
Schütz, Heinrich: Psalmen & Friedensmusiken - Dresdner Kammerchor, Hans-Christoph Rademann
Finale
Label/Verlag: Carus
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Was für eine Großtat von Hans-Christoph Rademann und seinen Ensembles. Schütz komplett das gibt es jetzt auf hohem und höchstem Niveau. Für Enthusiasten ist die Reihe unverzichtbar.
Da ist sie nun also, die zwanzigste und abschließende Folge der großen Schütz-Gesamteinspielung bei Carus, realisiert unter der künstlerischen Leitung von Hans-Christoph Rademann, getragen und befördert von vielen, in Teilen mitverantwortet vom mittlerweile verstorbenen Ludger Rémy, der einige noble Folgen mit kleiner besetzten Werken angeleitet hat. Und mit einem Finale, das es unter dem Titel 'Psalmen & Friedensmusiken' noch einmal in sich hat, weit entfernt von der Präsentation vermeintlicher Repertoirereste.
Oliver Geisler, in Sachen Dramaturgie und anregender Booklettexte eine wichtige Konstante des Projekts, stellt in der Einführung wiederum geistvolle und relevante Betrachtungen an, zum höfischen Leben und den notwendigen Verhaltensweisen für eine erfolgreiche Existenz an eben den Höfen des 17. Jahrhunderts, auch zum heute oft – einerseits unter dem Eindruck romantischen Geniekults wie der extremen Machtausformung totalitärer Regime des 20. Jahrhunderts andererseits – eher kontrovers diskutierten Verhältnis von Kunst und Macht. Und das nicht ohne Anlass, stehen doch in dieser Folge große Staats- und Friedensmusiken auf dem Programm, vielgestaltig, substanziell durchgehend hochklassig für offenkundig besonders repräsentative Anlässe. Das sind prächtige Psalmen, Huldigungsmusiken oder Auftragswerke, die Schütz auf der Höhe seines Schaffens in ganz verschiedenen Lebensphasen zeigen. Werke in komplexer, oft mehrchöriger Anlage, mit reichen Möglichkeiten für instrumentale Entfaltung, darunter Paradebeispiele für allergrößte Ambition außerhalb der bekannten Sammlungen, zum Beispiel der Psalm 'Herr, der du bist vormals gnädig gewest' SWV 461 oder der nicht minder beeindruckende Psalm 116 'Das ist mir lieb' SWV 51. Allein diese Musiken umfassen beinahe alles, was Schütz' Qualitäten ausmacht.
Berührendes Trauerlied
Am Schluss kommt dann noch ein Kontrast dazu, zeigt sich Schütz über die Jahrhunderte weg als liebender, trauernder Mensch, als verzweifelter Ehemann, der sich trotz aller Glaubensräson nur widerwillig in das Schicksal des allzu früh Verwitweten fügt. Und Schütz offenbart sich in dem Trauerlied 'Mit dem Amphion zwar' in einem eigenen Text, der unmittelbar anrührt. Ein Auszug sei zitiert: ‚Gleich wie die helle Sonn dem blauen Himmelsthrone die schönste Zierde ist, also wart Ihr mein Licht, meins Herzens Zierd und Wonne; aber zu dieser Frist ich nun verspür, dass durch Euch mir und meinem Haus solch edles Licht vergangen: Mit Finsternis, als im Gfängnis bin ich Elender nun worden umfangen. / Zwei liebste Töchterlein habt Ihr mir hinterlassen, daran ich all mein Lust und Herzensfreud gehabt hab über alle Maßen, weil ich Euch hab gewusst. Aber wenn ich sie jetzt ansich, so tut’s mich in meim Herzen heftig kränken, weil an ihn beid Euer Kontrafeit ich schau und an mein schweres Leid muss denken.‘ Wer fühlte sich davon nicht angerührt, zumal in eine schlichte strophische Anlage gesetzt und nicht durch musikalische Raffinessen überlagert? Was für ein Abschluss der Gesamteinspielung, gesammelt und nahbar, nach all der großen und großartigen Musik.
Herausragende Expertise
Vokal hat sich die Einspielung seit der Geistlichen Chormusik und den Italienischen Madrigalen Stück für Stück vom Dresdner Kammerchor als Hauptakteur wegbewegt. Der blieb freilich der Kern, hier mit 18 schlanken Stimmen besetzt, im vergangenen Jahrzehnt in permanenter personeller Erneuerung und Weiterentwicklung – und damit heute noch luzider, noch konzentrierter und agiler als seinerzeit. Wesentlicher vokaler Akteur ist eine solistische Riege geworden, die so homogen agiert, dass sie im ‚Schütz-Fach‘ mittlerweile ihresgleichen sucht. Im Sopran sind hier Gerlinde Sämann, Isabel Schicketanz, Maria Stosiek und Dorothee Mields zu hören, Altus singen David Erler und Stefan Kunath, Tenor Georg Poplutz und Tobias Mäthger, Bass Felix Schwandtke und Martin Schicktanz. Im Lauf der Jahre haben sich auf hohem Niveau weitere Vokalisten in diese Reihe gefügt. Gemeinsam liegt ein langer Weg hinter den Akteuren. Und bei aller schon anfänglichen Qualität kann man sagen, dass eine deutliche Reifung, eine Profilierung und fortdauernde idiomatisch Erkundung zu beobachten ist. Diesen Reichtum nehmen alle mit auf ihren weiteren Weg – ein unschätzbarer Wert. Und es ist entscheidend, dass profilierte Solisten dieses Ensemble geformt haben: So ist Schütz‘ Musik ideal verstanden und gesungen, wenn beides da ist – die solistische Geste genauso wie das zurückgenommene Ensemble.
Hans-Christoph Rademann entfaltet Schütz frisch und differenziert aus der Musik, mit viel Mut zur klaren Zeichnung. Nicht nur bei den Tempi, auch dynamisch kosten die Akteure alles aus – nuanciert, aber auch nicht scheu, wenn es darum geht, profunde Wirkungen zu entfalten. Gerade in dieser Hinsicht ist der Reihe im Lauf der Zeit eine immer entschiedenere Haltung zu attestieren. Intoniert wird wie stets makellos, leicht, frei, belebt: Intonation nie als Sphäre der Besorgnis, sondern der reinen Freude. Und: Sprache und Musik – hier sind sie versöhnt; keine formelhafte Wendung ist zu hören, alles wirkt stimmig entwickelt, gelegentlich gar leidenschaftlich durchglüht. Und auch wenn aus dem vokalen Ensemble keine Stimme im engeren Sinne herausragt, seien doch zwei Sänger hervorgehoben, die prägende Größen wurden: Der Tenor Georg Poplutz und der Bass Felix Schwandtke verfügen mittlerweile über eine eindrucksvolle stimmliche Autorität, über eine interpretatorische Glaubwürdigkeit – neben Stimmschönheit und natürlich-klarer Diktion selbstverständlich –, die Eindruck machen. Und so gerät die von Poplutz gesungene Trauerode zum sicher persönlichsten der rund 500 überlieferten Werke Schütz‘.
Feine Sphären
Nicht unerwähnt bleiben sollen die typischen Instrumente: Violinen, Violen, Zinken, Flöten, Posaunen, Dulzian, Theorbe, Violone und Orgel grundieren, ergänzen Farbwerte, schaffen feine Sphären, die das Vokale kongenial fortsetzen. Auch unter den Instrumentalisten ist Klasse versammelt, in hoher personeller Kontinuität. Und auch hier wurde ein enormer Erfahrungsschatz erspielt. Erfahrung ist auch das Stichwort für den Klangeindruck: Die Aufnahme entstand in der Radeberger Stadtkirche, der ‚Heimspielstätte‘ der Aufnahmen, und ist im besten Sinne ausgewogen, routiniert, balanciert, mit einem feinen Abbild aller Sphären.
Was für ein Finale. Und: Was für eine Großtat. Schütz komplett – das gibt es jetzt auf hohem und höchstem Niveau. Für Enthusiasten ist die Reihe unverzichtbar. Wer sich in Zukunft als Interpret mit Schütz befasst, wird sich an der famosen Carus-Edition messen lassen müssen.
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Schütz, Heinrich: Psalmen & Friedensmusiken: Dresdner Kammerchor, Hans-Christoph Rademann |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Carus 2 07.06.2019 |
Medium:
EAN: |
CD
4009350832787 |
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Schütz, Heinrich |
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Carus Der Name Carus steht weltweit als ein Synonym für höchsten Anspruch und Qualität auf dem Gebiet geistlicher Chormusik. Dies betrifft nicht nur unsere zuverlässigen Noteneditionen vieler zu Unrecht in Vergessenheit geratener Werke. Es ist uns ein besonderes Anliegen, gerade diese Werke - oft als Weltersteinspielungen - auch in exemplarischen Interpretationen durch hochrangige Interpreten und Ensembles auf CD vorzulegen. Der weltweite Erfolg unseres Labels führte zur Erweiterung unseres Katalogs: Neben der Chormusik, die weiterhin den Schwerpunkt des Labels bildet, haben gerade in den letzten Jahren einige Aufnahmen barocker Instrumentalwerke internationale Beachtung gefunden. Unsere Zusammenarbeit mit erstklassigen Interpreten führte zu einer hohen Klangkultur, die mit der Verleihung vieler internationaler Preise honoriert wurde (Diapason d'Or, Preis der Deutschen Schallplattenkritik, Gramophone - Editor's choice). Mehr Info... |
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