drama, das imaginierte Bühnenspektakel. Sie loten die Seelenzustände der Protagonisten aus, unterstützen die Sänger, greifen tief in den Farbtopf und lassen es, wenn nötig und möglich, auch mal ordentlich krachen. Es ist eine Wonne, den Musikern beim Durchleuchten von Glucks Partitur zuzuhören, vor allem, weil es hier nicht um eine akribisch notengetreue Wiedergabe, sondern um eine mutige und selbstbewusste Interpretation geht. Die Sänger setzen in Maßen Verzierungen und Variationen ein, die aber nicht der vokalen Selbstdarstellung dienen, sondern der dramatischen Situation entspringen – auch wenn es fraglos geprobt und abgesprochen sein mag, es atmet Spontanität.

Schmerzerfüllter Gesang

Der wohl bleibendste Eindruck ist, dass in dieser Aufführung Risiken eingegangen werden und man eben nicht den eintausendsten Aufguss des Immergleichen bzw. der altbekannten Wiener Fassung von 1762 zelebriert. Das wird besonders deutlich beim Interpreten des Orfeo, dem Countertenor Iestyn Davies. Er irritiert im ersten Akt geradezu durch seinen schmerzerfüllten Gesang, der sich mutig vom Schönklang und den gewohnt umschmeichelnden Countertönen entfernt. Nun besitzt Davies ohnehin eine eher zarte, helle Stimme, die eine deutlich andere Wirkung entfaltet als der satte männliche Counter eines Franco Fagioli oder Bejun Mehta oder auch der schlanke, fast androgyne Klang eines Philippe Jaroussky. Iestyn Davies sucht in keiner Sekunde die Konkurrenz zu den populären Fach- und Rollenkollegen, er setzt selbstbewusst auf eine lückenlos authentische Interpretation. Ganz im Sinne des dramatischen Ausdrucks ringt er seiner Stimme im ersten Akt gesungene Schmerzenslaute ab, zerbrechliche Phrasen von anrührender, seelischer Instabilität. Die tiefen Lagen nimmt er dabei ohne Druck, was zu wirkungsvoll matten Farben führt. Dieser Orfeo leidet Höllenqualen, ist nur noch Schatten seiner selbst. Wie konsequent und ungemein effektvoll ist schließlich seine Wandlung im zweiten Akt, wenn er die Furien mit seinem Gesang bezaubert. Hier zieht Davies plötzlich auch für den Hörer dieser CD völlig neue Register, umschmeichelt das Ohr mit glanzvollen Höhen und unerwarteter Eleganz. In der Konfrontation mit Euridice kann der Künstler dann auch kraftvoll zupacken, auch wenn der Eindruck heroischer Attitüde nie entsteht. Davies‘ Orfeo besticht durch seine Genauigkeit, den unbedingten Ausdruck. Einzelne Arien sind durchaus auch schöne Hinhörer, aber letztlich überzeugt der Sänger im Gesamteindruck mit einer mutigen, konsequenten Durchdringung.

Emotional stimmig

Als Euridice beeindruckt Sophie Bevan mit ihrem warmen, runden Sopran. Auch sie beweist Mut zu vokalen ‚Ausbüchsern‘, der unbedingte Ausdruck steht über allem. Selten kommt man mit einem scharfen, leicht weggerutschten Spitzenton am Ende der Arie 'Che fiero momento' so problemlos zurecht, weil er so ‚richtig‘, so untrennbar mit der emotionalen Situation verbunden ist. Und auch Rebecca Bottone macht aus Amor mehr als eine göttliche Spielerei: Da glitzert es an allen Ecken und Enden, geschmackvoll dosiert, und Bottone serviert ihre Arie und die Rezitative mit fast kindlicher Naivität und doch schlicht brillant.

Diese tontechnisch ebenso hervorragende Veröffentlichung von 'Orfeo ed Euridice' hält so viele lebendige Momente bereit, die den Hörer fesseln können. Allein schon der agile Chor, die flüssigen Tempi und die lustvoll ausgereizten Effekte von Windmaschine bis Donnerblech faszinieren von der ersten bis zur letzten Minute. Ja, es mag gesanglich vollmundigere, vielleicht auch virtuosere Aufnahmen geben, doch diese von David Bates geleitete Aufführung atmet Theaterluft aus jeder Pore und hat Energie und Musizierlust im Überfluss getankt. Dem kann (und darf) man sich nicht entziehen.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Gluck: Orfeo ed Euridice: La nuova Musica, David Bates

Label:
Anzahl Medien:
Pentatone Classics
1
Medium:
EAN:

CD
827949080562


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Gluck, Christoph Willibald


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Pentatone Classics

PentaTone wurde im Jahr 2001 von drei ehemaligen Leitenden Angestellten der Philips Classics zusammen mit Polyhymnia International (dem ehemaligen Philips Classics-Aufnahmezentrum) ins Leben gerufen.
Die Gründer von PentaTone sind überzeugt, dass der 5-Kanal Surround-Sound allmählich den heute noch gängigen Stereo-Sound ersetzen wird, vor allem weil er die Hörerfahrung immens bereichert. Die Einführung der Super Audio-CD (SA-CD) durch Sony und Philips hat es dem Hörer ermöglicht, sich den Konzertsaal direkt ins eigene Wohnzimmer zu holen. Die SA-CD hat im Vergleich zur CD eine weitaus höhere Speicherkapazität und sie kann 5-Kanal-Informationen in hoher Auflösung aufnehmen. Deshalb bietet die SA-CD einen hochwertigen Surround Sound.
Alle PentaTone-Aufnahmen erscheinen auf sog. hybriden SA-CDs, die zwei miteinander verbundene Schichten haben. Die erste enthält das normale CD-Signal, während auf der zweiten das Surround-Sound-Signal abliegt. Diese hybriden Tonträger können mit Stereo-Effekt auf jedem normalen CD-Spieler abgespielt werden. Um den Surround Sound-Effekt zu erzielen, benötigt man einen SA-CD-Spieler.
PentaTone baut seit einigen Jahren mit den hervorragenden Aufnahmen von Polyhymnia International einen neuen Klassikkatalog auf, der die berühmtesten Werke der Musikgeschichte enthält, interpretiert von absoluten Weltklasseinterpreten. So wurden Symphonie-Zyklen von Beethoven, Bruckner, Schostakowitsch und Schumann begonnen. Ein Brahms-Zyklus mit Marek Janowski am Pult des Pittsburgh Symphony Orchestra ist bereits erschienen. Sämtliche Werke für Violine und Orchester von Mozart wurden mit Julia Fischer aufgenommen, dem "Gramophone Artist of the Year 2007". In seiner kurzen Geschichte hat PentaTone bereits zahlreiche renommierte Preise gewonnen, darunter einen Grammy, einen Gramophone Award, einen Preis der deutschen Schallplattenkritik, zwei Echos, zwei Diapason d'Ors de l'année und einen CHOC de l'année.
Neben den Neuaufnahmen veröffentlicht PentaTone auch historische Surround Sound-Aufnahmen auf SA-CD. Dafür hat PentaTone sämtliche, zwischen 1970 und 1980 von Philips Classics im Quadrophonie-Verfahren entstandenen Aufnahmen für die Herausgabe auf SA-CD lizenziert. Auf diesen Einspielungen sind die legendären Philips Classics-Künstler jener Epoche zu hören. Mit dem heutigen SA-CD-System kommen diese spektakulären und hochwertigen 4-Kanal-Aufnahmen so zur Geltung, wie man es ursprünglich geplant hatte. Die Serie trägt den Titel "RQR" (Remastered Quadrophonic Recordings).


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