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Freitag, 31. März 2023

Weinberger, Jaromír - Wallenstein

Hört die Trompeten blasen!


Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Es ist der Versuch, das Musiktheater-Oeuvre des von den Nazis vertriebenen Jaromir Weinberger neu zu entdecken. Der ORF führte seine Historienoper 'Wallenstein' konzertant auf. Jetzt liegt der Mitschnitt aus Wien auf CD vor.

Der Tscheche Jaromir Weinberger (1896–1967) ist den meisten Opernfreunden vermutlich bekannt wegen seines Superhits 'Schwanda, der Dudelsackpfeifer', 1927 am Prager Nationaltheater uraufgeführt und dann schnell überall mit großem Erfolg nachgespielt: in München, Dresden, Leipzig, Berlin, der Wiener Staatsoper, der Metropolitan Opera in New York, an Covent Garden in London und am Teatro Colón in Buenos Aires, um nur einige Stationen zu nennen. Kurz darauf landete Weinberger nochmals einen Hit mit der Operette 'Frühlingsstürme', die er für Richard Tauber komponierte, der damit auch entsprechend Furore machte. Allerdings war die Uraufführung im Januar 1933 in Berlin am Admiralspalast. Und wie es kurz darauf um Musiker jüdischer Abstammung bestellt war, ist allgemein bekannt. Ihre Werke verschwanden von deutschen Spielplänen. So kam auch die ‚Musikalische Tragödie in sechs Bildern‘ mit dem Titel 'Wallenstein' 1937 in Wien zur Uraufführung ohne Chance auf Produktionen im Deutschen Reich, aber auch in Wien verschwand das Stück nach wenigen Vorstellungen. Zu düster und fatalistisch schien dem Publikum diese Hochverratsgeschichte um den Feldherrn Wallenstein, der am Ende ermordet wird von seinen engsten Vertrauten. Das Libretto basiert auf Schiller und wurde aus dem Tschechischen ins Deutsche übersetzt von Max Brod.

Martialischer 'Wallenstein'

2012 setzte das ORF Radio-Symphonieorchester Wien das Werk neuerlich auf den Spielplan und führte es zweimal konzertant auf unter Leitung von Chefdirigent Cornelius Meister. Von diesen Aufführungen liegt nun eine Doppel-CD vor, die es erlaubt, das martialische Werk neu kennenzulernen. Es ist kein Historienspektakel à la Meyerbeer oder Verdi, mit ausladenden musikalischen Szenen oder pompösen Massenaufmärschen. Obwohl im Stück genug ‚Masse‘ vorkommt. Stattdessen funktionieren die sechs Szenen fast filmisch, soll heißen, die Handlung wird schnell und sprunghaft von Episode zu Episode erzählt – durchaus typisch für viele Musiktheaterwerke der 1920er und 30er Jahre. Das Sprunghafte und die Vielzahl von Charakteren – all die Feldherren und Verschwörer, Kürassiere und Gesandten – machen es schwer, sich rein Hörend in der Geschichte zu Recht zu finden. Man muss das Libretto mitlesen, um überhaupt nachvollziehen zu können, wer da mit wem welche Intrige aushandelt. (Ein vollständiges Libretto findet sich im Booklet.)

Dennoch gibt es auch lyrische Szenen, die besonders Wallensteins Tochter Thekla, Prinzessin zu Friedland, vorbehalten sind. Ihr elegisches Lautenlied und später ihr trauriges Abschiedslied vom Geliebten Max (Sohn von Walleinsteins Widersacher) werden von Martina Welschenbach mit berückendem Sopran gesungen, der klar in der Tongebung ist und in der Höhe faszinierend aufblüht. Ich würde sagen, das wäre eine der schönsten Sopranstimmen auf Tonträger, die ich seit langem gehört habe, wenn Welschenbach es verstünde, mit diesen Tönen irgendwie zu berühren. Stattdessen scheint es oft, als würde sie einfach Text vom Blatt singen und als wäre ihr der emotionale Inhalt vollkommen gleichgültig. Was die Wirkung ihrer Auftritte inmitten der zahlreichen Militärmärsche und Soldatenlieder stark mindert. Eine große Sängerin zeichnet sich nicht nur durch eine schöne Stimme aus, sondern auch dadurch, was sie damit macht.

Für die Märsche und Soldatenlieder verwendet Weinberger historische Vorlagen, wie bereits in 'Schwanda'. Die bekannteste zitierte Melodie ist der Pappenheimer-Marsch, der gewaltig auffährt und wirklich mit Pauken und Trompeten über den Hörer herfällt. Das ist imposant. Und es ist immer wieder imposant, diese Aufmärsche und Soldatenszene auf und hinter der Szene zu hören. Es könnte als Soundtrack für jeden Hollywoodfilm dienen oder für aktuelle Serien wie 'Outlander'.

Fülle von Nebenrollen

Die Besetzung der vielen kleinen und nicht so kleinen Rollen ist bedauerlicherweise nicht ganz so imposant. Eindrucksvoll sind die jungen Tenöre Oliver Ringelhahn und Dietmar Kerschbaum in einer Fülle von Nebenrollen. (Was es schwer macht, die Figuren auseinanderzuhalten.) Während Ringelhahn und Kerschbaum frisch und frei klingen, wirken alle anderen Stimmen auffallend trocken – allen voran Roman Trekel als Titelheld. Er gestaltet den Walleinstein so, wie das vermutlich der alternde Dietrich Fischer Dieskau getan hätte. Da ist der Text genau ausgeformt, aber die Stimme wirkt müde, wodurch auch der Feldherr müde scheint, was er laut Handlung aber erst in der letzten Szene sein sollte. Ralf Lukas als General Piccolomini und (!) Kapuziner und (!) Generallieutnant und (!) Dragoner bellt seine Spitzentöne tonlos heraus, hat aber in der Mittellage genug Charakter, um die Rollen professionell zu bewältigen. Aber ein vokales Ereignis ist er nicht. Sollte er aber sein, um das Duell Wallenstein-Piccolomini interessant zu machen. Weinberger liefert dafür durchaus die musikalische Vorlage.

Insgesamt ist es erschreckend, wie forciert und gestemmt so viele der jüngeren Sänger heute ihre Stimmen einsetzen. Was vor Mikrophon doppelt unangenehm wirkt. Ich frage mich, ob der ORF da wirklich keine anderen Möglichkeiten gehabt hätte? Daniel Kirch als der jugendliche Tenorliebhaber Max brüllt sich durch die Partie, als müsste er den Siegmund singen. Und Tenor Edwing Tenias als Wallensteins Vertrauter Illo singt mit einem solch starken Akzent, dass es nahezu grotesk wirkt. Wenn das ein Spiegelbild des aktuellen Opernnachwuchses ist, dann ist das beklemmend.

Die Orchester- und Chormassen hat Cornelius Meister am Pult gut im Griff, die Musik klingt in jeder Sekunde packend und interessant. Gleichwohl sie als reines Hördrama – zumindest in dieser Wiedergabe – zu gleichförmig rüberkommt, zu wenig auf Kontrast und Atmosphäre setzt. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass Weinbergers 'Wallenstein' auf der Bühne absolut wirkungsvoll sein kann, in einer entsprechenden Inszenierung mit Sängern, die dem Werk mehr unmittelbares Leben einhauchen als die ORF-Konzertbesetzung.

Weinberger emigrierte 1938 in die USA, wo er seine Karriere nicht wirklich fortsetzen konnte. Irgendwann gab er frustriert das Komponieren ganz auf. Mit den angesammelten Tantiemen, die er nach dem Krieg aus Europa ausgezahlt bekam, kaufte er sich ein Haus in St. Petersburg, Florida. Dort, in der gleißenden Sonne mit Blick auf den Golf von Mexiko, nahm er sich 1967 das Leben.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Weinberger, Jaromír: Wallenstein

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Spielzeit:
cpo
1
13.12.2017
130:33
Medium:
EAN:
BestellNr.:

CD
761203796328
cpo 777 963-2


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Weinberger, Jaromir
 - Wallenstein. Musikalische Tragödie in sechs Bildern - Helm auf dem Kopfe
 - Wallenstein. Musikalische Tragödie in sechs Bildern - Holla! Hört!
 - Wallenstein. Musikalische Tragödie in sechs Bildern - Wieder ein Gebot ist dies
 - Wallenstein. Musikalische Tragödie in sechs Bildern - Horch, die Trommel klingt
 - Wallenstein. Musikalische Tragödie in sechs Bildern - Laß es jetzt gut sein, Seni
 - Wallenstein. Musikalische Tragödie in sechs Bildern - Wär's möglich
 - Wallenstein. Musikalische Tragödie in sechs Bildern - Der schwed'sche Oberst? Er ist's?
 - Wallenstein. Musikalische Tragödie in sechs Bildern - General Octavio Piccolomini!
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 - Wallenstein. Musikalische Tragödie in sechs Bildern - So weit, mein Freund
 - Wallenstein. Musikalische Tragödie in sechs Bildern - Immer in Tränen?
 - Wallenstein. Musikalische Tragödie in sechs Bildern - Ich wollte nicht stören
 - Wallenstein. Musikalische Tragödie in sechs Bildern - O ew'ge Liebe


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Dirigent(en):Meister, Cornelius
Orchester/Ensemble:ORF Radio-Symphonieorchester Wien
Interpret(en):Trekel, Roman
Welschenbach, Martina
Lukas, Ralf
Kirch, Daniel
Schellenberger, Dagmar
Sadnik, Roman


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cpo

Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
Besonders stolz macht uns dabei, daß cpo - 1986 gegründet - in Rekordzeit in die Spitze vorgestoßen ist. Das Geheimnis dieses Erfolges ist einfach erklärt, wenn auch schwierig umzusetzen: cpo sucht niemals den Kampf mit den Branchenriesen, sondern füllt mit Geschick die Nischen, die von den Großen nicht besetzt werden, weil sie dort keine Geschäfte wittern. Und aus mancher Nische wurde nach einhelliger Ansicht der Fachwelt mittlerweile ein wahres Schmuckkästchen.
Am Anfang einer Repertoire-Entscheidung steht bei uns noch ganz altmodisch das Partituren-lesen, denn nicht alles, was noch unentdeckt ist, muß auch auf die Silberscheibe gebannt werden. Andererseits gibt es - von der Renaissance bis zur Moderne - noch sehr viele wahre musikalische Schätze zu heben, die oft näher liegen, als man meint. Unsere großen Werk-Editionen von Pfitzner, Korngold, Hindemith oder Pettersson sind nicht umsonst gerühmt worden. In diesem Sinne werden wir fortfahren.
Letztendlich ist unser künstlerisches Credo ganz einfach: Wir machen die CDs, die wir schon immer selbst haben wollten. Seien Sie herzlich zu dieser abenteuerlichen Entdeckungsfahrt eingeladen!


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