> > > Mark Andre: WDR Sinfonieorchester, SWR Vokalensemble, Marcus Creed
Montag, 4. Dezember 2023

Mark Andre - WDR Sinfonieorchester, SWR Vokalensemble, Marcus Creed

Klangbaden


Label/Verlag: WERGO
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Sehr feine, subtile Klangräume zeichnen ein spirituelles Programm, das unmittelbar ansprechend ist.

'hij 1' und 'hij2' heißen die beiden Kompositionen von Mark Andre, die auf der zu besprechenden Aufnahme versammelt sind. ‚Hij‘ steht nicht einfach für ‚Hey‘, also ‚Hallo‘, auch wenn es ausgesprochen so klingt, sondern beschreibt als Akronym das Programm der beiden Stücke, die als Diptychon konzipiert sind: ‚Hilfe Jesu‘. Es geht, so das aufschlussreiche Essay, dem Komponisten um ‚den Ruf nach der Hilfe des Herrn‘.

Dabei geht es Andre in der musikalischen Umsetzung dieser Bitte um Hilfe vor allem um ein Spiel mit der Resonanz, einem essentiellen Elemente echter Spiritualität. Wer die CD abspielt, hört zunächst scheinbar nichts. Sind es Geräusche aus dem Nachbarzimmer oder der Straße – oder ist das, was man hört, schon Teil der Aufnahme? Da raschelt und zischt es, kaum hörbar, wie knisterndes Papier, da klopft es dann in genau abgestimmten Rhythmen leise, kaum vernehmbar – jetzt weiß man sicher, die Musik kommt aus den Lautsprechern –, bevor ein erster Ton, ein erster Klang hörbar wird: ein einzelner Ton, mehr Rhythmus als Melodie. Die Musik bäumt sich auf, verschwindet wieder, um dann in einer großen Elegie für Klarinette solo auf einem Klangteppich, in dem die Instrumente eher geschlagen als gestrichen werden, zu enden. Freilich: Wenn man aus dem Essay nicht wüsste, dass es eine Klarinette ist, würde man es nicht erraten. Die Klarinette wird mit der Öffnung auf das Fell einer Pauke gestellt und spielt lang angehaltene, fragile Töne, bis das Stück in der Stille entschwindet, aus der es gekommen zu sein scheint.

Meditative Stille

Auch 'hij2' ist ein stilles, ruhiges, meditatives Stück. Zu dem Orchester kommen nun aber wesentlich Stimmen hinzu, die unzusammenhängende Silben ins Mikrophon flüstern oder in langen Akkorden singen und ausschwingen lassen. Alles bleibt zerbrechlich, fragmentarisch und fragil.

Das WDR Sinfonieorchester unter der Leitung von Mariano Chiacchiarini hat 'hij1' im Jahr 2015 eingespielt, 'hij2' ist ein Livemitschnitt einer Aufführung von 2013 des SWR Vokalensembles und des SWR Experimentalstudios unter der Leitung von Marcus Creed. Beide Aufnahmen zeichnen sich durch einen hervorragend plastischen Klang und eine sehr hohe Sensibilität für die feine, fragile Klangsprache Andres aus.

Eine Bemerkung vielleicht noch zum Schluss: Wenn über Mark Andre, geboren 1964, geschrieben wird, dann wird immer wieder seine Nähe zur Darmstädter Schule betont. Daran mag etwas richtig sein, immerhin war er Schüler von Lachenmann (dem 'hij1' gewidmet ist) und als solcher der Darmstädter Tradition sehr verbunden. Aber musikalisch hat er sich doch weit vom Intellektualismus der Darmstädter entfernt und steht einem anderen Komponisten viel näher: dem Amerikaner John Cage. Sicherlich nicht in der Art, wie die Kompositionen notiert sind, aber im Hörerlebnis. Die Unterscheidung von Geräusch und Musik wird aufgehoben, die Räume der Musik entwickeln sich aus den Geräuschen. Andre entwickelt Klangräume, die oft sehr zart und subtil, aber voller Leben sind, und die eine hohe Aufmerksamkeit von den Hörern und Hörerinnen einfordern. Klangräume, in denen zumindest ich mich sehr gerne lange aufhalte.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Mark Andre: WDR Sinfonieorchester, SWR Vokalensemble, Marcus Creed

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
WERGO
1
22.03.2019
Medium:
EAN:

CD
4010228737929


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WERGO

Als 1962 die erste Veröffentlichung des Labels WERGO erschien - Schönbergs "Pierrot lunaire" mit der Domaine musicale unter Pierre Boulez -, war dies ein Wagnis, dessen Ausgang nicht abzusehen war. Werner Goldschmidt, ein Kunsthistoriker, Sammler und Enthusiast im besten Sinne, war es, der - gemeinsam mit dem Musikwissenschaftler Helmut Kirchmayer - den Grundstein zu dem Label legte, das seit inzwischen 50 Jahren zu den führenden Labels mit Musik unserer Zeit zählt.
Noch immer hält WERGO am Anspruch, unter den Goldschmidt seine "studioreihe neue musik" gestellt hatte, fest: die hörende wie lesende Beschäftigung mit der neuen Musik anzuregen und in Produktionen herausragender InterpretInnen und von FachautorInnen verfassten ausführlichen Werkkommentaren zu dokumentieren.
Auf mehr als 30 Schallplatten kam die Reihe mit roter und schwarzer Schrift auf weißem Cover, dann wurde die Unternehmung zu groß für einen Einzelnen. Seit 1967 engagierte sich der Musikverlag Schott zunehmend für das Label, 1970 schließlich nahm Schott das Label ganz in seine Obhut. Seither wurden mehr als 600 Produktionen veröffentlicht, die ungezählte Preise erhalten haben und ein bedeutendes Archiv der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts darstellen.
Kaum einer der arrivierten zeitgenössischen Komponisten fehlt im Katalog. Ergänzt wird dieser Katalog seit 1986 durch die inzwischen auf über 80 Porträt-CDs angewachsene "Edition Zeitgenössische Musik" des Deutschen Musikrats, die mit Werken junger deutscher KomponistInnen bekannt macht. Neben dieser Zusammenarbeit bestehen Kooperationen mit dem Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe ("Edition ZKM") und dem Studio für Akustische Kunst des Westdeutschen Rundfunks ("Ars Acustica"). Im Bereich "Weltmusik" kooperiert WERGO eng mit dem Berliner Haus der Kulturen der Welt und der Abteilung Musik des Ethnologischen Museums Berlin. Die "Jewish Music Series" stellt die vielfältigen Musiktraditionen der jüdischen Bevölkerungen der Kontinente in ihrer ganzen Bandbreite vor. Zahlreiche Veröffentlichungen mit Computermusik sind in der Reihe "Digital Music Digital" erschienen. Neue Editionen wie die legendäre "Contemporary Sound Series" des Komponisten Earle Brown oder die des Ensembles musikFabrik kamen in den vergangenen Jahren hinzu.
Die Diversifizierung, die das Programm von WERGO seit seiner Gründung erfahren hat, ist der Weitung des zeitgenössischen musikalischen Bewusstseins ebenso geschuldet wie sie zu dieser stets beitrug - eine Aufgabe, der sich WERGO auch in Zukunft verpflichtet fühlt.


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