
Voilà Viola! - Vol. 1 Great Britain
Jenseits des Scheins
Label/Verlag: Musicaphon
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Volle Hingabe an die Musik: Werke für Viola von Grey, Gorb, Britten, Bliss u.a.
‚Die Viola ist geradezu maßgeschneidert für britische Musik. Das Instrument verfügt über einen etwas melancholischen Charakter in Verbindung mit einem leicht phlegmatischen Temperament. Aber die Viola kann auch virtuos und extrem leidenschaftlich wirken, und diese verschiedenen Aspekte werden noch gekrönt durch den Schwung vieler britischer Kompositionen für die Bratsche.‘ Dieser Werbetext hat mich vor dem Hören der vorliegenden SACD zunächst einmal stark abgeschreckt, werden doch zahllose Vorurteile bestätigt, die in keinster Weise nötig wären – nicht für die Viola und nicht für die britische Musik. Auch das vorliegende Repertoire überrascht zunächst: Die Sonate von Arthur Bliss von 1933 und Benjamin Brittens 'Lachrymae' op. 48 aus dem Jahr 1950 werden gekoppelt mit Werken zweier eher unbekannter neuerer Komponisten, Geoffrey Grey (geb. 1934) und Adam Gorb (geb. 1958). Dass die vielleicht berühmteste britische Violasonate – jene von Rebecca Clarke (1919) – der Sammlung fehlt, erklärt sich leicht aus dem Katalog des Labels Musicaphon, sie wurde vor einiger Zeit von Duo Sellheim vorgelegt.
Der kenntnisreichere Anglophile kennt natürlich auch die Sonaten von York Bowen, Arnold Bax, Elizabeth Maconchy, Cyril Scott, Lennox Berkeley, Alan Rawsthorne, Granville Bantock, Benjamin Dale oder John McEwen sowie die zahllosen anderen Werke von Frank Bridge bis Robert Saxton. Natürlich ist dieser reiche Schatz den bedeutendsten Exponenten des Instruments in Großbritannien zu danken, allen voran dem ‚Urvater‘ Lionel Tertis, gefolgt aber auch von Frederick Riddle, William Primrose, Cecil Aronowitz, Paul Silverthorne u.a. Dass weder dem Bookletautor noch den Interpretinnen diese Traditionslinien genügend bekannt sind, überschattet die CD-Premieren der Produktion, die 'Sonata' von Geoffrey Grey (1986, für Roger Chase) sowie 'Humoresque' (1986, auf Gorbs eigener Werkliste fehlt sie, vielleicht, weil sie zu sehr der leichten Muse zuneigt) und 'Valse/Nocturne' (1992, beide für Martin Outram, letzteres Booklet durchgehend abweichend betitelt) von Adam Gorb.
Gorbs Stücke, die teilweise auf William Walton, Constant Lambert, Malcolm Arnold und Arthur Bliss Bezug nehmen, verbinden Tiefe und Humor, lassen sich aber nicht den bedeutendsten Neuschöpfungen in diesem Bereich zurechnen. Die Niederländerinnen Karin Dolman und Caecilia Boschman bringen die gefälligen Miniaturen (mit einer Länge von jeweils unter 7 Minuten) engagiert und effektvoll zu Gehör (vermutlich als Erholung zwischen den drei ‚Schwergewichtern‘ der Produktion). Die SACD-Aufnahmequalität aus der Dorpskerk in Rhoon ist ausgezeichnet und unterstützt sowohl die Interpretationen als auch die Raumakustik. Da überzeugt Greys 'Sonata' (eigentlich ein umfangreicher Variationensatz) weit mehr – eine atonale Tour de Force, virtuos wie lyrisch, dramatisch wie nachdenklich. Auch hier ist der Traditionsbezug, aber auch Greys Originalität jederzeit deutlich hörbar – in formgestalterischer Hinsicht ebenso wie in jedem anderen kompositorischen Parameter. Es gelingt den beiden Musikerinnen, diese Tonträgerpremiere zu einem festen Bestandteil der erwähnten Tradition zu machen.
Bei den beiden weiteren Werken treffen Dolman und Boschman auf die zu erwartende harte Konkurrenz. Die Bliss-Sonate haben u.a. Martin Outram/Peter Donohoe und Roger Chase/Michiko Otaki auf Tonträger vorgelegt. Auch hier beweisen Dolman und Boschman ihre volle Hingabe an die Musik, kraftvoll und virtuos, lyrisch-verhalten und dramatisch, mit gutem Timing und offenkundiger Liebe zur Musik. Die Musikerinnen bieten eine Vielzahl an Tönungen, Schattierungen und Farben, so dass in keinster Weise auffällt, wenn andere Interpretationen von der reinen Tempowahl teilweise eklatant flotter sind. Auch profitieren sie von der ausgezeichneten Aufnahmetechnik, die die Instrumente in optimaler Weise abbildet. Gleiches gilt für Brittens 'Lachrymae, reflections on a song of Dowland'. Von dieser Komposition existieren neben diversen Aufnahmen der späten Fassung mit Streichorchester auch zahlreiche bedeutende Einspielungen der originalen Fassung mit Klavier. Damit können Dolman/Boschman insgesamt sehr gut mithalten, doch sie erlangen keinen Referenzstatus, dafür ist die Konkurrenz einfach zu stark. Insgesamt eine auf den ersten Anschein eher gewollt originell wirkende Produktion, doch erweist sich das als Problem auf der rein präsentationstechnischen Ebene und berührt die Einspielung nicht.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Voilà Viola!: Vol. 1 Great Britain |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Musicaphon 1 31.01.2018 |
Medium:
EAN: |
SACD
4012476569710 |
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Musicaphon Ende der 50er Jahre gründete Karl Merseburger, Inhaber des Tonkunstverlages in Darmstadt, das Label CANTATE. Etwa zur gleichen Zeit rief Karl Vötterle (Bärenreiter-Verlag) in Kassel MUSICAPHON ins Leben. In beiden Fällen sollte vorrangig das jeweilige Verlagsprogramm auf Tonträgern dokumentiert werden. Nachdem Merseburger den Tonkunstverlag 1963 aufgeben mußte, übernahm Bärenreiter das Label CANTATE und führte beide gemeinsam unter dem Dach der 1965 gegründeten Vertriebsfirma "Vereinigte Schallplattenvertriebsgesellschaft Disco-Center" fort. Auf beiden Labels erschienen in den 60er und 70er Jahren bedeutende Aufnahmen. Besondere Schwerpunkte setzte Wilhelm Ehmann, Leiter der Westfälischen Kantorei in Herford, mit seinen historischer Aufführungspraxis verpflichteten Interpretationen der Werke von Heinrich Schütz. Bach-Kantaten wurden von Helmuth Rilling mit der Gächinger Kantorei und dem Figuralchor der Gedächtniskirche Stuttgart eingespielt. MUSICAPHON gewann daneben Profil mit der Veröffentlichung musikethnologischer Aufnahmen, herausgegeben von der UNESCO (Musik des Orients und Musik Afrikas) bzw. vom musikwissenschaftlichen Institut der Universität Basel (Musik Ozeaniens und Musik Südostasiens). 1994 erwarb der Musikwissenschaftler Dr. Rainer Kahleyss (Kassel) die Label, 1996 auch die Vertriebsfirma von Bärenreiter, die jetzt als "Klassik Center Kassel" firmiert. Seitdem werden auf CANTATE geistliche Musik, auf MUSICAPHON weltliche Musik vom Frühbarock bis zur Gegenwart veröffentlicht. Auch für die Rezeptionsgeschichte bedeutsame Aufnahmen der Altkataloge werden sukzessive auf CD umgestellt. Mehr Info... |
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