> > > Dvorak, Antonin: Sinfonie Nr. 2 & Das goldene Spinnrad
Sonntag, 4. Juni 2023

Dvorak, Antonin - Sinfonie Nr. 2 & Das goldene Spinnrad

Das Spinnrad läuft von alleine, die Symphonie nicht


Label/Verlag: Coviello Classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Den Kreis aller neun Symphonien von Antonín Dvorak hat Marcus Bosch jetzt mit seiner Staatsphilharmonie Nürnberg geschlossen. Die frühe zweite Symphonie, ein Stiefkind im Repertoire, kommt aber nicht überzeugend daher.

Sowohl der Streicherklang als auch die Aufnahmetechnik erfüllen nicht die hohen Ansprüche, welche die Ausstattung des Labels Coviello Classics – immerhin handelt es sich meines Wissens um die erste Gesamtaufnahme auf SACD – und Marcus Bosch nach seinem Aachener Bruckner-Zyklus geweckt haben dürften. Zu matt und kompakt wirkt das Gesamtbild der Staatsphilharmonie Nürnberg, zu deutlich fehlt jener Violinenglanz in der kompositorischen Textur, der nicht nur in den erst international erfolgreichen letzten drei Schlachtrössern Antonín Dvořáks auch von weniger prominenten Orchestern erwartet werden kann. Natürlich ist die Aufnahmegeschichte des gesamten Zyklus eine Hypothek für jede Neuaufnahme: Das London Symphony Orchestra, mit welchem István Kertész und Witold Rowicki in den 1960er und 1970er Jahren alle Neune aufnahmen, das Philharmonia Orchestra unter Andrew Davis und auch die Berliner Philharmoniker unter Rafael Kubelik musizieren in einem ganz anderen Instrumentengruppenbild, dessen ältere, beengtere Stereo-Verhältnisse in der Ausgewogenheit des auch bei Dvořák tragenden Streichergrunds als Basis hervortretender Bläsersolisten für mich immer noch ein überzeugenderes Werkverständnis vermitteln.

Die oft geringe klangliche Präsenz der Violinen wirkt in Dvořáks Zweiter Symphonie zu sehr auch in die Möglichkeiten Boschs hinein, etwa im Kopfsatz Steigerungen dynamisch zu entwickeln oder ein in allen Stimmen hörbar durchphrasiertes melodisches Geflecht zu entfalten. Nagelprobe ist der zweite Satz: Poco adagio, choralhaft in der sanglichen Exposition und Steigerung des Hauptthemas, mit einem Fugato als Zielpunkt. Nirgends stellt sich die an Brahms und in der Flächigkeit mancher Abschnitte sogar an Bruckner gemahnende Sogkraft anderer Einspielungen ein. Bosch kann eher bruchstückhaftes Musizieren Abschnitt für Abschnitt kaum verhindern, in welchem zwar die Nürnberger Holzbläser gute Auftritte haben, von ihren Streicherkollegen aber viel zu wenig getragen werden. Man höre diesen Satz einmal zum Vergleich mit Rowicki oder Davis oder in der 2014 erschienenen Aufnahme der Tschechischen Philharmonie unter dem letztes Jahr verstorbenen Jiří Bělohlávek, um die Schwächen der dramaturgischen Gestaltung als Mängel dieser Aufführung (Live-Mitschnitt) und nicht des oft unterschätzten Werks zu erkennen.

Die Tempi stimmen, die Klangrelationen jedoch nicht

Das Potenzial dieser Symphonie wird verschenkt: Dvořáks Opus 4 aus dem Jahr 1865 stellt, wie Kai Weßler im schön gestalteten Booklet richtig feststellt, eine Orientierung des noch unerfahrenen Komponisten an internationalen Standards dar (zu denen auch heute Vergessene wie Joachim Raff oder Friedrich Schneider beitrugen) und befindet sich bereits auf einem aufsehenerregenden Niveau. Nicht nur die in guten Aufnahmen wirklich erhabene Stimmung des langsamen Satzes, sondern auch die fast finalgemäße langsame Einleitung des hervorragend orchestrierten, Volkstümlichkeit mit Schumann kreuzenden Scherzo-Satzes zeigen Dvořák bereits als herausragendes Talent. Zwar steigert sich das Spiel der Violinen in den virtuoseren Sätzen 3 und 4, kann aber, im Tutti immer noch zu glanzlos, nicht das Niveau der Konkurrenz erreichen. Dabei ist Boschs Wahl der Tempi geraden im etwas ausschweifenden Finalsatz mit seinem eingebetteten schönen zweiten Thema genau richtig: Er erreicht eine notwendige Flüssigkeit des thematischen Verlaufs, obwohl man manchmal immer noch die Vorsicht aus dem Kopfsatz spürt, eher eine fehlerfreie als mitreißende Darbietung abzuliefern (Nachteil vieler Live-Mitschnitte wie dieser Aufnahme vom 13. Oktober 2017). Dass Kern-Repertoire wie Dvořáks dreißig Jahre später entstandene Symphonische Dichtung 'Das goldene Spinnrad' (1896) da am selben Abend doch etwas überzeugender gelingt, ja von Bosch trotz der weiterhin zu wenig glänzenden Violinen wirklich in Tempo und Dynamik agogisch spannend erzählt wird, macht schon nachdenklich im Hinblick auf die Motivation solcher Gesamtzyklen und die in das Unbekanntere investierte Arbeit und Sorgfalt.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Dvorak, Antonin: Sinfonie Nr. 2 & Das goldene Spinnrad

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Coviello Classics
1
02.03.2018
Medium:
EAN:

SACD
4039956917359


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Coviello Classics

Für Coviello Classics steht bei einer Musikproduktion immer das besondere Hörerlebnis im Vordergrund ? alle technischen und organisatorischen Entscheidungen müssen sich diesem ästhetisch definierten Ziel unterordnen. Wesentliche Entscheidungen treffen bei coviello classics nicht gewinnorientierte Manager, sondern kreative Musik-Gestalter: zum einen die Gründer, Geschäftsführer und prägenden Köpfe Olaf Mielke und Moritz Bergfeld, die als Diplom-Tonmeister und Aufnahmeleiter den coviello classics-Produktionen ihr ?klangliches Gesicht? geben, zum anderen die Interpreten, die für coviello classics immer die wichtigsten Partner sind. Ihre künstlerische Aussage ist das zentrale Kriterium für die Qualität einer Aufnahme; sie sind in alle ästhetischen Fragen einer Veröffentlichung einbezogen.

Hoher Repertoirewert

Grundvoraussetzung für unsere Neuproduktionen sind die besonderen Anforderungen an Künstler und Repertoire. Um dem Klassikmarkt neue Impulse zu geben, produziert coviello classics bislang wenig beachtetes Repertoire, oftmals in Weltersteinspielungen, und sorgt damit immer wieder für überraschende Entdeckungen. Bekanntere Werke erscheinen durch ungewöhnliche Interpretationen in neuem Licht ? hier gibt es keine ideologischen Grenzen oder vermeintlichen Authentizitäts-Anspruch; lebendige Musikkultur zeigt oft das vertraute in ganz anderem klanglichem Gewand. Ein besonderer Schwerpunkt ist die seit einigen Jahren etablierte Reihe coviello contemporary, in der sich die Nähe zum weltbekannten Darmstädter Institut für neue Musik in ganz aktuellen Kompositionen bemerkbar macht.

Technische und ästhetische Kompetenz

coviello classics ist das Label, unter dem die Aufnahmen der Produktionsfirma MBM vertrieben werden ? ob als CD, DVD oder SACD. Durch einen ganz speziell für die Anforderungen hochwertigster Musikproduktionen konzipierten Übertragungswagen sind die Voraussetzungen für die Aufnahmequalität bei MBM optimal. coviello classics bietet darüber hinaus in jedem Bereich und in jeder Phase der Realisierung einer Musikproduktion ? bis hin zu grafischer Gestaltung und Textredaktion bei den begleitenden Druckmedien ? sowohl Logistik und hochwertiges Gerät wie auch technisches und ästhetisches Know-how.

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Zu einer Musikveröffentlichung gehört nicht nur der gespeicherte Ton ? da gibt es noch einiges mehr zu gestalten. Das Cover einer CD, DVD oder SACD muss nicht nur grafisch ansprechend gestaltet sein, sondern auch einen sinnvollen Zusammenhang mit dem musikalischen Inhalt herstellen. Das begleitende Booklet soll umfassend über Werke, Künstler und Aufführungspraxis informieren; die Texte müssen wissenschaftlicher Prüfung standhalten, aber trotzdem allgemein verständlich und auch noch unterhaltsam sein ? schwierige Herausforderungen auch über die Musik hinaus, für die coviello classics mit erfahrenen Grafikern und Textautoren zusammenarbeitet. Schließlich muss das fertige Produkt an möglichst vielen Orten der Welt erhältlich sein. Dafür haben wir in vielen Ländern in Europa, Asien und Nordamerika Partner vor Ort, die ihren Markt genau kennen. Sie werden laufend mit Neuheiten, Informationsmaterial und Rezensionen aus der Presse versorgt ? auch wenn die Produktion eigentlich fertig ist, macht sie uns noch viel Arbeit.


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