
En travesti - Arien von Händel, Vivaldi, Rossini, Donizetti, Mascagni u.a.
Mehr als einfach Hosenrollen
Label/Verlag: BR-Klassik
Detailinformationen zum besprochenen Titel
'En travesti' ist ein stilistisch breit gefächertes und kurzweiliges Album einer wandlungsfähigen Künstlerin.
’Das Spiel mit den Geschlechtern ist in der Oper seit jeher ein wichtiger Bestandteil. Sei es, dass Männer in Frauenrollen auftraten, sowohl in ernster wie in komischer Hinsicht, oder eben Frauen in Männerkleidern, als Tarnung oder als vollendeter Geschlechtertausch. Seit die Kastraten von der Opernbühne verschwunden sind, hat sich das Repertoire für Mezzosoprane und Altistinnen deutlich erweitert und trotz vieler Countertenöre in heutiger Zeit, hält sich die Besetzung so manch barocker Helden- oder Bösewichtpartie mit einer tiefen Frauenstimme. Die italienische Mezzosopranistin Anna Bonitatibus hat in ihrem aktuellen Album ‚En travesti‘ beim hauseigenen Label des Bayerischen Rundfunks mehr als 250 Jahre Musiktheatergeschichte im Hinblick auf Frauen in Männerrollen nachvollzogen. Das ausgewählte Repertoire reicht von Vivaldi bis Mancini. Begleitet wird sie dabei vom routinierten Münchner Rundfunkorchester unter der Leitung von Corrado Rovaris, der sich vor allem als umsichtiger und fast schon bescheidener Begleiter präsentiert.
Was besonders beeindruckt, ist die stilistische Bandbreite und das enorme Einfühlungsvermögen, das Bonitatibus in jede erklingende Partie zu legen versteht. Es geht ihr nämlich um viel mehr als um ‚bloße‘ Hosenrollen. Sie berührt immer wieder jene leicht irritierende, erotische Komponente, die den Geschlechtertausch so spannend macht – auf der Bühne, aber eben auch auf Tonträger. Ihr Romeo in Bellinis 'I Capuleti e i Montecchi' mag ein junger, schwärmerischer Mann sein, aber die Süße und Zärtlichkeit in Ton und Phrasierung, lassen auf faszinierende Weise die Realität hinter der Maske eben nicht gänzlich vergessen. Bonitatibus spielt mit dieser Grenzwanderung, nutzt sie effektvoll, ohne plakativ zu wirken.
Eröffnet wird das Programm mit einer Arie aus Händels 'Radamisto'. Forsch und virtuos wirft sich Anna Bonitatibus ins Zeug, um gleich mit der darauffolgenden Arie aus Vivaldis 'Farnace' eine starke Kontrastwirkung zu erzielen. Wo bei Händel noch furchtlose Koloraturketten beeindrucken, lässt Vivaldis 'Gelido in ogni vena' die Zeit förmlich stillstehen. Bonitatibus zeigt einen meisterhaften Umgang mit Farben und Emotionen, vom schmerzerfüllten Stimmhauch bis hin zum zaghaften Tonansatz. Dabei bleiben die Wärme und Innigkeit ihrer Stimme aber stets erhalten, selbst wenn sie im Dacapo nur noch einen klingenden Schatten des ersten Teils zaubert. Diese existenzielle Arie gehört fraglos zu den ganz großen Momenten dieser CD.
Was letztlich in allen hier vertretenen Arien auffällt, manchmal störend, manchmal weniger, ist das extreme Tremolieren von Bonitatibus’ Stimme. Fast könnte man annehmen, die Sängerin könne keinen ruhigen Ton mehr produzieren. Wie gesagt, manchmal stört es in keiner Weise, weil die bebende Unruhe der Stimme zum jeweiligen Rollenporträt zu passen scheint, manchmal stört es aber durchaus. So zum Beispiel im reich ornamentierten 'Voi che sapete' aus 'Le nozze di Figaro', wo es eben nicht jung und erregt klingt, sondern eher ältlich und zu reif. Auch der ansonsten betörend gesungene Romeo, mit flötengleichen Höhen und von Rovaris extrem langsam veranschlagt, mag zwar emotional aufgewühlt sein, aber gesund klingt das Dauertremolo nicht – eher enervierend. Bei der finalen Nummer des Album, 'Crazy World' aus dem Musical 'Victor/Victoria' von Henry Mancini ist die unruhige Stimmführung dann vollends deplatziert. Dieser Track ist nach einem ansonsten eigentlich überzeugenden Album nur noch als nicht ernst gemeinter Ausreißer zu hören.
Wunderbar gelingen Bonitatibus der furiose Gluck'sche Orphée in der Bearbeitung durch Hector Berlioz und das 'Di tanti palpiti' aus Rossinis 'Tancredi'. Manchmal erinnert der zaghafte Tonansatz für die Verzierungen an das affektierte Gehauche von Cecilia Bartoli, nur dass Anna Bonitatibus eben auch wirklich zupackt, wenn es vonnöten ist. Das zeigt sie auch in einem launig vorgetragenen, energetischen 'Non! non... vous navez jamais, je gage' aus Meyerbeers 'Les Huguenots' und als verführerischer Nicklausse in Offenbachs 'Les Contes d’Hoffmann'. Selten zu hörende Ausschnitte aus Mascagnis 'L’amico Fritz', Donizettis 'Maria di Rohan' und Puccinis 'Manon Lescaut' – wann findet man das Madrigal des Musikers sonst auf einer Solo-CD? –, das Kind aus Ravels 'L’enfant et les sortilèges' und ein klar artikulierter und leidenschaftlicher Octavian im 'Rosenkavalier' von Richard Strauss komplettieren das kurzweilige Album, das so manche Empfehlung für künftige Verpflichtungen ausspricht.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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En travesti: Arien von Händel, Vivaldi, Rossini, Donizetti, Mascagni u.a. |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: Spielzeit: Aufnahmejahr: |
BR-Klassik 1 23.02.2018 066:42 2016 |
Medium:
EAN: BestellNr.: Booklet |
CD
4035719003185 900318 |
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Bellini, Vincenzo |
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"Anna Bonitatibus ist eine der erfolgreichsten Mezzosopranistinnen unserer Zeit. Auf ihrem neuen Album mit dem Titel en travesti präsentiert sie zusammen mit dem Münchner Rundfunkorchester unter Leitung von Corrado Rovaris die bekanntesten und bedeutendsten Arien, die in den vergangenen dreihundert Jahren für Frauen geschrieben wurden, welche auf der Opernbühne in Männerrollen auftreten: sogenannte Hosenrollen. Die fünfzehn Arien beginnen bei Händel und Vivaldi, reichen über Gluck und Mozart, die Italiener Rossini, Bellini und Donizetti sowie die französischen Opernkomponisten Meyerbeer, Offenbach und Massenet, die Veristen Mascagni und Puccini bis hin zu Ravel und Richard Strauss; das Programm schließt mit einem Song aus dem Filmmusical Victor/Victoria. Die Hosenrolle die in Männerkleidung auftretende Frau war und ist eine beliebte Erscheinung des Sprech- wie des Musiktheaters. Dass damit allmählich bloß die für Kastraten geschrieben Partien ersetzt worden wären, nachdem in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts deren Tradition aus humanitären und ästhetischen Gründen endete, wird immer wieder angemerkt, ist aber nicht korrekt. Auch zu Zeiten der Kastraten wurden Männer immer wieder von verkleideten Frauen dargestellt, diese Partien von berühmten Sängerinnen interpretiert. Anna Bonitatibus singt auf ihrem Album ausschließlich Arien, die ursprünglich für Frauen geschrieben wurden (im Gegensatz zu zahlreichen Konzeptalben der vergangenen Jahre, auf denen etwa Countertenöre die für Kastraten geschriebenen Arien aufgenommen haben). Damit eröffnet sie einen ganz anderen, neuartigen Blickwinkel auf die Hosenrolle und erlaubt Höreindrücke von großartigen und ungemein abwechslungsreichen musikalischen Nummern aus drei Jahrhunderten Musik- und Operngeschichte. Es reihen sich berühmte und weniger bekannte Operntitel aneinander, beliebte Musiknummern und echte Wiederentdeckungen. Imponierend ist die Tatsache, dass die Hosenrolle, die man eher mit der Barockoper in Verbindung bringen mag, auch im 19. und sogar im 20. Jahrhundert sehr beliebt war. Der Octavian in Strauss Rosenkavalier ist eines der spätesten Beispiele. Den Hörer erwartet also Bekanntes wie neu zu Entdeckendes von virtuosen Arien der Barockoper über den italienischen Belcanto bis hin zum zeitgenössischen Musicalsong. Ein Konzept, das überzeugt und Freude bereitet. Die Studioaufnahmen des Bayerischen Rundfunks entstanden im Sommer 2016 und werden nun bei BR Klassik veröffentlicht. " |
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BR-Klassik BR-KLASSIK, das Label des Bayerischen Rundfunks (BR), veröffentlicht herausragende Live-Konzerte des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks (BRSO), des Chors des Bayerischen Rundfunks, des Münchner Rundfunkorchesters sowie der Konzertreihe musica viva. Dabei ist es ein wesentliches Ziel des Senders, über seine Radio- und TV-Programme hinaus auch digital sowie via CD und DVD allen Musikfreunden weltweit Zugang zu besonderen Aufnahmen zu bieten und auf diese Weise auch jenes Publikum zu erreichen, welches keine Möglichkeit hat, die Konzerte der internationalen Tourneen selbst vor Ort live zu erleben. Neben den jeweiligen Chefdirigenten wie beispielsweise Mariss Jansons oder Sir Simon Rattle finden sich großartige Künstlerpersönlichkeiten wie Daniel Barenboim, Herbert Blomstedt, Bernard Haitink und viele andere mehr. Die Reihe BR-KLASSIK WISSEN liefert unterhaltsame und kurzweilige Hörbiografien von Jörg Handstein mit vielen Hintergrundinformationen und Musikbeispielen auf jeweils 4 CDs, erzählt von Udo Wachtveitl sowie spannende Werkeinführungen in bedeutende Kompositionen der Musikgeschichte. Durch die Reihe BR-KLASSIK ARCHIVE werden historische Aufnahmen des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks wieder verfügbar. Beispielsweise die legendäre Aufführung des Verdi-Requiems unter der Leitung Ricardo Mutis mit Jessye Norman, Agnes Baltsa, José Carreras und Jewgenij Nesterenko und dem Chor des BR im Jahr 1981 oder etwa denkwürdige Konzertabende mit der Pianistin Martha Argerich: 1973 unter Leitung von Eugen Jochum mit Mozarts Klavierkonzert KV 456 sowie zehn Jahre später mit Beethovens Klavierkonzert Nr.1 unter Seiji Ozawa. Mittlerweile umfasst der gesamte Katalog über 200 Aufnahmen und hat bereits mehr als 50 renommierte und internationale Auszeichnungen erhalten, darunter den Preis der Deutschen Schallplattenkritik, den Diapason d’or, den BBC Music Magazine Award und den ICMA. BR-KLASSIK wird weltweit durch NAXOS vertrieben. Selbstverständlich gehören hierzu auch digitale Portale wie Spotify, Apple, amazon u.v.a.. Die Naxos Music Library präsentiert zudem für Universitäten und öffentliche Bibliotheken via Internet einen ständig wachsenden Katalog mit tausenden von Titeln weltweit führender Labels. Studenten, Lehrpersonal und andere Benutzer können sich jederzeit einloggen und in der Bibliothek, im Hörsaal, im Studentenwohnheim, im Büro oder zu Hause das komplette Repertoire abrufen - auch die Aufnahmen von BR-KLASSIK. Mehr Info... |
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