
Bliss, Arthur - The Beatitudes
Kriegserinnerung und Lobpreis
Label/Verlag: Chandos
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Arthur Bliss fühlte sich in den musikalischen Zwischenwelten der britischen Musik zu Hause. Jetzt ist eines seiner Hauptwerke nach über 50 Jahren auf Tonträger erschienen die effektvolle Kantate 'The Beatitudes'.
Man ist versucht die britische Musikgeschichte in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts in Progressive und in traditionsbewahrende Spätromantiker einzuteilen. Zu den Ersteren würden demnach Komponisten wie Tippett und Britten zählen, zu den Letzteren Vaughan-Williams, Bax und Walton. Dabei wird aber allzu oft vergessen, dass es auch eine Menge an musikalischen Zwischenwelten gibt, in denen sich so mancher Komponist zu Hause fühlte. Zu welcher Gruppierung man etwa Arthur Bliss (1891–1975) zählen sollte, mit seinen unterschiedlichen und musikalisch widersprüchlichen Schaffensphasen, ist nicht eindeutig.
Während er sich in seinem Frühwerk den Les Six verbunden und von Igor Strawinsky beeinflusst fühlte, etwa in seiner 'Colour Symphony', wandte er sich spätestens in den 1930er Jahren einer dezidiert spätromantischen Tonsprache zu und zeigte sich auch filmmusikalisch aktiv. Seit seiner Erhebung in den Adelsstand 1950 und der Ernennung zum Master of Queen‘s Music, einer Position als Hofkapellmeister der englischen Königin, kann man ihn zweifelsohne als einen von der Avantgarde entfremdeten, in seiner eigenen anachronistischen Welt lebenden Komponisten bezeichnen.
Spätromantischer Orchesterapparat
Aus dieser Zeit stammt das Hauptwerk 'The Beatitudes', das nach der Ersteinspielung 1964 mit dem Komponisten selbst am Dirigentenpult, jetzt bei Chandos als SACD vorliegt. Es handelt sich um eine großorchestral angelegte Kantate für Solisten, Chor und Orgel, die ebenso wie Britten‘s 'War Requiem' für die Wiedereinweihung der im 2. Weltkrieg zerstörten Kathedrale von Coventry geschaffen wurde. Bliss bringt hier den spätromantischen Orchesterapparat, angereichert um dissonante Akkordbildungen, auf Hochtouren. Andrew Davis hat dieses Werk mit dem BBC Symphony Orchestra und Chorus im Watford Colosseum aufgenommen und reizt die Klangfarben und Spannungen in der Partitur großartig aus. Dabei macht er auch eindrucksvoll hörbar, wie Krieg und Trauer in Form von orchestralen Zwischenspielen oder hymnischen Chorpassagen die Partitur wie ein roter Faden durchziehen.
Verinnerlichte Chorsätze bietet beispielsweise der erste Satz 'Auf dem Ölberg', in dem grundierende tiefe Streicher und Bläser einen oft a cappella intonierten Chor sekundieren. An anderen Stellen bricht das Kriegsgeschehen in Form von dissonanten Schichtungen oder in gewalttätigen perkussiven Passagen immer wieder herein, um schließlich in majestätischen Lobpreis zu münden. Bliss griff bei der Komposition auch auf eine autobiographische Erfahrungsebene zurück, da er selbst als Soldat die Schrecken des 1. Weltkriegs erlebt hatte. Bliss orchestriert vor diesem Hintergrund etwa im 6. Satz die Drohungen Gottes mit einem bissigen Marsch, bei dem Chor und schneidende Piccolo-Flöten im Glissando abwärts stoßen und die perkussive Abteilung des Orchesters das Geschehen erbarmungslos vorantreibt.
Dramatische Kantate
Besonders eindrucksvoll ist der tänzerische Fanfarensatz, der das Ostergeschehen beschreibt. Dazwischen gesetzt sind die einander umspielenden melodischen Linien von Sopran und Tenor. Während die amerikanische Sopranistin Emily Birsan durchweg überzeugt, hinterlässt der Tenorsolist Ben Johnson gerade in der hohen Lage einen angestrengten Eindruck. In der anschließenden Gedichtvertonung führt Bliss sogar ein Osterantiphon ein, allerdings in einer sehr viktorianischen Umdeutung mit tänzerischem Harfen- und Streicherklang und mit einem lyrischen Sopran-Tenorduett. Was als Höreindruck bleibt, ist eine sehr abwechslungsreiche, dramatisch durchgegliederte Kantate, die trotz des massiven, schwierig zu manövrierenden großorchestralen Klangapparats mit zahlreichen orchestralen Effekten aufwartet, die auf der SACD plastisch hervortreten. Unüberhörbar ist aber – gerade in den Chören – die Verankerung des Werkes in einer spezifisch englischen Chortradition mit Bezug auf Elgars Oratorien oder Gustav Holsts Chorsätze.
Ungleich leichter instrumentiert ist Bliss‘ Frühwerk 'Introduction and Allegro', das sich stark an der Idee eines ‚amerikanischen‘ Orchesterklangs orientiert. Dieses eher hymnisch-pastorale, Leopold Stokowski gewidmete Werk zeichnet sich durch raumgreifende Streicherpassagen aus, die von agilen, oft im Staccato agierenden Holz- und Blechbläsern komplementiert werden. Bliss zeigt sich hier als Meister der kleinen sinfonischen Form. In einem Werk von nur 12 Minuten schafft er es, mit nur einem wandelbaren Motiv eine ganze Geschichte zu erzählen. Schon beim ersten Hören drängt sich hier der Eindruck auf, dass dieses Werk weit mehr Aufmerksamkeit – auch in den Konzertsälen hierzulande – verdient hätte. Nicht zuletzt drängt sich dieser Eindruck durch die engagierte Interpretation des BBC Symphony Orchestra auf, das hier alle ihre großen Qualitäten ausspielt – rhythmische Perfektion und Wendigkeit, einen brillianten Bläserklang und ungewöhnlich warm aufspielende Streicher. Als Bonus gibt es eine vom Komponisten arrangierte Chor-Orchesterversion der englischen Nationalhymne 'God Save the Queen' zu hören, bei der es sich erstaunlicherweise um eine Ersteinspielung handelt.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Bliss, Arthur: The Beatitudes |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Chandos 1 02.02.2018 |
Medium:
EAN: BestellNr.: |
SACD
095115519127 CHSA 5191 |
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Chandos Chandos Records was founded in 1979 by Brian Couzens and quickly established itself as one of the world's leading classical labels. Prior to forming the label, Brian Couzens, along with his son Ralph, worked for 8 years running a mobile recording unit recording for major labels (including RCA, Polydor, CFP, etc.) with many of the world's leading artists.
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