
Czerny, Carl: Violin Sonatas - Kolja Lessing, Rainer Maria Klaas, Anton Kuerti
Mehr als nur Tonleitern
Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Zwei schöne, leider fast nie aufgeführte Violinsonaten von Carl Czerny haben Kolja Lessing, Rainer Maria Klaas und Anton Kuerti auf dieser CD aufgenommen – nur ein kleiner, aber sehr interessanter Auszug aus Czernys gigantischem Oeuvre.
Carl Czerny – bis heute ist dieser Name berühmt, insbesondere seine 'Schule der Geläufigkeit' ist aus dem Grundwissen der Klavierpädagogik kaum wegzudenken. Der 1857 verstorbene österreichische Komponist, Pianist, Musiktheoretiker und Klavierlehrer hat seiner Nachwelt jedoch weit mehr hinterlassen als seine Klavierschulen und Etüden: Neben seiner sechsbändigen Herausgabe von Bachs Klavierwerken, die bis ins späte 19. Jahrhundert sehr populär war, machte sich Czerny vor allem als Komponist einen Namen. Dabei war er nicht wählerisch, was Stil oder Besetzung anging, unter seinen etwa 2.000 Werken finden sich sowohl Kirchenmusik als auch Sonaten, Opernparaphrasen, Kammermusik oder Sinfonien. Viele dieser Stücke gerieten leider in Vergessenheit oder wurden zu Czernys Lebzeiten nicht einmal uraufgeführt.
Romantische Züge
Der Geiger Kolja Lessing hat es sich auf seiner 2018 bei cpo erschienenen CD zur Aufgabe gemacht, gemeinsam mit den Pianisten Rainer Maria Klaas und Anton Kuerti zwei dieser unbekannten Violinsonaten auf einem Tonträger festzuhalten. Als Czerny, der in Ludwig van Beethovens engstem Umfeld lebte, im Jahre 1807 seine 'Grande Sonate pour Pianoforte et Violon' in A-Dur schrieb, war er erst 16 Jahre alt, aber bereits einer der gefragtesten Klavierlehrer Wiens. Die Bezeichnung 'Grande Sonate' ist hier äußerst treffend, denn das Werk sprengt in mehrfacher Hinsicht alle damals üblichen Dimensionen. Jeder der drei Sätze dauert etwa eine Viertelstunde und die Sonate weist bereits unverkennbar romantische Züge auf, etwa in der farbenreichen Harmonik, der großformalen Phrasierung und den auf große Strecken angelegten Kantilenen. Die im Booklet genannte ‚unerhörte Neuartigkeit‘ zeigt sich vor allem in ihrer Vielseitigkeit: Die Sonate enthält lyrische Momente, virtuose Höhepunkte, verhängnisvoll drohende Passagen und kammermusikalisch gehaltvolle Dialoge zwischen Violine und Klavier. Faszinierend ist vor allem, wie Czerny mit den verschiedenen Registern der beiden Instrumente spielt und sowohl die tiefen als auch die silbrig hohen Klangfarben geschickt einsetzt.
Rainer Maria Klaas und Kolja Lessing gelten beide als überaus vielseitige, offene Musiker, beide haben sich mit Musik der unterschiedlichsten Epochen und Stilrichtungen einen Namen gemacht. Als Duo harmonieren der Geiger und der Pianist wunderbar, beide haben eine prägnante, klare und schnörkellose Klangsprache. Bei der Interpretation von Czernys Violinsonate punkten die Musiker mit eleganter Schlichtheit, manchmal wünscht man sich jedoch größere dynamische und leidenschaftliche Kontraste. Auch wenn das Spiel zu keinem Zeitpunkt langweilig oder gar ungestaltet ist, bleibt doch das Gefühl nicht aus, dass die beiden kaum die Grenzen des geschmackvollen Rahmens der Klangschattierungspalette austesten. Auch könnten die Einsätze und die Phrasenenden besonders in der Violine vereinzelt ein wenig geschmeidiger und delikater ausgespielt werden. Bemerkenswert sind dagegen die Selbstverständlichkeit, mit der sich die Interpreten die Bälle zuwerfen, und die Leichtigkeit, mit der sie fließend von technisch virtuosen Passagen in lyrische Kantilenen oder delikate Entwicklungen übergehen.
Klassisches Profil
Das zweite Werk auf dem Tonträger, Czernys 'Sonate Concertante für Violine und Klavier' in Es-Dur, stellt kompositorisch einen gewaltigen Kontrast zur 'Grande Sonate' dar. Während das zuerst erklungene Jugendwerk von Carl Czerny überaus innovativ und von romantischen Zügen geprägt ist, weist die 41 Jahre später geschriebene 'Sonata Concertante' ein weitgehend klassisches Profil auf. Statt langer Linien und drängender Expressivität findet man nun eher den auch für Mozart typischen spritzig-lebhaften Charakter und eindeutig klassische Satztechnik, das Stück sprüht vor vornehmem Charme und leichtfüßiger Eleganz. Anders als bei der 'Grande Sonate' sind die Rollen hier klar verteilt, wobei das Klavier häufig die Melodie vorgibt und von der Violinstimme kommentiert, imitiert oder begleitet wird.
Im Duo mit dem in Österreich geborenen Pianisten Anton Kuerti wirkt Kolja Lessings Violinspiel völlig verändert. Dem Temperament der Sonate entsprechend, glänzen die beiden Musiker mit einer fein artikulierten und stolz brillierenden Klangsprache. Im würdevoll- anmutigen Wechselspiel kommunizieren die beiden Interpreten auf stets schlüssige und aufmerksame Weise, insbesondere der graziöse zweite Satz ist ein echter Hörgenuss.
Anton Kuerti, der Pianist auf der zweiten Aufnahme, spielte bei der Wiederentdeckung von Czernys unaufgeführten und in Vergessenheit geratenen Meisterwerken eine entscheidende Rolle. 2002 rief er das bislang einzige Czerny-Festival, welches ganz dem Œuvre des Komponisten gewidmet war, ins Leben. Dort brachte er unter anderem die 'Grande Sonate' zur Uraufführung – ebenjene Sonate, welche Kolja Lessing und Rainer Maria Klaas auf dieser CD festgehalten haben. Die 'Sonata Concertante erklang sogar erst 2013 bei einem anderen Festival zum ersten Mal vor Publikum, gespielt von Kuerti und Lessing.
Die CD ist ein beeindruckendes Beispiel dafür, dass viele kompositorische Schätze vollkommen zu Unrecht kaum oder nie gespielt werden, und dass sich ein Blick auf unbekannte Werke oft mehr als lohnen kann. Ein Must-have ist die Platte vielleicht nicht zwingendermaßen, sehr interessant, hörenswert und ein Schmuckstück im Schrank eines jeden Musikliebhabers dagegen allemal.
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Czerny, Carl: Violin Sonatas: Kolja Lessing, Rainer Maria Klaas, Anton Kuerti |
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Label: Anzahl Medien: |
cpo 1 |
Medium:
EAN: |
CD
761203782222 |
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Czerny, Carl |
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cpo Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
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