
Gernsheim, Friedrich: String Quartets Vol.1 - Diogenes Quartett
Kammermusik vom Allerfeinsten
Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Das Diogenes Quartett wirft einen intensiven Blick auf den Streichquartettkomponisten Gernsheim.
Die cpo-Edition mit Kammermusik von Friedrich Gernsheim geht mit den insgesamt fünf Streichquartetten in die nächste Runde. Sein erstes Streichquartett schrieb Gernsheim (1839–1916) 1872, also rund dreiunddreißigjährig, während seiner vor Rotterdam und Berlin zu datierenden ersten substanziellen beruflichen Zeit als Lehrer am Konservatorium, Leiter des städtischen Gesangvereins und Kapellmeister am Stadttheater in Köln. Vielleicht kann man das erste Quartett als urban-ambitioniert bezeichnen, eine Komposition, mit der Gernsheim die Erwartungen hoch stellt und auch erfüllt. Das c-Moll-Werk mit der Opuszahl 25 zeigt einen Komponisten, unter anderem Absolvent des Leipziger Konservatoriums, der den Musikgeschmack seiner Zeit verstanden hat und sich in einer der schwierigsten aller Gattungen mit hohem Anspruch, feinem kontrapunktischen Gespür und auch sonst außerordentlichen technischen Fähigkeiten vorstellt. Dagegen ist das geringfügig kürzere dritte Quartett in F-Dur op. 51, 1885 während seiner Zeit als Leiter der Musikschule der Gesellschaft zur Beförderung der Tonkunst in Rotterdam entstanden, ein entspannteres Werk, das den etablierten Musiker, der um seinen Wert weiß und sich unbeirrt treu bleiben wird, auf der Höhe seiner Fähigkeiten zeigt.
Mit differenzierter Linienführung
Das Diogenes Quartett stellt vor allem das Miteinander der Stimmen und die Zwischentöne in beiden Kompositionen ganz außerdentlich heraus – die dynamischen Schattierungen innerhalb der kontrapunktischen Strukturen sind kongenial ausgeleuchtet. Man kann fast in jedem Moment jede Stimme einzeln gut verfolgen, gleichzeitig ist das kunstvolle Geflecht jederzeit präsent. Durch die ‚Individualisierung‘ der Stimmen (hier gibt es also keine ‚Klanghomogenisierung‘, die jeder kontrapunktischen Durchdringung entgegenstände) erhalten die Interpretationen teilweise etwas fast Modernes, gerade auch in der Raumplatzierung (selten habe ich Cellopizzicati und die Verteilung von Harmonien auf die vier Instrumenten derart klar gehört). Manchem mag diese bei anderen Ensembles präferierte Dominanz eines homogenen Klangerlebnisses fehlen – doch haben wir hier eben keine ‚stromlinienförmigen‘ Darbietungen, sondern echte Kammermusik vom Allerfeinsten.
Leider entspricht der Booklettext nicht der durchdachten Herangehensweise – die Werke selbst werden allzu kurz abgehandelt, der Komponist wider Willen eher mit Vorurteilen bedacht: Es ist unwahrscheinlich, dass Gernsheims Musik wegen seiner jüdischen Abstammung aus den Konzertprogrammen verschwand, vielmehr gehört sie einer Epoche an, die mit seinem Tod im Untergehen begriffen war. Heute können wir die Musikgeschichte entspannter betrachten und den Wert von Gernsheims Kammermusik ohne Not vollen Herzens genießen. Gerade in solch herausragenden Interpretationen.
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Gernsheim, Friedrich: String Quartets Vol.1: Diogenes Quartett |
|||
Label: Anzahl Medien: |
cpo 1 |
Medium:
EAN: |
CD
761203738724 |
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Gernsheim, Friedrich |
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cpo Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
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