> > > Bach, Johann Sebastian: Sonn und Schild: Collegium Vocale Gent, Philippe Herreweghe
Samstag, 23. September 2023

Bach, Johann Sebastian: Sonn und Schild - Collegium Vocale Gent, Philippe Herreweghe

Edel


Label/Verlag: Phi
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Kundig, subtil, gelassen: So gerät diese Deutung einiger Bach-Kantaten durch einen der Pioniere der historisch informierten Praxis. Herreweghe macht keine halben Sachen. Die Diskografie seines exquisiten Labels Phi gleicht einer edlen Perlenkette.

Ein Zuviel an niveauvollen Einspielungen von Bach-Kantaten kann es wohl nie geben. Insofern ist die gelegentliche Beschäftigung, die Philippe Herreweghe immer wieder in dieses Repertoire führt, nur zu begrüßen. Aktuell ist eine Platte zu besprechen, die unter dem Titel 'Sonn und Schild' hinter edlem Cover drei Kantaten versammelt: BWV 80 'Ein feste Burg ist unser Gott', dann BWV 4 'Christ lag in Todesbanden' und BWV 79 'Gott der Herr ist Sonn und Schild'. BWV 80 ist sicher Bachs Reformationskantate par excellence, mit musikalischen Wurzeln in seiner Weimarer Zeit, später in Leipzig zu endgültiger Gestalt gelangt. Die mit Streichern, Oboen und Basso continuo vergleichsweise sparsame Instrumentierung geht auf Zeitüblichkeiten zurück: Der sächsische Königshof war seit 1697 katholisch, während das Land protestantisch blieb. Man gewährte dem Volk die Freiheit, auch den Reformationstag festlich zu begehen. Aber bitteschön: mit etwas Zurückhaltung. Also eine Kantaten ohne Pauken und Trompeten, auch wenn das ästhetisch und in der Aussage selbstverständlich sehr gut möglich gewesen wäre. BWV 4 ist eines der frühesten Bachschen Vokalwerke, noch ganz aus dem Geist und der Haltung früherer Kantatentraditionen schöpfend, etwa aus der mitteldeutschen der Bach-Familie oder der norddeutschen eines Dietrich Buxtehude. Der junge Bach arbeitet sich bemerkenswert konsequent an den Versen des reichlich sperrigen Chorals ab. Zugleich ist schon diese frühe Arbeit mit den Funken Bachscher Genialität gesegnet. BWV 79, 1725 entstanden, unterstreicht den Schwerpunkt der Reformationskantaten, mit einem ebenso pracht- wie gehaltvollen Eingangschor, der allein ein respekteinflößendes Meisterwerk ist.

Expertise

Philippe Herreweghe versammelt für die Produktionen bei seinem Label Phi ausschließlich erstklassige Interpretinnen und Interpreten. Das ist auch hier so. Die Sopranistin Dorothee Mields unterstreicht eindrucksvoll, dass sie eine der großen Bach-Sängerinnen der Gegenwart ist, mit geschmeidiger und eleganter Stimme, leicht in der Höhe, modulationsfähig in allen Lagen, dazu mit Autorität in der Diktion. Alex Potters Altus ist ebenfalls kultiviert, glänzt mit lyrischer Schönheit und prägnanter Klanggestalt, profiliert sich auch in sensibel ausgehörten Ensembles. Thomas Hobbs ist seit einiger Zeit Herreweghes Favorit im Tenorfach: Er zeigt sich hier durchschlagskräftig, durchaus elegant begabt, auch mit Qualitäten im Verhaltenen. Manche Töne geraten etwas zu eckig; die Diktion ist nicht gerade unidiomatisch zu nennen, wirkt aber doch verschwommen. Des Dirigenten Bass-Begleiter ist seit Jahrzehnten Peter Kooij – der einzige Vokalist, der aus ganz frühen Tagen noch aktiv dabei ist. Und er zeigt sich auch hier erfreulich agil, stimmlich wach und präsent, in ausgewogen qualitätvollen Lagen, dazu sprachmächtig gestaltend: eine in der Summe wirklich erstaunliche Präsentation eines Sängers im siebten Lebensjahrzehnt.

Geschmackvolle Rundung

Das feine Kammerorchester ist ein wirklich luxuriöser Klangkörper; spieltechnische Präzision und Klangschönheit gehen Hand in Hand. Das Bild ist durchaus auch sehnig und reich an Konturen, jedenfalls alles andere als pauschal. Vor allem sind immer wieder fabelhafte obligate Soli zu hören. Allein die Beiträge des Oboisten Marcel Ponseele machen klar, wie sehr Bachs Musik von veritablen Einzelkönnern profitiert. Der Chor ist mit den Solisten und je Stimme zwei Ripienisten – auch sie übrigens durchaus namhaft und mit solistischem Potenzial – schmal besetzt, entfaltet aber eine edle Kraft, in energiegeladenen Registern von geschmackvoller Rundung. Ein potentes Ensemble von zutreffender Dimension, das gekonnt zwischen den Reizen der choralen Sphäre und den stupenden technischen Ansprüchen manch ambitionierten Satzes vermittelt. Artikuliert wird insgesamt in feiner Balance von textgezeugten Impulsen, die freilich nicht puristisch streng exekutiert werden: Auch hier mögen sich Gelassenheit und Reife des Dirigenten bemerkbar machen. Doch hält Herreweghe nichts von starren, mediokren Tempi. Vielmehr lässt er frisch bewegt musizieren – immer den Eindruck vermittelnd, es werde in einem vollkommen natürlichen Fluss gespielt und gesungen. Das Klangbild ist klar und facettenreich, voller Struktur und Tiefe. Kundig, subtil, gelassen: So gerät diese Deutung einiger Bach-Kantaten durch einen der Pioniere der historisch informierten Praxis. Herreweghe macht keine halben Sachen. Die Diskografie seines exquisiten Labels Phi gleicht einer edlen Perlenkette.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Bach, Johann Sebastian: Sonn und Schild: Collegium Vocale Gent, Philippe Herreweghe

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Phi
1
05.10.2018
Medium:
EAN:

CD
5400439000308


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Bach, Johann Sebastian


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Phi

Der griechische Buchstabe φ (PHI - die Übereinstimmung mit den Initialen von Philippe Herreweghe ist nicht ganz zufällig) versinnbildlicht die Ambitionen des Labels. Er ist das Symbol für den goldenen Schnitt, für die Perfektion, die man in den Staubfäden der Blumen findet, für griechische Tempel, Pyramiden, Kunstwerke der Renaissance oder für die Fibonacci-Zahlenfolge. Seit der frühesten Antike steht dieser Buchstabe im eigentlichen Sinne für Kontinuität beim Streben nach ästhetischer Perfektion.
Mit der Realisierung dieses Katalogs erfüllt sich Philippe Herreweghe seinen Herzenswunsch, die Ergebnisse seiner musikwissenschaftlichen Forschungen und der im Laufe einer langen Karriere gewonnenen Erfahrungen hörbar werden zu lassen.
Mit vier bis fünf Neuproduktionen pro Jahr wird der Katalog Aufnahmen des wichtigsten symphonischen und chorischen Repertoires umfassen, Polyphonisches und natürlich die Werke von Johann Sebastian Bach, die Philippe Herreweghe in dem Bestreben wieder aufgreifen wird, immer vollendetere Versionen zu schaffen.


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