> > > Musica Temprana: Villancicos from la Real Audiencia de Quito
Montag, 2. Oktober 2023

Musica Temprana - Villancicos from la Real Audiencia de Quito

Lateinamerikanischer Barock


Label/Verlag: Cobra Records
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Ein Villancico ist eigentlich ein spanisches Weihnachtslied – kann aber auch darüber hinausgehen, jedenfalls auf dieser CD mit Barockmusik aus Ecuador.

Das Label Cobra Records präsentiert hier eine CD aus der Reihe ‚Música temprana‘ (frühe Musik) mit sogenannten ‚Villancicos‘. Laut Booklet sind bereits sechs Platten in dieser Reihe herausgekommen, alle mit Musik aus dem 17. und 18. Jahrhundert und mit Funden aus den Archiven des spanischen Vizekönigtums, d. h. vor allem mit Musik aus Peru. Tatsächlich bietet die Nationalbibliothek in Lima einen großen Reichtum an Musik, wie sie vor allem im Umkreis der Kathedrale und einiger großer Klöster entstanden ist. Das musikalische Leben in der Kolonie, gerade zu den großen kirchlichen Anlässen, stand dem im barocken Mutterland kaum nach. Immerhin wurde in Lima bereits 1701 die erste original lateinamerikanische Oper aufgeführt: 'La púrpura de la rosa', mit Musik des einheimischen Tomás de Torrejón y Velasco auf einen Text von Calderón de la Barca.

Für die Chöre in Kathedrale und Klöstern wurden indigene Jungen und Mädchen rekrutiert, einige von ihnen blieben ihr Leben lang und die Begabtesten begannen, selbst zu komponieren. Es ist spannend zu sehen, wie im Verlauf von wenigen Generationen autochthone musikalische Elemente aus der Musik der Indios der rein europäischen Barockmusik zugefügt wurden. Trotzdem musste in Lateinamerika erst das 19. Jahrhundert mit der Befreiung vom Kolonialismus und der Suche nach typischen nationalen Traditionen kommen, bis auch die Künste eine tatsächliche Emanzipation vom ehemaligen ‚Mutterland‘ Spanien erreichten – sie schafften es im Allgemeinen erst im 20. Jahrhundert.

Entdeckungen in der Provinz

Zurück zu den ‚Villancicos‘ und der vorliegenden CD. Eine Gruppe niederländisch-spanischsprachiger Musiker hat hier auf einen Schatz zurückgegriffen, der erst im 20. Jahrhundert gehoben und immer noch nicht ganz erforscht wurde. Es handelt sich um Musik aus Klöstern in Quito, dem Sitz des Vizekönigs von Ecuador. Die Noten wurden in einer Provinzstadt, zusammen mit anderen Dokumenten, entdeckt. Im Booklet wird die Geschichte beschrieben. Die holländischen Musiker haben die einzelnen Stimmen zusammengefügt und Begleitinstrumente ausgewählt, wie sie historisch stimmig zu einer solchen Musik um 1700 üblich waren.

Gesungen wird schwungvoll, ohne viel Vibrato, man hört gern zu und möchte mehr über die Texte und die Entstehung der Lieder erfahren – die meisten im Wechsel zwischen Strophen und Refrain, einige im strengen vierstimmigen Satz und eher an Madrigalen orientiert, andere im tänzerischen schnellen Dreivierteltakt. Und da wird der Hörer doch sehr allein gelassen. Er erfährt nicht, dass die Villancicos in Spanien ursprünglich Lieder des Volkes waren (‚villano‘), mit Texten in teilweise recht drastischem Dialekt. Diese Art des Singens wurde im Barock schließlich auch für kirchliche Lieder übernommen und da ganz besonders für Lieder der Weihnachtszeit, die ja mehr als andere kirchliche Feiertage dem Volk nahesteht.

Im Dunkeln

Die Klöster an den Sitzen der spanischen Vizekönige haben diesen Brauch übernommen. Da ist z. B. ein Lied, in dem der Schöpfer mit einer Maschine verglichen wird, einer Sonnenuhr, die pünktlich und unerbittlich die Welt regiert. Wieviele der auf der CD vereinten Lieder tatsächlich aus dem Fund in Ecuador stammen, bleibt leider im Dunkeln. Vieles stammt aus anderen Quellen wie etwa die beiden eingestreuten Gitarrenstücke von Santiago de Múrcia aus dem Codex Saldívar, der in Guadalajara (Mexiko) gefunden wurde. Anderes ist direkt aus spanischen Quellen eingefügt. Der Bonustrack hat gleich gar nichts mehr mit dem Thema der CD zu tun (Venezuela, 20. Jahrhundert).

Und so herrscht für den Hörer eine leichte Irritation: Warum wird verschwiegen, welche Stücke von wo stammen? Auch über die Musiker steht kein Wort im Booklet. Über den Leiter des Ensembles, Adrian Rodriguez Van der Spoel, ist im Internet zu erfahren, dass er Argentinier ist, seit vielen Jahren in den Niederlanden lebt und sich mit den frühen musikalischen Zeugnissen seines Kontinents Lateinamerika befasst. Das macht er kompetent. Die Aufnahmen überzeugen und machen Lust auf die Beschäftigung mit einer Musik, die sich auf einem erfreulichen dichterischen und kompositorischen Niveau bewegt, das damals demnach nicht nur im alten Europa begegnen konnte.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!

Ihre Meinung? Kommentieren Sie diesen Artikel

Jetzt einloggen, um zu kommentieren.
Sind Sie bei klassik.com noch nicht als Nutzer angemeldet, können Sie sich hier registrieren.



Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



Cover vergrößern

    Musica Temprana: Villancicos from la Real Audiencia de Quito

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Cobra Records
1
05.12.2018
Medium:
EAN:

CD
8713897904376


Cover vergössern

Cobra Records

Remarkable projects: COBRA RECORDS is always looking for remarkable projects performed by young talent and/or internationally well known musicians and special ensembles, domestically and abroad. Enthusiasm, ambition, open-minded, sense of quality, cooperation and flexibility are our keywords. Remarkable can be defined as groundbreaking, innovative, but also sublime performance of the "main repertoire". Looking for everyone's highest quality we create all conditions to achieve a special production. This all starts with discussing repertoire, planning, choosing acoustical location. Each musician gets complete artistic freedom and all the support to achieve highest expression.

Audiophile quality: All productions are recorded in native DSD. This recording format has a sample rate which is at least 64 times higher then a CD. The recordings are made in three different styles: Stereo, Surround and Binaural.

Artwork, Video: Much attention for a special look is given to optimal design and video.

Fair Trade: COBRA RECORDS is a fair trade label. Together with musicians we invest in new productions. This is for both parties a healthy mechanism that forces combining efforts for maximum publicity. COBRA RECORDS attaches great importance to a broad collaboration with musicians, composers, concert halls, artist management and media.

Distribution: Our productions are physically distributed worldwide on CD and as download in more than 100 countries in stores like iTunes, Google Play, Sony Music, Qobuz and Spotify.


Mehr Info...


Cover vergössern
Jetzt kaufen bei...
Titel bei JPC kaufen


Weitere Besprechungen zum Label/Verlag Cobra Records:

  • Zur Kritik... Eingängig: Maarten ter Horst erweist sich nicht als bedeutender Streichquartettkomponist. Weiter...
    (Dr. Jürgen Schaarwächter, )
  • Zur Kritik... Komplexe Intimität: Das Prisma String Trio ist den hohen Ansprüchen von Florent Schmitts spätem Meisterwerk noch nicht ganz gewachsen. Weiter...
    (Dr. Jürgen Schaarwächter, )
  • Zur Kritik... Schillernde Klangfarben: Dem Pianisten Mengjie Han gelingt ein großer impressionistischer Wurf. Weiter...
    (Thomas Gehrig, )
blättern

Alle Kritiken von Cobra Records...

Weitere CD-Besprechungen von Elisabeth Deckers:

  • Zur Kritik... Detektivarbeit: Der Komponist Mátyás Seiber ist in Deutschland neu zu entdecken. Weiter...
    (Elisabeth Deckers, )
  • Zur Kritik... Der Scarlatti-Sog: Die nächsten 30 Scarlatti-Sonaten von insgesamt 555 hat Christoph Ullrich eingespielt. Der Halbmarathon ist damit schon absolviert. Weiter...
    (Elisabeth Deckers, )
  • Zur Kritik... Der spanische Hof und die Barockmusik: Die 'Globalisierung' in Sachen Musik im 18. Jahrhundert machte auch vor dem spanischen Hof nicht halt. Weiter...
    (Elisabeth Deckers, )
blättern

Alle Kritiken von Elisabeth Deckers...

Weitere Kritiken interessanter Labels:

  • Zur Kritik... Kollaboratives Komponieren: Das Label Kairos präsentiert facettenreiche Ensemblemusik des schwedischen Komponisten Jesper Nordin. Weiter...
    (Dr. Kai Marius Schabram, )
  • Zur Kritik... Klangprächtig: Ein äußerst ansprechendes Plädoyer für die Musik Friedrich Gernsheims. Weiter...
    (Dr. Jürgen Schaarwächter, )
  • Zur Kritik... Hoher Abstraktionsgrad: Marco Fusi beeindruckt mit Violin-'Werken' Giacinto Scelsis. Weiter...
    (Dr. Kai Marius Schabram, )
blättern

Alle CD-Kritiken...

Magazine zum Downloaden

NOTE 1 - Mitteilungen (3/2023) herunterladen (4400 KByte)

Anzeige

Jetzt im klassik.com Radio

Georg Philipp Telemann: Ouverture Suite in A major TWV 55:A4 - Tempo di Giga

CD kaufen


Empfehlungen der Redaktion

Die Empfehlungen der klassik.com Redaktion...

Diese Einspielungen sollten in keiner Plattensammlung fehlen

weiter...


Portrait

Der Pianist und Organist Aurel Davidiuk im Gespräch mit klassik.com.

"Man muss das Ziel kennen, bevor man zur ersten Probe erscheint."
Der Pianist und Organist Aurel Davidiuk im Gespräch mit klassik.com.

weiter...
Alle Interviews...


Sponsored Links

Hinweis:

Mit Namen oder Initialen gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers, nicht aber unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Die Bewertung der klassik.com-Autoren:

Überragend
Sehr gut
Gut
Durchschnittlich
Unterdurchschnittlich