> > > Reisenauer, Alfred: The Welte Mignon Mystery Vol. XXII: Werke von Robert Schumann, Franz Liszt, Frédéric Chopin, Ludwig van Beethoven
Mittwoch, 29. November 2023

Reisenauer, Alfred: The Welte Mignon Mystery Vol. XXII - Werke von Robert Schumann, Franz Liszt, Frédéric Chopin, Ludwig van Beethoven

Pianistik des 19. Jahrhunderts


Label/Verlag: Tacet
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Diese über hundert Jahre alte Aufnahmen geben uns eine Ahnung von den pianistischen Künsten des 19. Jahrhunderts. Den Vergleich mit aktuellen Einspielungen braucht diese CD nicht zu scheuen.

Mit Alfred Reisenauers Einspielungen von 1905 legt TACET nun Vol. XXII der Welte-Mignon Mystery-Reihe vor. Dabei werden die überlieferten Klavierrollen in ein entsprechendes Reproduktionsklavier eingesetzt, abgespielt und das Klangergebnis aufgenommen, daher auch die leisen Geräusche des Spielmechanismus in der Stille zwischen den Stücken. Mit Schumanns 'Carnaval', Liszts Rhapsodie Nr. 10, Chopins 'Berceuse' und drei Werken von Beethoven enthält das Programm lauter Repertoirestücke, die bereits in unzähligen Aufnahmen vorliegen und auch heute noch im Konzertsaal präsent sind. Was die CD so hörenswert macht, ist der Abglanz einer inzwischen verloren gegangenen Interpretationskultur, die der Liszt-Schüler Reisenauer dokumentiert, der nur zwei Jahre nach Erfindung der revolutionären Aufnahmetechnik von Welte verstarb. Damit zählt Reisenauer (Jahrgang 1863) wohl zu den ältesten Pianisten, von denen uns Aufnahmen überliefert sind.

Klangästhetiken

Der Unterschied zur Klavierästhetik, wie wir sie heute kennen, ist groß: das Auseinanderklappen von Melodie und Begleitung, die agogische Freiheit, die Klarheit, mit der musikalische Zäsuren gesetzt und Sinneinheiten voneinander getrennt werden. Die einzelnen Klangschichten werden als polyphones Gewebe hörbar, sodass der Pianist die Partitur gewissermaßen wie ein Dirigent realisiert, der verschiedene Instrumente zu einem Ganzen zusammenführt, ohne dass die Verschmelzung so weit geht, dass wir die individuellen Stimmen nicht mehr als solche wahrnehmen. Interessant auch, wie unterschiedlich Werke angegangen werden: Waltet bei Chopin und Schumann große Pietät gegenüber dem Notentext, so versteht Reisenauer Liszts Notentext in den virtuosen Fiorituren eher als Vorschlag, der nach Belieben variiert werden kann, denn als verbindliche Vorschrift. Der grundlegende Gerüstsatz von Melodie und Harmonie bleibt meist intakt, wird aber frei ausgeschmückt. Die Beethoven‘sche 'Wut über den verlorenen Groschen' kommt mit größter Spielfreude daher und auch 'Für Elise' lässt aufhorchen.

In puncto Authentizität bleiben trotz informativem Booklet viele Fragen offen. Das Aufnahmeverfahren der Firma Welte ist bis heute nicht wirklich entschlüsselt worden und wenn der ausgewiesene Welte-Experte Hans W. Schmitz im Booklet bezüglich der geteilten Windlade und der dynamischen Teilung von Bass und Diskant schreibt: ‚Eine dynamische Differenzierung gleichzeitig angeschlagener Töne innerhalb von Akkorden auf einer Seite ist daher nicht möglich‘, so fragt man sich doch, woher diese Nuancen dann in der CD-Aufnahme kommen. Es handelt sich hierbei nämlich keineswegs um eine ‚marginale Einschränkung‘, ist doch die dynamische Differenzierung am Klavier das Alpha und Omega eines künstlerischen Vortrags. Aber selbst wenn man die Dynamik beiseite lässt, auch das rechte Pedal ist keine simple An-Aus-Frage; sogar Halb- und Viertelpedal sind noch schematische Vereinfachungen eines meisterlichen Pedalgebrauchs. Auch warum nicht alle zehn Rollen, die Reisenauer für Welte einspielte, in diese CD aufgenommen wurden, sondern bloß neun, bleibt unklar. Damit fehlt seltsamerweise Scarlattis 'Pastorale e capriccio' (Welte-Mignon Cat. No. 329). Diese Kritikpunkte schmälern nicht den Genuss am klanglichen Ergebnis, sie geben aber der Bezeichnung ‚Welte-Mignon Mystery‘ einen etwas merkwürdigen Beigeschmack.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Reisenauer, Alfred: The Welte Mignon Mystery Vol. XXII: Werke von Robert Schumann, Franz Liszt, Frédéric Chopin, Ludwig van Beethoven

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Tacet
1
10.04.2018
Medium:
EAN:

CD
4009850022107


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Tacet

Das Wort TACET kommt aus dem Lateinischen und bedeutet "er/sie/es schweigt". Es steht in den Noten, wenn ein Musiker für ein ganzes Stück nichts zu spielen hat. In einem solchen Fall steht in den Noten "TACET". Ein paradoxer Name für eine Plattenfirma?

Der Produzent des Labels, Andreas Spreer, liebt das Paradox. Im April 1989 gründete der Diplom-Tonmeister die Musikfirma TACET in Stuttgart/Germany. Seither produziert TACET Musik für höchste Ansprüche auf den verschiedensten Tonträgern (CD, LP, SACD, DVD-Audio, Blu-ray). Von Beginn an erhielten die Aufnahmen herausragende Rezensionen und höchste Auszeichnungen (u. a. mehrere Jahrespreise der deutschen Schallplattenkritik, Cannes Classical Award, Echo, Diapason d'or, Grammy-Nominierung und viele mehr; stöbern Sie ein wenig in den Kritiken auf den Produktseiten), aber was noch wichtiger ist, sie erfreuen sich größter Beliebtheit beim Publikum. Dabei ist noch kein Ende abzusehen: Die Zahl der TACET-Fans wächst immer weiter. Woher kommt dieser langandauernde große Erfolg?

Vielleicht liegt es daran: TACET arbeitet konsequent an der Synthese von zwei Ebenen, die häufig als sehr unterschiedlich oder sogar gegensätzlich angesehen werden: dem musikalischen Gehalt und der aufnahmetechnischen Qualität.

Als Begriff, der sowohl die musikalischen als auch die aufnahmetechnischen Vorzüge der TACET-Aufnahmen umfasst, bietet sich das Wort "Klang" an. Klang entsteht in einem Instrument, der Musiker bringt ihn daraus hervor, doch ob gewollt oder nicht - die nachfolgenden Apparaturen und Personen beeinflussen den Klang auch. Wenn alle Beteiligten, Musiker, Instrumente, Raum, Aufnahmegeräte und "Tonbearbeiter" gut zusammenpassen bzw. zusammenarbeiten, wächst in der Mitte zwischen ihnen wie von selbst etwas Neues empor, das dem Wesen einer Kompositon sehr nahe kommt. Davon handelt unser Slogan "Der TACET-Klang - sinnlich und subtil".

"This is one of the best sounding records you'll ever hear" schrieb das US-Magazin "Fanfare" über die TACET-LP L207 "oreloB". György Ligeti äußerte über die Kunst der Fuge "... doch wenn ich nur ein Werk auf die "einsame Insel" mitnehmen darf, so wähle ich Koroliovs Bach, denn diese Platte würde ich, einsam verhungernd und verdurstend, doch bis zum letzten Atemzug immer wieder hören.". "Entscheidend aber ist die Gemeinsamkeit des Geistes. Die Auryn-Leute beseelt die gleiche Kunstgesinnung..." (Rheinische Post). Stöbern Sie ein wenig in den Kritiken auf den Produktseiten oder noch besser hören Sie sich TACET-Aufnahmen an und überprüfen, was die Kritiker schreiben.

Bei uns darf Musik all das anrühren und ausdrücken, was das Leben ausmacht. Sie erlaubt dem Hörer Gefühle zu empfinden, ohne sentimental zu werden. Sie kann witzig sein und zum Lachen bringen. Sie kann auf ehrliche Weise "romantisch" sein, ohne den Hörer in einen Kaufhausmief von Wohlfühlklängen zu versenken. Sie darf in unendlichen Variationen geistreich sein. Sie darf zum Denken und zum Erkennen anregen, ohne musikalische Vorbildung zu erfordern. Sie darf effektvoll sein und um die Ohren fliegen, wenn es dem Wesen der Werke entspricht. Sie kann Revolutionen im Kopf auslösen, ohne ein einziges Wort. Sie kann widersprechen und korrigieren. Musik kann Verzweiflung wecken, aber auch trösten. Und und und. Die vollständige Liste wäre endlos.

Der TACET-Inhaber und -Gründer Andreas Spreer erhielt u. a. die Ehrenurkunde des Preises der deutschen Schallplattenkritik.


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