
Diethelm, Caspar: Symphonische Werke - Royal Scottish National Orchestra, Rainer Held
Symphonik eines fleißigen Handwerkers
Label/Verlag: Guild
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Kein hohes Niveau bei den Werken selbst und auch nicht bei deren Interpretation: Die Symphonik von Caspar Diethelm dürfte kaum Chancen auf eine Renaissance haben.
Über zwanzig Jahre nach seinem Tod im Jahr 1997 ist Caspar Diethelm beinahe vollkommen in Vergessenheit geraten. Hier und da wird noch ein Stück des 1926 in Luzern geborenen Komponisten gespielt, etwa die Sonate für Posaune solo op. 128, doch der Großteil seines beinahe 350 Werke umfassenden Schaffens schlummert in den Archiven. Die vorliegende 3-CD-Box des Labels Guild ist ein Versuch, die symphonischen Werke des Schweizers wieder ans Licht der (musikalischen) Öffentlichkeit zu bringen. Der Dirigent Rainer Held und das Royal Scottish National Orchestra haben sechs Orchesterwerke ausgewählt, der Bogen spannt sich von der ersten Symphonie op. 35 aus den Jahren 1962 bis 64 zur symphonischen Suite 'Saturnalia' op. 200, die Diethelm 1982 komponierte und 1994 noch einmal überarbeitete. Dass es sich dabei, wie auf der Box vermerkt wird, um ‚World Premiere Recordings‘ handelt, liegt in der Natur der Sache – praktisch kein Werk Diethelms liegt derzeit in einer greifbaren Einspielung vor.
Zwei Fragen beschäftigen also den interessierten Hörer hier in erster Linie: Lohnt sich die Auseinandersetzung mit der eher tradtionell ausgerichteten Musik des Hindemith-Schülers oder geriet sein Schaffen aus verständlichen Gründen in Vergessenheit? Und wie schlagen sich die Interpreten, die mit diesen Erstaufführungen eine große Verantwortung auf sich nehmen? Denn das Risiko hier ist erheblich: Scheitern die Musiker bei der versuchten Wiederbelebung eines weitgehend unbekannten Komponisten, kann dies nachhaltige Folgen haben – viele Hörer tendieren dann dazu, die mangelnde Qualität der Interpretation auf das Werk selbst zu übertragen, mit fatalen Folgen für dessen weiteres Fortleben.
Dahinplätschernd
Den Anfang macht die symphonische Suite 'Saturnalia', deren sieben Sätze Stärken und Schwächen von Diethelms Schaffen in gleichem Maße präsentiert. Einerseits ist die Musik des Schweizers für das Publikum gut zugänglich, handwerklich einwandfrei und dankbar für die Orchestermusiker; andererseits vermag sie es nur in den seltensten Momenten den Hörer wirklich zu packen. Die einzelnen Abschnitte der Suite plätschern (nach meist verheißungsvollem Beginn) so dahin, die spannungsreichen Momente halten sich in Grenzen. Während die schnellen Abschnitte immerhin noch mit einem gewissen ryhthmischen Drive überzeugen können, passiert im Lento und im ‚Largo con espressione‘ zu wenig – man sehnt das Ende des Satzes herbei. Diese Problematik setzt sich durch fast alle hier zu hörenden Werke fort, die langsamen Abschnitte wirken bisweilen fast langweilig. Als Ganzes stehen die Stücke in deutlichem qualitativem Abstand zu den im Booklet genannten Vorbildern Hindemith, Frank Martin und Honegger.
Diese Problematik wird nun leider noch durch die Interpretation verschärft. Die Musiker des Royal Scottish National Orchestra agieren hier oft mit einer seltsame unstrukturierten Dynamik, die kaum Abstufungen zwischen laut und leise kennt. Man wird den Eindruck nicht ganz los, dass die Mitglieder des Orchesters die vielen Längen der einzelnen Sätze interpretatorisch verstärken. Negativer Höhepunkt ist hierbei die schon an sich viel zu lange geratene fünfte Symphonie op. 180 mit dem Untertitel 'Mandala'. Das Larghetto dehnt sich endlos, das Finale ist zwar ‚Allegro energico‘ überschrieben, doch von Energie ist hier nichts zu spüren. Mit einer gewissen Lustlosigkeit legen Held und Orchester hier gewiss kein Plädoyer für Diethelms Musik vor. Das einzige Werk, das zumindest einigermaßen überzeugen kann, ist die erste Symphonie op. 35 – hier zeigt sich Diethelm von seiner ungezwungenen, frischen Seite und – vor allem auch – als kompakt schreibender Komponist. Um so verwunderlicher, dass ihm seine Fünfte später so aus dem Leim geraten konnte.
Noch zu den besten Aspekten dieser 3-CD-Box gehört das Klangbild: Bisweilen zwar etwas ruppig, aber insgesamt von hoher Transparenz, trägt es doch – wohl eher unfreiwillig – dazu bei, dass die Schwächen der Werke selbst wie auch der Interpretation klar zu Tage treten. Ob im 'Symphonischen Prolog' op. 125, in der dritten Symphonie op. 76 oder in der Vierten 'Hommage an Joseph Haydn' op. 100, die Spannungsarmut und gewisse Vorhersehbarkeit von Diethelms Musik tauchen immer wieder auf. Das ist recht wenig für eine Veröffentlichung, die mit hohem Aufwand, inklusive eines 32seitigen Beiheftes, versucht, diese Musik dem Vergessen zu entreißen. Allerdings hätte wohl auch eine Interpretation durch die Berliner Philharmoniker hier nur wenig mehr retten können. Caspar Diethelm war ein fleißiger Handwerker – aber eben nicht mehr.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Diethelm, Caspar: Symphonische Werke: Royal Scottish National Orchestra, Rainer Held |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Guild 3 06.06.2018 |
Medium:
EAN: |
CD
5065002170088 |
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Diethelm, Caspar |
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Guild Guild entstand in den frühen Achtzigerjahren auf Initiative des berühmten englischen Chorleiters Barry Rose, der den St Paul's Cathedral Choir in London leitete. Der Name hat nichts mit der nahe gelegenen Londoner Guild Hall zu tun, sondern kommt von Barry Roses erstem Chor, dem Guildford Cathedral Choir. Das frühere Logo (ein grosses G) entstand indem Barry Rose kurzerhand eine Teetasse umstülpte und mit einem Bleistift ihrem Rand bis zum Henkel entlang fuhr. Seit 2002 hat die Firma als Guild GmbH ihren Sitz in der Schweiz, in Ramsen bei Stein am Rhein. Mehr Info... |
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