
De Falla, Manuel: La vida breve - BBC Philharmonic, Juanjo Mena
Detailverliebtes De-Falla-Projekt
Label/Verlag: Chandos
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Als Ergänzung der übersichtlichen Diskografie ist diese klanglich blitzsaubere und engagierte Neuaufnahme von 'La vida breve' willkommen.
Manuel de Fallas in manchen Aspekten veristische Oper 'La vida breve' ist auf Tonträger nicht gerade überbordend repräsentiert. Das gute halbe Dutzend an existierenden Gesamtaufnahmen verträgt definitiv eine aktuelle Version – und diese liegt nun dankenswerterweise beim Label Chandos auf einer klanglich tadellosen CD vor. Der Dirigent Juanjo Mena ging im Juni 2018 mit dem BBC Philharmonic ins Studio und erfüllte sich mit dieser Produktion einen persönlichen Traum. So liest man es zumindest im umfangreichen, mehrsprachigen Beiheft, das auch das komplette in Libretto in englischer Übersetzung enthält.
Tatsächlich hört man die Akribie und Ernsthaftigkeit, mit der Juanjo Mena diesen frühen Zweiakter de Fallas anpackt. Selten hat man 'La vida breve' so ‚duftend‘, geradezu impressionistisch gehört. Mena betont die Einflüsse Debussys und Dukas‘, die der junge Komponist in Paris getroffen hatte und deren Ratschläge in die langjährige Arbeit an 'La vida breve' einfließen konnten. Der Dirigent nimmt es äußerst genau mit der Dynamik, den effektvollen Fernchören, dem kontrastreichen Klangbild. All das beeindruckt an dieser Neueinspielung fraglos. Vor allem auch, weil das BBC Philharmonic und der hervorragende RTVE Symphony Chorus dem musikalischen Leiter in allen Belangen folgen, seine Vision umsetzen. Das ist in vielen Momenten eine neue Hörerfahrung – gerade wenn man die wuchtige Lesart von García Navarro aus dem Jahr 1978 bei der Deutschen Grammophon mit Teresa Berganza und José Carreras oder die bedrückend schöne und poetische Interpretation von Rafael Frühbeck de Burgos von 1965 mit Victoria de los Angeles im Ohr hat. Juanjo Mena geht das Werk von einer anderen Seite an, von der klangzauberischen, die viel wohldosierte Atmosphäre bereithält. Und doch packt einen die vorliegende Aufnahme nur bedingt, weil bei aller Genauigkeit und Detailverliebtheit der große Bogen, das zu erzählende Drama zu sehr in den Hintergrund rücken. Es wirkt ein wenig so, als hätte man zu viel gewollt und dabei eine konsequente, vielleicht auch streitbare Handschrift verpasst.
Gestalterisch blass
Das liegt aber nicht nur an Juanjo Menas angestrebtem Perfektionismus, sondern auch an den beiden Protagonisten. Aquiles Machado beginnt als Paco mit viel Schmelz und Tonschönheit, kommt aber im Laufe der beiden Akte hörbar an seine Ausdrucksgrenzen. Das leicht sinnentleerte Prahlen mit hohen oder einfach kraftvollen Tönen passt zwar in gewisser Hinsicht zum porträtierten Charakter, aber auf Dauer lässt es den Hörer kalt. Da haben Carlo Cossutta oder José Carreras weitaus tiefschürfendere und vokal präsentere Rollenporträts entwickelt. Auch Nancy Fabio Herrera bleibt merklich hinter ihren prominenten Rollenvorgängerinnen zurück. Stimmlich bewältigt sie Salud ohne Mühe, aber sie beherrscht weder den Zauber der beseelten Innerlichkeit einer de los Angeles noch den grenzgängerischen, aber effektvollen dramatischen Zugriff einer Berganza oder gar Angeles Gulín in den frühen 1970er Jahren. Herrera scheint vor allen Dingen Standards abzurufen, die ebenso ihrer viel gerühmten Carmen-Interpretation entspringen könnten: hier und da eine Prise Tonunreinheit oder eine gewisse Schärfe, um Dramatik oder Entschlossenheit anzudeuten, dann wieder eine an Saluds Jugend gemahnende Lyrik, die sich aber klanglich nicht mehr problemlos einlöst. Nancy Fabiola Herrera singt die Salud hörbar leidenschaftlich, aber ihr Bemühen um Ausdruck reicht hinsichtlich der Dosierung nicht für den rein akustischen Eindruck. Herrera sowie Machado bleiben aus der Tonkonserve eher blass und eindimensional.
In den wichtigen Nebenpartien der Abuela und des Tío Sarvaor sind Cristina Faus und José Antonio López besetzt. Faus klingt trotz ihres charaktervollen Mezzos als Abuela um einiges jünger als ihre Bühnen-Enkelin, während López mit seinem edlen Timbre dem Sexappeal des Tenor-Protagonisten ernsthafte Konkurrenz macht. Mit strahlendem Tenor überzeugt Gustavo Peña als Stimme aus der Fabrik und Raquel Lojendio gibt eine grundsolide, schönstimmige Carmela. Ein wirkliches Highlight ist der authentische Flamencosänger von Segundo Falcón.
Als Ergänzung der übersichtlichen Diskografie ist diese klanglich blitzsaubere und engagierte Neuaufnahme von 'La vida breve' mehr als willkommen. Auch die Verdienste um das Einbeziehen aller möglichen und aussagekräftigen Quellen, wie genaue Angaben des Komponisten zur Aufführung seiner Oper, sind nicht geringzuschätzen. Ob im Zuge dieser Mühen allerdings die im Beiheft angekündigte ‚herausragende Interpretation‘ des Werkes entstanden ist, darf angezweifelt werden. Der Griff zu Navarro, Frühbeck de Burgos oder auch López-Cobos ist noch immer äußerst empfehlenswert.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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De Falla, Manuel: La vida breve: BBC Philharmonic, Juanjo Mena |
|||
Label: Anzahl Medien: |
Chandos 1 |
Medium:
EAN: |
CD
095115203224 |
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Falla, Manuel de |
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Chandos Chandos Records was founded in 1979 by Brian Couzens and quickly established itself as one of the world's leading classical labels. Prior to forming the label, Brian Couzens, along with his son Ralph, worked for 8 years running a mobile recording unit recording for major labels (including RCA, Polydor, CFP, etc.) with many of the world's leading artists.
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