
Beethoven, Ludwig van - Sämtliche frühen Variationswerke
Individuelle Klangfarben
Label/Verlag: Brilliant classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Alessandro Commellato präsentiert die heute kaum mehr bekannten Variationswerke, mit denen Beethovens Pianisten- und Komponistenkarriere begann: Das Kennenlernen lohnt sich.
Den zwischen 1782 und 1800 entstandenen, größtenteils kaum bekannten Klaviervariationen ohne Opuszahl von Beethoven tut es – vielleicht mehr noch als den Klaviersonaten – besonders gut, wenn neben den kompositorisch-spieltechnischen Variantenbildungen auch die variablere Klanglichkeit verschiedener historischer Instrumente als Gestaltungsmerkmal hinzutritt. Alessandro Commellato nutzt auf den drei CDs dieser Edition gleich fünf verschiedene in Wien verbreitete Instrumente: einen sehr gut restaurierten Böhm-Flügel von 1823 (schon eine Art aktualisierende Rezeption also) sowie vier eher dem Kompositionszeitraum entsprechende Instrumente von Stein (1788) und Walter (1789, 1892, 1805) in Nachbauten von Guido Bizzi.
Tatsächlich ist die damit erzielte klangliche Varianz als Interpretationsmittel, das der Pianist bedächtig nutzt, der große Pluspunkt dieser Aufnahme: Während eine denkbare Darstellung der ganz frühen Bonner Werke alternativ auf einem noch gebräuchlichen Cembalo zwar noch meines Wissens fehlt, rückt mit den hier verwendeten Instrumenten der ‚Materialstand‘ Beethovens vielleicht noch etwas präziser in den Vordergrund als bei der Konkurrenz; bei Ronald Brautigam etwa tragen die McNulty-Kopien von deutlich nach 1800 gebauten Flügeln zwar durch größere Klangfülle zu seinem deutlichen, virtuoser ausgerichteten Ansatz bei, aber mitunter auch in den Variationen (Gesamtaufnahme-Folgen 11-14 beim Label BIS) zu einer etwas monochromen Perspektive. Im füllligeren, an die Lesarten auf dem modernen Flügel deutlicher anknüpfenden Ansatz beeindruckt Brautigams Spiel sicher unmittelbar mehr, aber Commelato überzeugt in etwas distanzierterer, auch ziemlich einfühlsamer Darstellungsweise durch schöne Zwischentöne, Farben, überlegtes rhetorisches Spiel. Beide Aufnahmen würde ich heute etwa den älteren Einspielungen von John Ogdon (EMI, kräftiger noch als Brautigam) oder Rudolf Buchbinder (Teldec, gleichwohl mit schön entspannter lyrischer Phrasierung) zumeist vorziehen.
Ein Interpretationsvergleich ist tatsächlich etwas für Spezialisten: Dass Commelato bei den von Starpianisten wie Gilels, Richter, Mustonen wirklich oft erschlagend gebotenen spätereren WoOs 78 bis 80 trotz tapferer Attacken letztlich doch abfällt (auch gegenüber Melvyn Tan als Hammerklavier-Pionier), macht die Entscheidung, das Programm mit den bekanntesten späten Werken über das Folia-ähnliche c-Moll-Ostinato (WoO 80, 1806) und die beiden britischen National-Hymnen ('Rule Britannia', 'God save') zu beginnen, etwas fragwürdig (die ältesten Bonner Variationen über einen Marsch von Dressler sind zwar auch spannend in ihrer finalen Auflösung der Thematik, aber als Ausklang des Gesamtprogramms nicht optimal platziert). Und natürlich muss man erschrecken und Einwände haben, wenn man den völlig unzureichenden Versuch der Sopranistin Sonja Angelina Krenn wahrnimmt, die Liedvorlage der vierhändigen Variationen WoO 74 – 'Ich denke dein' - auch nur annähernd klangschön zu gestalten.
Abzüge bei der editorischen Präsentation
Der nur in englischer Übersetzung (!) enthaltene, ursprünglich wohl italienische Einführungstext von Oreste Bossini behandelt zudem vorwiegend die ebenso bekannte wie für das Hören der Musik eigentlich weniger interessante Widmungspraxis des jungen Bonners, der anfangs eher als komponierender Virtuose in Wien reüssierte, statt auch einmal einen informativen Blick zu werfen auf die Opern-Vorlagen und lyrischen Inhalte der variierten Themen (Liedern, Arien, Ensembles) aus den Federn von Dittersdorf bis Paisiello. Beethoven setzt sich sehr wohl beim Improvisieren und Variieren auch mit dem ‚affektiven‘ Gehalt bzw. der ‚Handlung‘ seiner Vorlagen auseinander (was mitunter durchaus eine Anzüglichkeit gegenüber mancher Widmungsträgerin vermuten lassen könnte; Genaueres vom Rezensenten hierzu in dessen Variationen-Kapitel des Klaviermusik-Bandes des Beethoven-Handbuchs im Laaber-Verlag). Ist die editorische Präsentation somit höchstens im oberen Mittelfeld anzusiedeln (für Brilliant Classics Produktionen sogar recht positiv), so überwiegt doch eine musikalische Empfehlung, Commelatos Sorgfalt der Instrumenten-Nutzung und spielerische Fantasie bei der klanglichen Darstellung doch einmal alternativ zur Konkurrenz zu goutieren.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!
Ihre Meinung? Kommentieren Sie diesen Artikel
Jetzt einloggen, um zu kommentieren.
Sind Sie bei klassik.com noch nicht als Nutzer angemeldet, können Sie sich hier registrieren.
Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
![]() Cover vergrößern |
Beethoven, Ludwig van: Sämtliche frühen Variationswerke |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Brilliant classics 3 12.01.2018 |
Medium:
EAN: |
CD
5028421954257 |
![]() Cover vergössern |
Brilliant classics Brilliant Classics steht für hochwertige Klassik zu günstigen Preisen! Mit den Veröffentlichungen von komplettierten Gesamtwerks- Editionen und Zyklen berühmter Komponisten, hat sich das Label erfolgreich am Musikmarkt etabliert. Der Klassikmusikchef, Pieter van Winkel, ist Musikwissenschaftler und selbst Pianist. Mit seinem professionellen musikalischen Gespür für den Klassikmarkt, hat er in den letzten Jahren ein umfangreiches Klassikprogramm aufgebaut. Neben hochwertigen Lizenzprodukten fördert er mit Eigenproduktionen den musikalischen Nachwuchs und bietet renommierten Musikern eine ideale Plattform. Mehr Info... |
![]() Cover vergössern |
Jetzt kaufen bei...![]() |
Weitere Besprechungen zum Label/Verlag Brilliant classics:
-
Nicht verwandt und nicht verschwägert: Klaviermusik vom Mozart-Freund. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Medtner auf deutsch: Folge vier der entstehenden Gesamteinspielung aller Lieder Nikolaj Medtners mit Ekaterina Levental und Frank Peters liegt vor. Weiter...
(Dr. Jan Kampmeier, )
-
Reise durchs pianistische Hochgebirge: Emanuele Delucchi präsentiert eine virtuose, aber nie aufgeregte Darstellung der Chopin-Bearbeitungen und anderer Werke von Leopold Godowsky, dem 'Hexenmeister des Klaviers'. Weiter...
(Dr. Michael Loos, )
Weitere CD-Besprechungen von Dr. Hartmut Hein:
-
Ein allgemein gültiger Leistungsnachweis: Die Konkurrenz ist groß im Angebot orchestraler Strauss-Pakete. Und Frankfurts erstes Orchester schlägt sich in diesen versammelten "Live"-Aufnahmen beachtlich. Welche Hör-Vorlieben rechtfertigen eine Anschaffung dieser Box statt bewährter Klassiker? Weiter...
(Dr. Hartmut Hein, )
-
Böhmischer Brückenbau in London: Rhetorik und Kadenzen à la Marini und Formkonzepte à la Corelli: Gottfried Finger, in Mähren um 1655 geboren und 1730 in Mannheim begraben, etablierte Violin-Kammermusik zu einer Zeit in London, als Gamben bei Purcell und Zeitgenossen noch dominierten. Weiter...
(Dr. Hartmut Hein, )
-
Prinzipiell ungemütlich: Das Etikett des Expressionistischen passt zeitlich wie stilistisch phänomenal zur Klaviermusik des 1895 im heute west-ukrainischen Ternopil geborenen Karol Rathaus, der wie viele Berufsgenossen 1933 Deutschland verließ und 1954 in New York verstarb. Weiter...
(Dr. Hartmut Hein, )
Weitere Kritiken interessanter Labels:
-
Kaiserliche Trauer: Trauermusiken von Leopold I. – Kompositionen, die weit mehr sind als Liebhaberei mit Ambition: Es sind vielmehr ernsthafte, substanzreiche Arbeiten von satisfaktionsfähigem Format. Weiter...
(Dr. Matthias Lange, )
-
Große Formen: Pierre-Laurent Aimard intensiviert seinen Einsatz für Beethoven. Weiter...
(Dr. Kai Marius Schabram, )
-
Das Lied als Sprachrohr erlittener Gewalt: Die Mezzosopranistin Esther Valentin-Fieguth und die Pianistin Anastasia Grishutina haben bekannte Lieder zu einem düsteren Szenario menschlicher Not arrangiert. Weiter...
(Christiane Franke, )
Portrait

"Man muss das Ziel kennen, bevor man zur ersten Probe erscheint."
Der Pianist und Organist Aurel Davidiuk im Gespräch mit klassik.com.
Sponsored Links
- klassik.com Radio
- Urlaub im Schwarzwald
- Neue Musikzeitung
- StageKit - Websites für Musiker, Veranstalter und Konzertagenturen
Hinweis:
Mit Namen oder Initialen gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers,
nicht aber unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Die Bewertung der klassik.com-Autoren:
Überragend
Sehr gut
Gut
Durchschnittlich
Unterdurchschnittlich