
Schneider, Friedrich: Symphony No.16, Overtures - Anhaltische Philharmonie Dessau, Markus Frank
Am Puls der deutschen Romantik
Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Friedrich Schneider (1786-1853) galt zeitweise als einer der führenden deutschen Oratorien- wie auch Orchesterkomponisten. Dreißig Jahre wirkte er in Dessau. Das dortige Orchester schenkt ihm mit dieser Aufnahme eine eindrucksvolle Visitenkarte.
Mit 23 Symphonien und mehr als zwanzig Konzert-Ouvertüren überflügelte Schneider sein musikalisch oft spürbares Vorbild Beethoven, jenem schönen historischen Grundsatzklischee zum Trotze, dass zumindest kein bedeutender Komponist des 19. Jahrhundert über den berühmten Neuner mehr hinausgekommen sei. Wie der eine Generation jüngere, ebenfalls als Symphoniker nur zu Leibzeiten ganz hoch geschätzte Joachim Raff geriet Schneider gegenüber Mendelssohn, Schumann und schließlich Brahms schon vor seinem Tode zunehmend in Vergessenheit (eine Ausnahme bildete sein Oratorium 'Das Weltgericht'), da viele seiner Werke zudem trotz höchst erfolgreicher Aufführungen (u. a. in Leipzig durch Felix Mendelssohn Bartholdy) ungedruckt blieben. Dass er 1818 eine 'Tragische Ouvertüre' schrieb (wie schon als Jugendwerk 1805 eine ebenfalls beachtenswerte 'Ouverture tragique') und 1830 eine Festouvertüre 'Gaudeamus igitur' über ‚akademische‘ Lieder, rückt ihn zudem in eine gewisse Brahms-Perspektivik – wobei gerade diese beiden Ouvertüren-Typen bürgerlich-konzertanten Gepflogenheiten der ‚langen‘ Romantik durchaus komponistenübergreifend entsprachen (Brahms formulierte gewissermaßen den Höhepunkt dieser Charakter- und Feier-Schablonen aus).
Eine Tragische (1818) und eine Fest-Ouvertüre (1830)
Beide hier enthaltene Werke, deren Stimmen und Partitur erst einmal neu ediert werden mussten, wie auch die 16. Symphonie und die dritte enthaltene 'Ouvertüre über den Dessauer Marsch' von 1822, zeigen dann auch die Stärken Schneiders im Ouvertüren-Genre: Sie sind farbig instrumentiert, kontrapunktisch dicht, teils originell, teils in den Übergangs-Sequenzierungen auch etwas zu routiniert ausgearbeitet, vor allem aber melodisch ziemlich charakteristisch und eingängig. Zwar können sie mit der noch reichhaltigeren Fantasie und Dramatik in Mendelssohns vier Gattungsvorbildern vom 'Sommernachtstraum' hin zu den 'Hebriden' oder Beethovens tragischer 'Coriolan'-Ouvertüre nicht ganz konkurrieren, erreichen aber durchaus die Qualitäten etwa von Robert Schumanns (etwas späteren) Gattungsbeiträgen.
Neben Beethoven-Gefolgschaft klingt in der 'Tragischen' wie auch den übrigen Werken zudem jener ‚romantische Ton‘ an, den wir mit Mendelssohn, aber auch Ouvertüren von Weber und den Spielopern-Komponisten der ersten Jahrhunderthälfte verbinden. Über die Ouvertüren-Modelle der französischen Opéra-comique, etwa des ebenfalls gerade auf CD wiederentdeckten Daniel Auber, gehen sie in ihrer etwa zehnminütigen sonatensatzähnlichen Anlage deutlich hinaus und sind im Sinne Beethovens oder auch Berlioz‘ als symphonisch-poetische Entwürfe auf den Konzertsaal und die dortige Publikumsidentifikation hin ausgerichtet. Die das Programm dieser CD eröffnende 'Ouvertüre über den Dessauer Marsch' zielt wie die Studentenliedgut zitierende Festouvertüre im Hymnischen auf Gemeinschaftserlebnis bei Musikfesten mit Mitsummen – auf eine Art mitteldeutsche ‚Proms‘ im Kontext des Leipziger oder Dessauer Musiklebens. Absolut faszinierend!
Eine Symphonie, die auch Mendelssohn gestanden hätte
Die 16. Symphonie in A-Dur entstand im Jahre 1818, was man sich bei ihren dem reiferen Schubert und Mendelssohn durchaus schon entsprechenden Tonfällen immer wieder in Erinnerung rufen sollte: Der Kopfsatz besitzt in den Themenblöcken schöne Einfälle und Kontraste, wobei dessen langsame Einleitung schon den choralartigen Ton des Andante-Satzes exponiert und in eine ganz Beethoven-gemäße Bewegung versetzt, die zum pastoral anmutenden Hauptthema leitet. Jenes Andante mit gekonnt instrumentierten Cantus-firmus-Variationen bildet mit seinem Choral- und Marsch-Topos einen tragisch-traurigen ersten Gegenpol. Das folgende Menuetto mit zeitgemäß gesteigerter Scherzo-Wucht, überbordendem Tänzerischem hat eher wieder einen Zug zum ‚Ländlerischen‘ und das Finale versprüht in seiner Sonatensatz-Anlage mit erhabenem und sanglich-fröhlichem Themenblock eine Euphorie, die wiederum an Beethovens Siebte oder einige Finali in Schuberts Symphonien gemahnt: zeittypisch auf hohem Niveau.
Ansprechende Ersteinspielungen
Die Anhaltische Philharmonie Dessau macht unter ihrem (gegenüber dreißig Jahren Amtszeit Schneiders) im Aufnahmejahr 2017 noch recht frischen Chefdirigenten Markus L. Frank viel aus diesen lange nicht erhörten Partituren: Wichtig erscheint vor allem die Tempi-Wahl, und die ist vor allem in der Symphonie wie auch der Dessauer Marsch-Ouvertüre nahezu ideal gelungen. In der 'Akademischen' sind die Tempowechsel werkbedingt in der Abfolge charakteristisch höchst unterschiedlicher Lied-Komplexe schwieriger, und die Orchestration erscheint als manchmal recht massiver Mischklang zudem problematischer – hier könnte man sich den voluminöseren Streichersound mancher Spitzenorchester wünschen, wird aber auch so in einer nicht immer überragenden, aber auch nicht enttäuschenden Umsetzung gut durch das Stück geführt. Vom ihrem wie bei Brahms die Themen zum 'Gaudeamus igitur' hin versammelnden Finale her stünde es eigentlich besser am Programmende; mit der 'Ouverture tragique' werden abschließend aber noch einmal Schneiders Talente als Schöpfer ‚charakteristischer‘ Klangwelten demonstriert, die schon in der A-Dur-Symphonie für den Komponisten einnehmen. Als qualitativ keineswegs abfallende Ergänzung zum symphonischen Kernrepertoire der ersten drei Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts ist die hier zu hörende Musik eine wichtige Entdeckung.
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Schneider, Friedrich: Symphony No.16, Overtures: Anhaltische Philharmonie Dessau, Markus Frank |
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Label: Anzahl Medien: |
cpo 1 |
Medium:
EAN: |
CD
761203518029 |
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Schneider, Friedrich |
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cpo Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
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