
Wohlhauser, René - Kammermusikwerke
Lautkompositionen
Label/Verlag: Neos
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Die gegenseitige Befruchtung von Instrumental- und Vokalklängen führt im vorliegenden Fall zu interessanten Neuentdeckungen.
Aus Anlass des 60. Geburtstags des Schweizer Komponisten René Wohlhauser 2014 haben sich diverse befreundete Musiker zur Hommage zusammengefunden – dass diese Hommage nicht mit dem Jubiläum selbst ihr Bewenden hat, bestätigt die Bedeutung des Komponisten. Wohlhausers Musik ist komplex und intellektuell fundiert, und auch im Booklet erweist sich der Komponist als eloquenter Sachwalter seines Schaffens (leider wird nicht erläutert, wie seine Werknummern zu verstehen sind). Rein intuitiv erschließen sich nur Teilaspekte von Wohlhausers Schaffen – zu komplex ist sein Denken, zu stark logisch fundiert seine kompositorische Sprache. Was nicht heißen soll, dass die Musik einen kalt und unbewegt ließe.
Wohlhäuser ist in den vorliegenden vier Werken (einem davon in zwei verschiedenen Emanationen) den Möglichkeiten des Klanges der menschlichen Stimme und anderer Klangerzeuger auf der Spur. Es wird gezischt, geflüstert, gesummt, flageolettiert, verschiedene Perkussionsinstrumente kommen zum Einsatz, Stimmen und Klänge wachsen zu einem klanglichen Gesamtbild zusammen. In 'Uom Raswékje' (2012) für Sopran, Bariton, Flöte, Klarinette, Schlagwerk, Klavier, Violine und Violoncello besteht der vokale Anteil nur mehr aus Phonemen, die unmittelbar dem klanglichen Erleben zugeordnet sind. Dahingegen liegt 'Doste Raif' (2016) für Sopran, Bariton und Percussion (hier dargeboten vom Komponisten und von Christine Simolka) ein zwischen Halbsemantik und Lautpoesie angesiedeltes Gedicht des Komponisten zugrunde. Trotz der unterschiedlichen Ausgangslagen sind die Singstimmen auch hier als erweiterter klanglicher Aspekt des Instrumentalen verstanden – eine Vorstellung, die natürlich eine sehr lange Tradition hat. Die Möglichkeiten von Mikrotonalitäten und -metrik werden gleichermaßen erkundet, dennoch eignet der Musik etwas ungemein Spontanes, Lebendiges. Ob man die Singstimme Wohlhausers musikalisch attraktiv findet, mag der einzige Kritikpunkt sein.
Spannender Einblick in ein umfangreiches Schaffen
Die Vielfalt in Wohlhausers Kompositionen ist auf das Intensivste gespiegelt in 'vocis imago', einem 1993-95 entstandenen Werk für Flöte, Klarinette, Schlagwerk, Klavier, Violine und Violoncello. Wie in 'Uom Raswékje Nadak' ist das Ensemble Polysono am Werk, bestehend aus Simolka/Ohlhauser (hier tacent), Barbara Bossert (Flöte), Igor Kombaratov (Klarinette), Matthias Würsch (Schlagzeug), Helena Bugallo (Klavier), Egidius Streiff (Violine) und Markus Stolz (Violoncello). Besonderheit der originalen Sextett-Version ist, dass der Komponist vollständig auf Füllstimmen verzichtet hat und jede Stimme auch einzeln konsequent in sich ausgearbeitet ist. Dies bewirkt eine dichte Polymetrik und ein komplexes Geflecht, das der Komponist aber klar im Griff behält. Auch vielfaches Wiederhören wird stetig neue Aspekte hörbar machen. Das explizit Besondere, die konsequent selbstständige Ausarbeitung der einzelnen Stimmen betont die CD (NEOS) durch eine Version derselben Komposition nur für Violine. Statt aber den genau dargelegten Notentext buchstabengetreu wiederzugeben, hat Egidius Streiff eine freie Interpretation seines Parts vorgenommen, laut dem Komponisten ‚von großer Musikalität und virtuoser Technik geprägt‘ und dennoch ‚keine Vereinfachung oder Verflachung‘ der Vorlage. Streiff, renommierter Interpret zeitgenössischer Musik, verleiht der Komposition gar eine Klarheit, die die polyphone (oder polysone?) Komplexität der Ensemblefassung zwangsläufig nicht bieten kann.
Eine Art Zwischenposition zwischen diesen beiden ‚Extremen‘ nimmt das Streichtrio (2008) ein, das stärker traditionell in der Klangauffassung ist dergestalt, dass Homophonie und Polyphonie in enge Fühlung gebracht werden. Das Treiber-Sontòn Caflisch-Müllenbach Trio (Friedemann Treiber, David Sontòn Caflisch, Morit Müllenbach) macht die ganz eigenen Qualitäten der Komposition deutlich. Auch hier wird, wenn auch rein instrumental, geknirscht, gepfiffen, geflüstert, mithin werden jene kompositorischen Besonderheiten von 'Uom Raswékje Nadak' auf durchaus andere, musikalisch nicht minder spannende Weise erkundet. So bietet die vorliegende CD einen perspektivisch reichen Einblick in Wohlhausers umfangreiches Schaffen, das es verdient, von anderen Ensembles erkundet zu werden. Die Aufnahmetechnik ist den Werken entsprechend wohltuend transparent und gleichzeitig klar strukturierend, so dass sich der Hörer nicht unangemessen in der Musik verliert.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!
Ihre Meinung? Kommentieren Sie diesen Artikel
Jetzt einloggen, um zu kommentieren.
Sind Sie bei klassik.com noch nicht als Nutzer angemeldet, können Sie sich hier registrieren.
Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
![]() Cover vergrößern |
Wohlhauser, René: Kammermusikwerke |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Neos 1 16.03.2018 |
Medium:
EAN: |
CD
4260063117190 |
![]() Cover vergössern |
Neos NEOS das neue Label für Zeitgenössische Musik, das seit Mitte Mai 2007 auf dem deutschen, seit Oktober 2007 auch auf dem internationalen Markt präsent ist. Im Zentrum der Neuveröffentlichungen stehen Kompositionen des 20. und 21. Jahrhunderts - die Betonung liegt dabei auf Welt-Ersteinspielungen. Mehr Info... |
![]() Cover vergössern |
Jetzt kaufen bei...![]() |
Weitere Besprechungen zum Label/Verlag Neos:
-
Kunst als Erfahrungssuche an den Grenzen: Der Schweizer Komponist René Wohlhauser, der auch Gedicht verfasst, beschäftigt sich in seinen Kompositionen oft mit den existentiellen Fragen des Daseins. Weiter...
(Michael Pitz-Grewenig, )
-
Expressiv vokal: Wertvolle Kelterborn-Würdigung aus Winterthur. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Ästhetisch rigoros: Ernst Helmuth Flammers anspruchsvolle Orchestermusik in vorbildlichen Wiedergaben. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
Weitere CD-Besprechungen von Dr. Jürgen Schaarwächter:
-
Es dreht sich nur um einen: Der Klaviertriokomponist Camille Saint-Saëns als Schöpfer und Nachschöpfer. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Kein überzeugendes Plädoyer: Dem Constanze Quartett mangelt es an rhetorischer Überzeugungskraft, um drei Streichquartette Emilie Mayers zu einem besonderen Erlebnis zu machen. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Pionierleistungen: Bedeutsame Dokumente der Havergal-Brian-Diskografie. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
Weitere Kritiken interessanter Labels:
-
Großes Violinkonzert – großartig interpretiert: Ewelina Nowicka und das Polish National Radio Symphony unter Zygmunt Rychert meistern (unbekannte) Violinwerke von Ludomir Różycki. Weiter...
(Dr. Kai Marius Schabram, )
-
Mehr Fantasie als Ordnung: Federico Colli fasziniert und irritiert mit Klavierwerken W. A. Mozarts. Weiter...
(Dr. Kai Marius Schabram, )
-
Lohnende Neuauflage: Hochwertige Liszt-Aufnahmen von Michael Korstick, gesammelt in einer neuen Edition. Weiter...
(Oliver Bernhardt, )
Portrait

"Man muss das Ziel kennen, bevor man zur ersten Probe erscheint."
Der Pianist und Organist Aurel Davidiuk im Gespräch mit klassik.com.
Sponsored Links
- Opernreisen und Musikreisen bei klassikreisen.de
- Konzertpublikum
- Musikunterricht
- klassik.com Radio
- Urlaub im Schwarzwald
- Neue Musikzeitung
- StageKit - Websites für Musiker, Veranstalter und Konzertagenturen
Hinweis:
Mit Namen oder Initialen gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers,
nicht aber unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Die Bewertung der klassik.com-Autoren:
Überragend
Sehr gut
Gut
Durchschnittlich
Unterdurchschnittlich