
Monteverdi, Claudio: Vespro della Beata Vergine - Collegium Vocale Gent, Philippe Herreweghe
Reichtum
Label/Verlag: Phi
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Es gibt eine große Reihe erstklassiger Einspielungen der Marienvesper. Philippe Herreweghe und seine Ensembles treten gelassen und selbstbewusst in ebendiese erste Reihe.
Claudio Monteverdis 'Marienvesper' steht wegen der schieren Höhe ihrer Kunst immer zur Diskussion, ist ein über vier Jahrhunderte hinweg unmittelbar beeindruckendes Monument der schöpferischen Kraft Monteverdis. Niemand kann davor die Ohren verschließen, der hören kann: Als janusköpfige Größe, die vom Sattelzeitpunkt 1610 auf das Alte zurückschaut, es so meisterlich integriert, dass manchem Vorgänger des großen Markuskapellmeisters schwummerig geworden wäre und gleichzeitig das Neue so sehr einbezieht, dass musikalische Sprache und ästhetischer Ansatz für Jahrzehnte vorgeprägt scheinen. Es ist also überhaupt nicht erklärungsbedürftig, wenn diese großartige Sammlung aufgeführt und eingespielt wird: Eben weil man kaum je an den Punkt kommen wird, sich an der Fülle sattzuhören, den ganzen Reichtum dieses Werks hörend und nachdenkend zu genießen. Philippe Herreweghe hat jetzt bei seinem Label Phi eine neue Deutung der #Marienvesper' vorgestellt. In exzellenter Besetzung ist dabei nicht weniger als eine maßstäbliche Deutung entstanden – so viel Grundsatz lässt sich vorwegnehmen.
Es gibt eine lange und hochkarätige Interpretationsgeschichte, in deren erste Reihe sich Herreweghe jetzt einfügt. Und wie so viele vor ihm hatte auch er mit einer Reihe von Fragen umzugehen, hatte er eine Fülle praktischer, dabei musikhistorisch fundierter Entscheidungen zu treffen. Etwa mit Blick auf den tatsächlich oder vermeintlich zyklischen Charakter der Sammlung, mit Blick auf Stimmtöne, notwendige Transpositionen und Fragen der Besetzungsstärke der Vokalpartien oder der Frage, wie farbenreich der Basso continuo sein sollte oder darf. Auch das Tempo und die metrischen Relationen insgesamt werden in jüngerer Vergangenheit wieder intensiver diskutiert. Klar ist: Es hilft nicht immer direkt weiter, sich sklavisch an das sicher Überlieferte zu klammern. Was zum Beispiel, wenn Monteverdi als an praktischer Aufführbarkeit der eigenen Werke interessierter Musiker zu einzelnen Besetzungsfragen minimale Besetzungsgrößen angegeben hat – und die tatsächliche Ausformung ins Belieben des Kapellmeisters gestellt war, der die Aufführung dann zu verantworten hatte? Natürlich: Immer in Kenntnis dessen, was im Norditalien der Zeit üblich war. Und mit Blick auf den Raum, seine Wirkungen und darauf, welche musikalischen Kräfte konkret zur Verfügung stehen. Philippe Herreweghe als Maestro di cappella dieser Aufnahme hat all diese Fragen erwogen und das klingende Ergebnis zu einem beeindruckenden Ganzen gefügt.
Fabelhafte Besetzung
Die Vokalbesetzung ist einfach fabelhaft zu nennen: Dorothee Mields und Barbora Kabátková singen Sopran, Benedict Hymas, William Knight, Reinoud Van Mechelen und Samuel Boden Tenor, Peter Kooij und Wolf Matthias Friedrich Bass – eine auf höchstem Niveau ausgewogene, im ästhetischen Ansatz wie in den wesentlichen Stimmcharakteristika harmonische Formation. Alles gerät balanciert, zugleich aber glutvoll lebendig: Gerade in dieser Hinsicht muss sich niemand Sorgen machen, der Herreweghes Interpretationen generell vielleicht nicht entschieden genug finden mag. Hier sind Ebenmaß und Leidenschaft versöhnt. Natürlich sind besondere vokale Edelsteine zu hören: Das 'Nigra sum' von Reinoud Van Mechelen etwa, das 'Pulchra es' von Mields und Kabátková, das 'Duo Seraphim' von Van Mechelen, Boden und Hymas – Höhepunkte gibt es in Hülle und Fülle.
Doch ist es die insgesamt fein balancierte Besetzung, die überzeugt, auch in den Ripieni. Dort sind etwa Dominique Verkinderen, Alexander Schneider, Stephan Gähler, Vincent Lesage, Matthias Lutze oder Felix Rumpf, um einige zu nennen – sämtlich veritable Solisten und Stilkenner, die den Klang so geschmackvoll und luzide erweitern, dass man das Wort eines Chors intuitiv nicht verwenden mag, um Missverständnissen vorzubeugen. Zu erwähnen ist noch die fabelhafte gregorianische Schola, die, von Barbora Kabátkaová geleitet, wie aus einem Munde singt, aktiv in der Diktion, lebendig in der schlichten Linearität.
Beglückende Momente
Instrumental kommt man vom ersten Ton an in den Genuss eines luxuriösen, harmonischen, ausgereiften, technisch fabelhaft basierten Ensembleklangs. Natürlich: Namen wie Veronika Skuplik, Bojan Cičić, Matthias Spaeter, Simen Van Mechelen oder Bruce Dickey machen schon von vornherein klar – hier geht nichts schief. Aber es ist viel mehr: Eine beglückende Selbstverständlichkeit, eine intensive Zugewandtheit im Ensemble, eine Lebendigkeit und Frische, die ihresgleichen suchen. Das Spiel ist beredt par excellence, dazu famos in linearer Dimension, maß- und geschmackvoll in der Verzierungskunst. Intoniert wird makellos – durchgehend und ohne Ausnahme im instrumentalen wie im vokalen Bereich. Oft gelingen geradezu beglückende Momente, mit eleganten, hellen, obertonreichen Akkorden.
Philippe Herreweghe leitet die Ensembles zu frischen Tempi an, die glücklich mit dem Raum korreliert sind. Das gilt auch für das Klangbild der in der Franziskuskirche im italienischen Asciano entstandenen Aufnahme: Andreas Neubronner und Markus Heiland haben auf der Basis vieler richtiger Entscheidungen Herreweghes bezüglich Besetzungen und Ensemblestärken eine edle Balance gefunden, in strukturklarer Präsenz: Kein Stäubchen trübt das Bild.
Es gibt eine große Reihe erstklassiger Einspielungen der 'Marienvesper'. Und sie verlieren auch nach dieser Deutung nichts von ihrer Gültigkeit. Doch treten Herreweghe und seine Ensembles gelassen und selbstbewusst in ebendiese erste Reihe. Es gibt im Vokalen keine Partie, die aus dem wunderbaren Rahmen fällt; kein einziger Moment irritiert. Sicher: Es wird wieder Kommentatoren geben, die dieses perfekte Ebenmaß kritisieren zu müssen glauben, die Herreweghe für diese Qualitäten generell skeptisch sehen. Sie irren: Denn das Musizieren zielt hier nicht auf Perfektion, sondern auf höchste Lebendigkeit. Wie nebenbei ist das erklingende Ergebnis aber eben nah an der Perfektion.
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Monteverdi, Claudio: Vespro della Beata Vergine: Collegium Vocale Gent, Philippe Herreweghe |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Phi 2 04.05.2018 |
Medium:
EAN: |
CD
5400439000292 |
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Monteverdi, Claudio |
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Phi Der griechische Buchstabe φ (PHI - die Übereinstimmung mit den Initialen von Philippe Herreweghe ist nicht ganz zufällig) versinnbildlicht die Ambitionen des Labels. Er ist das Symbol für den goldenen Schnitt, für die Perfektion, die man in den Staubfäden der Blumen findet, für griechische Tempel, Pyramiden, Kunstwerke der Renaissance oder für die Fibonacci-Zahlenfolge. Seit der frühesten Antike steht dieser Buchstabe im eigentlichen Sinne für Kontinuität beim Streben nach ästhetischer Perfektion. Mehr Info... |
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