
Rosanne Philippens - Insight - Rosanne Philippens, Violine
Eine freigeistige Einzelkämpferin
Label/Verlag: Channel Classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Die niederländische Geigerin Rosanne Philippens bricht auf ihrer neuen CD 'Insight' mit Konventionen und verleiht verschiedenen Solowerken ihre ganz persönliche Note.
Für jeden Geiger ist es eine besondere Erfahrung, mit Sololiteratur aufzutreten. Einerseits bietet es große Freiheiten, wenn man sich beim Musizieren nicht auf einen Pianisten oder ein Orchester als Begleitung verlassen, niemanden anführen und sich interpretatorisch nur mit sich selbst absprechen muss. Andererseits ist man jedoch auch ‚schutzloser‘, hat also keine untermalende Stütze. In den meisten Solostücken wird die Violine mehrstimmig, also selbstbegleitend eingesetzt, was auch rein spieltechnisch neue Herausforderungen bedeutet.
Eine komplette CD nur mit unbegleiteten Werken zu veröffentlichen, erfordert aber auch noch aus einem ganz anderen Grund einen gewissen Mut: Die berühmtesten Kompositionen für Violine solo von Johann Sebastian Bach und Eugène Ysaÿe sind einfach wirklich sehr bekannt, es gibt bereits unzählige Einspielungen und Kenner haben von jeder einzelnen Note bereits klare Vorstellungen. Rosanne Philippens lässt sich davon nicht abschrecken, sie scheint es sich vielmehr zum Ziel gemacht zu haben, die Zuhörer nicht nur mit ihrem Spiel zu überzeugen, sondern auch mit ihren exzeptionellen Einfällen. Die extravagante Struktur ihres Programms entstand auf einer Konzerttournee, nach jedem Auftritt erbat sich die Künstlerin Feedback von ihrem Publikum und hielt die endgültige Fassung schließlich auf der Platte fest.
Unorthodoxe Idee
Den Rahmen der Einspielungen bildet die berühmte Passacaglia aus den 'Rosenkranz- Sonaten' von Heinrich Ignaz Franz Biber, bei der das zweitaktige Bassmodell in 60 Variationen umspielt wird. Wer sich jetzt fragt, wie ein einziges Stück einen Rahmen bilden kann, ist auf der richtigen Spur, denn dies ist vielleicht die unorthodoxeste Idee der Interpretin: Rosanne Philippens teilt die Passacaglia einfach in zwei Hälften und stellt diese an den Anfang und das Ende ihres Programms. Die Aufnahme ist äußerst klangedel, sehr frei und ziemlich reich an Vibrato, allerdings muss man tolerant sein und über die Zerstückelung von Bibers Werk hinwegsehen, um den feinen Ton von Philippens‘ Stradivari wertschätzen zu können.
Zwar entzweit die Geigerin im Folgenden keine weiteren Stücke mehr, würfelt jedoch die verschiedenen Einzelsätze ganz schön durcheinander. So finden sich auf der Platte vier Sätze aus Bachs zweiter Solopartita in d- Moll, zwischen der barocken Courante und der Sarabande fügt Philippens jedoch eine Sarabande aus dem 20. Jahrhundert, nämlich die von George Enescu, ein.
Instinktiv
Die künstlerische Handschrift der Violinistin zeigt sich klar bei allen Titeln auf der CD: Ihre Interpretationen wirken sehr instinktiv, was sich zum einen an den vielen metrischen Freiheiten und Rubati liegt, ihrem Spiel andererseits aber auch eine besondere Ausdrucksstärke und emotionalen Tiefgang verleiht. So dürfte Rosanne Philippens‘ Version von Bachs d- Moll-Partita einem Kritiker sehr gefühlsgesteuert und vielleicht auch zu wenig harmoniebezogen erscheinen. Beim genauen Hinhören merkt man jedoch, dass die Geigerin trotz eher melodiöser Phrasierung die Harmoniewechsel genau spürt, und wer offen für liberale Interpretationen ist, wird ihre entkrampfte Intensität zu würdigen wissen.
Bei den seltener gespielten Werken des rumänischen Komponisten George Enescu, der oben genannten Sarabande und vier 'Airs dans le genre roumain', ist gestalterische Autarkie ein wesentlich weniger heikles Thema als bei Bach. Den oft volkstümlichen und rhapsodischen Charakter der Stücke trifft Philippens hervorragend und lässt die Airs als leidenschaftliche und humorvolle Tänze erklingen, die als Abwechslung zwischen den deutlich ‚ernsteren‘ Kompositionen von Bach und Ysaÿe jedoch ein bisschen wie Salonmusik wirken.
Mühelos
Die Einspielung von Ysaÿes dritter Solosonate 'Ballade', die übrigens Enescu gewidmet ist, ist wirklich bemerkenswert: Selten hört man dieses technisch und musikalisch extrem anspruchsvolle Werk mit derartiger Mühelosigkeit und dennoch virtuoser Vehemenz. Blitzsauber meistert Philippens die komplizierten Akkorde, scheinbar spielerisch hebt sie Stimmen hervor und formt ihren Klang mal schlank und elegant, mal volltönend und sonor, dann wieder wuchtig-aggressiv oder schmeichelnd und charmant.
Die freigeistigen Interpretationen und die Anordnung der Stücke sind nicht die einzigen unkonventionellen Innovationen auf der CD: Zwischen den Werken schiebt Rosanne Philippens immer wieder spontan bei den Aufnahmen entstandene Improvisationen ein und endet das Programm – nach der zweiten Hälfte der zerrissenen Passacaglia – mit einem 'Outro', in dem sie ein katalanisches Volkslied, John Coltranes 'Resolution' und Elemente von Paganini kombiniert. Die Improvisationen sind meist ziemlich kurz und greifen Motive der eingespielten Solowerke auf. Die Geigerin experimentiert zudem gerne mit Flageoletts und dem metallischen ‚sul ponticello‘-Klang, der beim Streichen direkt am Steg entsteht. Ob diese Einwürfe eine Bereicherung oder eher störend sind, muss jeder für sich selbst beurteilen.
Wer auf der Suche nach neuen Ideen oder besonders leidenschaftlichen und liberal denkenden Interpreten ist, wird bei diesem Tonträger sicher auf seine Kosten kommen. Geigerisch lohnt sich das Hören auf jeden Fall, denn Philippens ist eine hervorragende Musikerin, ob einem das Konzept von 'Insight' nun gefällt oder nicht.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!
Ihre Meinung? Kommentieren Sie diesen Artikel
Jetzt einloggen, um zu kommentieren.
Sind Sie bei klassik.com noch nicht als Nutzer angemeldet, können Sie sich hier registrieren.
Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
![]() Cover vergrößern |
Rosanne Philippens - Insight: Rosanne Philippens, Violine |
|||
Label: Anzahl Medien: |
Channel Classics 1 |
Medium:
EAN: |
CD
723385416197 |
![]() Cover vergössern |
Channel Classics Channel Classics Records is a quality record label based in Holland. Director, producer and recording engineer is C. Jared Sacks. Having grown up in Boston Massachusetts, schooled at Oberlin Conservatory and the Amsterdam Conservatory of music with 15 years experience playing French Horn, Jared decided to make his hobby of recording a profession in 1987. The label started in 1990 with the name Channel Classics coming from the street he lived on in Amsterdam. (Kanaalstraat).
Mehr Info... |
![]() Cover vergössern |
Jetzt kaufen bei... |
Weitere Besprechungen zum Label/Verlag Channel Classics:
-
Härtetest bestanden: Ning Feng meistert Paganini bravourös. Weiter...
(Oliver Bernhardt, )
-
Schonungslos offen: Ning Feng mit einem großen Bach-Wurf. Weiter...
(Oliver Bernhardt, )
-
De-fragmentiert: Sieben Mozart-Premieren in neuen Vervollständigungen von Timothy Jones. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
Weitere CD-Besprechungen von Susanna Morper:
-
Transzendenz der Klangwelten: Die Violinistin Tatiana Chulochnikova stellt auf ihrer CD 'Meditations and Reflections' mit Improvisationen und Werken aus verschiedenen Epochen zwei Klang- und Stilwelten einander gegenüber und kombiniert diese zu einer selbst erdachten Suite. Weiter...
(Susanna Morper, )
-
Resoluter Impressionismus: Auf ihrer neuen CD mit Violinsonaten französischer Komponisten präsentieren Klára Würtz und Kristóf Baráti drei wenig ausschweifende, aber doch unverwechselbare Interpretationen. Weiter...
(Susanna Morper, )
-
Skandal-König, Bad Boy, Neoromantiker: Der amerikanische Komponist George Antheil änderte im Laufe seines Lebens seinen Stil entscheidend, blieb aber seiner Liebe zu perkussiven Rhythmen und Dissonanzen treu. Vier Violinsonaten hinterließ Antheil. Weiter...
(Susanna Morper, )
Weitere Kritiken interessanter Labels:
-
Seltene Cello-Werke: Bartosz Koziak spielt Musik von Bohuslav Martinu. Weiter...
(Dr. Jan Kampmeier, )
-
Auftakt zu einer Trilogie: 'Christus das Kind' ist eine interessante Ausgrabung, die das Umfeld frühromantischer Oratorienliteratur verdeutlicht bzw. erst ins Blickfeld rückt. Ein 'Aha!'-Effekt stellt sich aber nicht ein. Weiter...
(Benjamin Künzel, )
-
Suggestive Trauergesänge: Glagolitische Riten beeindruckten Igor Kuljerić seit seiner Jugend. In seiner Totenmesse sprengt er damit den Rahmen. Weiter...
(Christiane Franke, )
Portrait

"Bei der großen Musik ist es eine Frage auf Leben und Tod."
Der Pianist Herbert Schuch im Gespräch mit klassik.com.
Sponsored Links
- klassik.com Radio
- Urlaub im Schwarzwald
- Neue Musikzeitung
- StageKit - Websites für Musiker, Veranstalter und Konzertagenturen
Hinweis:
Mit Namen oder Initialen gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers,
nicht aber unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Die Bewertung der klassik.com-Autoren:
Überragend
Sehr gut
Gut
Durchschnittlich
Unterdurchschnittlich