
Tchaikovsky, Peter: Symphony No. 6 - Mariinsky Orchestra, Valery Gergiev
Glücksfall
Label/Verlag: Mariinsky
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Diese Aufnahme der Sechsten Symphonie gehört zum Besten, was derzeit an symphonischem Tschaikowsky zu bekommen ist.
Tschaikowskys Sechste Symphonie op. 74 wird immer wieder als so etwas wie sein Requiem bezeichnet – wenige Tage nach der Uraufführung verstarb er. Nicht ganz aus der Luft gegriffen erscheint diese Umschreibung auch insofern, als im ersten Satz die entsprechende Analogie in Gestalt eines orthodoxen Chorals anzutreffen ist. Besagte Passage zelebriert das Blech hier mit glasklaren Konturen und wuchtiger Fülle. Womit auch schon eines der Merkmale genannt ist, mit dem Valery Gergiev am Pult des Mariinsky-Orchesters an die Partitur herangeht: Er greift zu dem, was das Werk in seinem Kern konzeptionell beinhaltet – die ganz große musikalische Geste. Auch sonst kann einem die programmatische Essenz der (in diesem Fall ausnahmsweise vom Komponisten selbst als Beiname gebilligten) so genannten 'Pathétique' in ihrer Gesamtheit wie eine Art bilanzierendes Vermächtnis vorkommen.
Lückenlose Abbildung
Fast alle Arten von emotionalen Lebenslagen und Stimmungen – Glücksmomente, schicksalhaftes Pathos, schwelgende Melancholie – scheinen darin verarbeitet, Gergievs Dirigat bildet alles davon lückenlos ab. Rauschhaft sinnliche Wärme im so genannten ‚Liebes-Motiv‘, die trügerische Ruhe der berühmten Generalpause, gefolgt von der mächtigen, die Stille jäh zerreißenden Tutti-Explosion im Kopfsatz: Einen Spannungsabfall lässt Gergiev hier gar nicht erst aufkommen. Dynamisch trägt er opulent, selbst mit einem derart bombastischen, einen fast aus den Sitzen hebenden Fortissimo aber eben nicht zu dick auf. Seine ganz und gar authentisch wirkende Diktion erzeugt einen den Hörer unmittelbar abholenden, musikalisch schlüssigen Sog. Wirkungsvoll mit den bewegten Passagen kontrastieren die langsamen Episoden, in denen er den Klangkörper demgegenüber gekonnt zurückzunehmen weiß und sich bewusst kantable, reflektierende Auszeiten nimmt.
Tschaikowsky-Versteher
Mit sicherem Gespür für agogische Impulse und Zäsuren trifft er auch den tänzerisch angehauchten Tonfall des zweiten Satzes. Das folgende, von akkurat intonierenden Holzbläsern klangfarblich geprägte 'Allegro molto vivace' ist geprägt von pulsierender Rastlosigkeit und mit griffiger Artikulation eingeworfenen, marschartigen Akzentuierungen. Die Dramaturgie des Finales baut Gergiev spannungsgeladen aus den klagenden Anfangstakten heraus auf bzw. bis zum resignativ verebbenden Kollaps ab. Am Ende kommt man nicht umhin, festzustellen: Dieser beim hauseigenen Label des Mariinsky-Theaters erschienene, in der Pariser Salle Pleyel entstandene Live-Mitschnitt vom Januar 2010 ist ein echter Tschaikowsky-Glücksfall. Die von Mikhail Pletnev und seinem Russischen Nationalorchester eingespielte, gleichfalls hochwertige Aufnahme wird von der vorliegenden sogar noch übertroffen, so dass man sich spontan die Frage stellt: Sind russische Dirigenten automatisch die besseren Tschaikowsky-Versteher? Sich zu einer solchen These zu versteigen, wäre sicherlich zu gewagt, diese beiden gehören aber definitiv dazu.
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Tchaikovsky, Peter: Symphony No. 6: Mariinsky Orchestra, Valery Gergiev |
|||
Label: Anzahl Medien: |
Mariinsky 1 |
Medium:
EAN: |
CD
822231801924 |
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Tschaikowsky, Peter |
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Mariinsky Das Mariinsky-Theater gehört zu den renommiertesten Opernhäusern der Welt. Zu Sowjetzeiten in Kirow Theater unbenannt, trägt es seit 1992 wieder seinen ursprünglichen Namen. Seit 1996 ist Valery Gergiev dem Haus als künstlerischer Leiter und Intendant verbunden. Auf dem hauseigenen Label werden die herausragende künstlerische Leistung dieses traditionsreichen Hauses dokumentiert. Das Repertoire umfasst neben Oper auch das große symphonische und konzertante Repertoire des 19. und 20. Jahrhunderts. Mehr Info... |
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