
Reinecke, Carl: The String Quartets - Reinhold-Quartett
Reich und ambitioniert
Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Carl Reineckes Streichquartette sind eine wahre Goldgrube, zumal in derart engagierter und verständnisinniger Wiedergabe.
Die systematische Erkundung der Musik Carl Reineckes auf cpo trägt immer wieder erfreulichste Früchte. Hier nun die Gesamteinspielung der fünf Streichquartette aus den Jahren 1843–1909. Die tragische Figur Reineckes, der nach vierzigjähriger Tätigkeit am Leipziger Konservatorium ohne Pension in den Ruhestand geschickte, wobei sein Nachfolger (Arthur Nikisch) gleich das doppelte Einstiegsgehalt erhielt, deckt wohl historisch, aber nicht stilistisch zig Generationen ab, um am Ende seiner kompositorischen Tätigkeit als hoffnungslos überholt zu gelten. Nach den ersten beiden Streichquartetten des Neunzehn- bzw. Siebenundzwanzigjährigen folgte das nächste Streichquartett erst mehr als zwanzig Jahre später (1874). Die letzten beiden Quartette entstanden abermals in weitem Abstand voneinander 1892 bzw. 1909, wobei das fünfte Quartett Reineckes vorletzte Komposition mit Opuszahl darstellt.
Das erste Quartett Es-Dur, dem später die Opuszahl 16 gegeben wurde, strahlt noch ganz den Flair einer Jugendkomposition – doch ist es deshalb nicht ohne Inspiration oder vor allem Ambition. Diese Ambition erfordert engagierte Interpretation – die das Leipziger Reinhold-Quartett in hohem Maße beibringt. Selbst wo Reinecke der Einfall angelegentlich verlässt, wird solche Schwäche durch den Einsatz der vier Musiker in bestmöglicher Weise aufgefangen. Und allein schon die herrliche Pizzicato-Passage gegen Ende der Durchführung des Kopfsatzes zeigt einen äußerst begabten jungen Musiker, der im Scherzo hörbar Beethoven die Reverenz erweist und dennoch durchaus Eigenständigkeit beweist.
Frische und Spielfreude
Große kompositorische Frische belegt das zweite Quartett in F-Dur (op. 30, 1851), das den Komponisten nunmehr in voller Reife zeigt. Zwar ist das Erbe Mendelssohns unüberhorbar (auch durch das eröffnende Thema), doch ist die Komposition melodisch und harmonisch durchaus eigenständig und ein wichtiger Meilenstein für die folgende Komponistengeneration. Die Spielfreude des Reinhold-Quartetts wirkt stets ansteckend, die musikalischen Texturen werden mit Feingefühl, kontrapunktischem Aufeinanderreagieren und großer Liebe zum Objekt ausgebreitet.
Fast auf Richard Strauss‘ Oper 'Capriccio' weist Reineckes drittes Streichquartett C-Dur op. 132, das gleichzeitig Robert Schumann die Reverenz erweist. Hier sind melodischer und harmonischer Einfall einerseits und Formbewusstsein und kontrapunktische Fähigkeiten vielleicht in optimaler Weise ausbalanciert – sicher ein Werk, das im Konzertleben so gut wie immer eine sichere Bank wäre. Das Reinhold-Quartett musiziert die hochqualitative Musik voller Freude genüsslich aus und weist so viele hochgelobte Ensembles, die sich in den üblichen kanonischen Werken ergehen, mit Leichtigkeit in die hinteren Reihen.
Harmonische Schönheiten
Die emotionale Tiefe des vierten Quartetts op. 211 spiegelt sich u.a. in der Moll-Einleitung eines D-Dur-Werkes, dessen positiver Gestus hörbar immer wieder unterlaufen wird. Hier sind nicht alle musikalischen Gesten der Reinholds von vollkommener Freiheit, während die Musiker in den komplexen kontrapunktischen Passagen einander hörbar beflügeln. Die harmonischen Schönheiten des vom Umfang her gar nicht so ausladenden Werkes (vielmehr handelt es sich offenbar um Reineckes kürzeste Streichquartettkomposition) sind beachtlich, die kontrapunktische Dichte zeigt einen in der Konvention hochgeschulten Komponisten, dessen harmonischer Wagemut abgenommen haben mag, aber nicht seine musikalische Erfindungskraft und Ambition.
Der emotionale Höhepunkt von Reineckes Streichquartettschaffen ist aber dennoch vielleicht sein letzter Gattungsbeitrag, das g-Moll-Quartett op. 287. Zwar mag die Musik eher Tschaikowsky denn Reger nahe stehen, zwar mögen sich manche ‚Manieren‘ in der Textur, die schon im vierten Quartett auffielen, verfestigt haben – die das Reinhold-Quartett in bestmöglicher Weise ‚auffängt‘ –, doch ist insgesamt seine Meisterschaft fast immer gegeben; dass seine Stimme auch damals noch Gewicht hatte, kann man an der Musik mancher Zeitgenossen, etwa Felix Woyrschs oder Robert Fuchs‘, leicht nachlesen.
Das Vorurteil, dass Reinecke ein großer Langweiler war, als den ihn spätere Generationen gerne (oft ohne Kenntnis seiner Werke) abtun wollten, wird jedenfalls in jeder Hinsicht widerlegt. Die herrlichen Kantilenen, mit denen seine Musik gespickt ist, sein harmonischen Überraschungen, die kammermusikalische und kontrapunktische Klugheit seiner Disposition, all dies zeigen einen Meister, der keineswegs als trockener Akademiker zu den Akten gelegt werden sollte. Vielmehr würde es einem oder mehreren Rundfunksendern wohl anstehen, auch seine größer besetzten Werke wiederzubeleben und so zu seiner Rehabilitation beizutragen. Zu entdecken ist da allemal genug.
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Reinecke, Carl: The String Quartets: Reinhold-Quartett |
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Label: Anzahl Medien: |
cpo 2 |
Medium:
EAN: |
CD
761203518425 |
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Reinecke, Carl |
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