
Mark Andre - WDR Sinfonieorchester, SWR Vokalensemble, Marcus Creed
Klangbaden
Label/Verlag: WERGO
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Sehr feine, subtile Klangräume zeichnen ein spirituelles Programm, das unmittelbar ansprechend ist.
'hij 1' und 'hij2' heißen die beiden Kompositionen von Mark Andre, die auf der zu besprechenden Aufnahme versammelt sind. ‚Hij‘ steht nicht einfach für ‚Hey‘, also ‚Hallo‘, auch wenn es ausgesprochen so klingt, sondern beschreibt als Akronym das Programm der beiden Stücke, die als Diptychon konzipiert sind: ‚Hilfe Jesu‘. Es geht, so das aufschlussreiche Essay, dem Komponisten um ‚den Ruf nach der Hilfe des Herrn‘.
Dabei geht es Andre in der musikalischen Umsetzung dieser Bitte um Hilfe vor allem um ein Spiel mit der Resonanz, einem essentiellen Elemente echter Spiritualität. Wer die CD abspielt, hört zunächst scheinbar nichts. Sind es Geräusche aus dem Nachbarzimmer oder der Straße – oder ist das, was man hört, schon Teil der Aufnahme? Da raschelt und zischt es, kaum hörbar, wie knisterndes Papier, da klopft es dann in genau abgestimmten Rhythmen leise, kaum vernehmbar – jetzt weiß man sicher, die Musik kommt aus den Lautsprechern –, bevor ein erster Ton, ein erster Klang hörbar wird: ein einzelner Ton, mehr Rhythmus als Melodie. Die Musik bäumt sich auf, verschwindet wieder, um dann in einer großen Elegie für Klarinette solo auf einem Klangteppich, in dem die Instrumente eher geschlagen als gestrichen werden, zu enden. Freilich: Wenn man aus dem Essay nicht wüsste, dass es eine Klarinette ist, würde man es nicht erraten. Die Klarinette wird mit der Öffnung auf das Fell einer Pauke gestellt und spielt lang angehaltene, fragile Töne, bis das Stück in der Stille entschwindet, aus der es gekommen zu sein scheint.
Meditative Stille
Auch 'hij2' ist ein stilles, ruhiges, meditatives Stück. Zu dem Orchester kommen nun aber wesentlich Stimmen hinzu, die unzusammenhängende Silben ins Mikrophon flüstern oder in langen Akkorden singen und ausschwingen lassen. Alles bleibt zerbrechlich, fragmentarisch und fragil.
Das WDR Sinfonieorchester unter der Leitung von Mariano Chiacchiarini hat 'hij1' im Jahr 2015 eingespielt, 'hij2' ist ein Livemitschnitt einer Aufführung von 2013 des SWR Vokalensembles und des SWR Experimentalstudios unter der Leitung von Marcus Creed. Beide Aufnahmen zeichnen sich durch einen hervorragend plastischen Klang und eine sehr hohe Sensibilität für die feine, fragile Klangsprache Andres aus.
Eine Bemerkung vielleicht noch zum Schluss: Wenn über Mark Andre, geboren 1964, geschrieben wird, dann wird immer wieder seine Nähe zur Darmstädter Schule betont. Daran mag etwas richtig sein, immerhin war er Schüler von Lachenmann (dem 'hij1' gewidmet ist) und als solcher der Darmstädter Tradition sehr verbunden. Aber musikalisch hat er sich doch weit vom Intellektualismus der Darmstädter entfernt und steht einem anderen Komponisten viel näher: dem Amerikaner John Cage. Sicherlich nicht in der Art, wie die Kompositionen notiert sind, aber im Hörerlebnis. Die Unterscheidung von Geräusch und Musik wird aufgehoben, die Räume der Musik entwickeln sich aus den Geräuschen. Andre entwickelt Klangräume, die oft sehr zart und subtil, aber voller Leben sind, und die eine hohe Aufmerksamkeit von den Hörern und Hörerinnen einfordern. Klangräume, in denen zumindest ich mich sehr gerne lange aufhalte.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Mark Andre: WDR Sinfonieorchester, SWR Vokalensemble, Marcus Creed |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
WERGO 1 22.03.2019 |
Medium:
EAN: |
CD
4010228737929 |
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