
Korngold, Erich Wolfgang: Das Wunder der Heliane - Deutsche Oper Berlin, Marc Albrecht
Rauschhafte Entmystifizierung
Label/Verlag: Naxos
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Nach dem Genuss dieser Doppel-DVD ist man restlos erledigt, aber selig.
Als im Frühjahr 2018 an der Deutschen Oper Berlin Erich Wolfgang Korngolds 'Das Wunder der Heliane' zur Premiere kam, überschlugen sich förmlich die Kritiken und Publikumsreaktionen vor Begeisterung. Und wenn man sich nun den bei Naxos erschienenen Mitschnitt der Produktion ansieht – und vor allem anhört –, kann man in den Jubel nur mit einsteigen. Hier ist es endlich gelungen, eine sowohl szenisch überzeugende Umsetzung zu finden als auch die erste ohne Abstriche beglückende Interpretation auf Tonträger zu liefern.
Die Renaissance der schwülstigen und in allen Belangen überdimensionierten 'Heliane' hat lange auf sich warten lassen, und selbst als Anfang der 1990er die erste Gesamtaufnahme bei Decca auf den Markt kam, war das nicht wirklich der Auslöser für eine vorbehaltslose Wiederentdeckung – und eine Referenzaufnahme gelang damals, trotz großer Namen, leider auch nicht. Immerhin kam vor Kurzem (auch bei Naxos) der Freiburger Mitschnitt einer konzertanten Aufführung des 'Wunders der Heliane' auf CD heraus – die zweite erhältliche Gesamtaufnahme. Überzeugend war aber auch diese Einspielung nicht, da sich die Sänger allesamt latent überfordert präsentierten. Da könnte man schon zu dem Schluss kommen, dass diese Partien wohl einfach nicht souveräner zu singen sind. Zu heftig sind die Anforderungen an Stimme, Technik, Ausdruck und vor allem Ausdauer.
Phänomenale Heliane
Die Berliner 'Heliane' von 2018 belehrt uns endlich eines Besseren: Treffender kann Korngolds gigantisches Opernmysterium nicht besetzt werden. Und auch Marc Albrecht am Pult des Orchesters der Deutschen Oper Berlin schwelgt im sinnlichen Klangrausch, der seinesgleichen sucht. Diese 'Heliane' betört, entfaltet Sogwirkung und reißt den Zuhörer und Zuschauer ungefragt mit sich. Schlicht phänomenal präsentiert sich die amerikanische Sopranistin Sara Jakubiak mit endlosem Atem, traumschöner Phrasierung und jenem Leuchten in der Stimme, das von der ersten Sekunde an fasziniert. Überhaupt scheint der jungen Sängerin die vokale Tour de Force keine Probleme zu bereiten. Mit Verve und Raffinesse wirft sie sich hochemotional ihre Partie, flutet mit ihrer prachtvollen Mittellage den Raum und verblüfft stets von Neuem mit nie enden wollenden Reserven, neue Farben zu finden und dynamisch genau zu differenzieren. Das 'Ich ging zu ihm' ist mit Jakubiaks cremig weichen Tönungen und dem sich steigernden Jubel ein Showstopper, den der Sopranistin so schnell keiner nachsingt.
Nicht weniger Begeisterung löst Brian Jagde in der stimmlich fordernden Partie des Fremden aus. Erfreulich textverständlich meistert er die tückischen Klippen dieser Rolle mit Bravour. Vor allem aber verlegt er sich nicht aufs Durchbrüllen, sondern ist in der Lage, Farben zu kreieren, wo andere kapitulieren, und zwischen Piano und Fortissimo die volle Bandbreite zu nutzen. Es ist atemberaubend, wie frisch und strahlend Jagde und Jakubiak im Schlussduett noch wirken. Am Ende eines langen und kräftezehrenden Opernabends behalten sie Oberwasser, schleudern nicht mit letzter Energie Spitzentöne heraus, sondern gestalten mit Tonschönheit und Souveränität. Davor kann man nur den Hut ziehen und anschließend in Jubel ausbrechen.
Ohne Peinlichkeit
Was Christof Loy in der Ausstattung von Johannes Leiacker und mit den Kostümen von Barbara Drosihn auf die Bühne gezaubert hat, ist wohltuend unpathetisch und rettet das religiös-erotische Handlungsrätsel der 'Heliane' vor der Peinlichkeit, die man zweifelsfrei bei dieser Geschichte um den dionysischen Fremden, den Gewaltherrscher und die ‚heilige‘ Heliane empfinden kann. Pate stand offenbar Wilders berühmter Film 'Zeugin der Anklage', und Loys Heliane hat ordentlich Ähnlichkeit mit Marlene Dietrich. Der Verzicht auf jegliche Mystifizierung lenkt den Blick auf die zentralen Nöte der handelnden Figuren, die allesamt bei Loy scharf gezeichnet sind und in ihrer Nahbarkeit allesamt anrühren. Selbst der Herrscher erhält so eine Dimension, die es ermöglicht, den Menschen hinter der namenlosen Schreckgestalt zu erblicken. Das ist zugleich das Verdienst von Josef Wagner, der den Herrscher mit einer elektrisierenden Mischung aus klangschöner baritonaler Noblesse und dramatischem Aplomb versieht. Auch darstellerisch holt er aus der Partie alles heraus, was zwischen den Zeilen verborgen liegt.
Okka von der Damerau fährt als abgründige Botin mit ihrem dramatischen Mezzosopran wie ein gleißendes Leuchtfeuer ins Geschehen und als Pförtner nimmt Derek Welton mit seinem opulenten Bassbariton für sich ein. Der blinde Schwertrichter wird bei Burkhard Ulrich zum unheimlichen Kabinettstück. Bis in die kleinste Partie ist dieses 'Wunder der Heliane' erstklassig besetzt, wie beispielsweise die stimmstarken Richter. Der hervorragend einstudierte Chor der Deutschen Oper Berlin glänzt in Gesang und genau geführtem Spiel.
Der Dirigent Marc Albrecht holt aus der farbigen Partitur alles an Sinnlichkeit und überwältigender Klangorgie heraus. Das mag dekadent tönen, aber so ist es vermutlich auch gemeint. Seine fabelhaften Musiker folgen ihm auf Schritt und Tritt und auch die Bühnenkünstler reiten kunstvoll und sportlich zugleich auf den Wellen, die aus dem Graben hervorbrechen. Nach dem Genuss dieser Doppel-DVD ist man restlos erledigt, aber selig.
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Korngold, Erich Wolfgang: Das Wunder der Heliane: Deutsche Oper Berlin, Marc Albrecht |
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Label: Anzahl Medien: |
Naxos 1 |
Medium:
EAN: |
DVD
747313558452 |
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Korngold, Erich Wolfgang |
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Naxos Als der Unternehmer Klaus Heymann 1982 für seine Frau, die Geigerin Takako Nishizaki in Hongkong das Plattenlabel Marco Polo gründete, war dies der Beginn einer beispiellosen Erfolgsgeschichte. Fünf Jahre später rief Heymann das Label NAXOS ins Leben, das in der Klassikwelt längst zur festen Größe geworden ist und es bis heute versteht, hohe Qualität zu günstigen Preisen anzubieten. Der einzigartige und sich ständig erweiternde Katalog des Labels umfasst mittlerweile über 8.000 CDs mit mehr als 130.000 Titeln - von Kostbarkeiten der Alten Musik über sämtliche berühmten "Klassiker" bis hin zu Schlüsselwerken des 21. Jahrhunderts. Dabei wird der Klassik-Neuling ebenso fündig wie der Klassikliebhaber oder -sammler. International bekannte Künstler wie das Kodály Quartet, die Geigerin Tianwa Yang, der Pianist Eldar Nebolsin und die Dirigenten Marin Alsop, Antoni Wit, Leonard Slatkin und Jun Märkl werden von NAXOS betreut. Darüber hinaus setzt NAXOS modernste Aufnahmetechniken ein, um höchste Klangqualität bei seinen Produktionen zu erreichen und ist Vorreiter in der Produktion von hochauflösenden Blu-ray Audios - Grund genug für das renommierte britische Fachmagazin "Gramophone", NAXOS zum "Label of the Year" 2005 zu küren. Auch im digitalen Bereich nimmt NAXOS eine Vorreiterrolle ein: Bereits seit 2004 bietet das Label mit der NAXOS MUSIC LIBRARY ein eigenes Streamingportal mit inzwischen über 1 Million Titel an und unterhält mit ClassicsOnline zudem einen eigenen Download-Shop. Mehr Info... |
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