
Chopin, Frederic - Etüden
Herausforderung angenommen
Label/Verlag: ARS Produktion
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Tatiana Chernichka debütiert mit einer technischen Leistungsschau, die beeindruckt, auch wenn ihr Spiel manchmal allzu sportlich wirkt.
Tatiana Chernichka ist Pianistin in fünfter Generation. Wie sie im schmalen Booklet (zum Werk selbst sind nur zwei Sätze enthalten) erläutert, führt die junge Pianistin mit ihrer Debüt-Aufnahme (und der Aufführung) der Etüden eine Familientradition fort. Ihre Mutter, der die CD gewidmet ist, hatte die Etüden erstmals in ihrer Heimatstadt Novosibirsk aufgeführt. Die Chopin-Etüden sind ein ewiger Prüfstein für Pianisten. Jede Generation muss sie sich neu erobern, sie werden nie ständiger Besitz. Tatiana Chernichka spielt vor allem zupackend, brillant und geradlinig. Die manuelle Bewältigung steht im Vordergrund, so scheint es. Das lyrische Halbdunkel, die Farbenspiele, die man gleich mit der ersten Etüde aus op. 10 veranstalten kann, bleiben aus. Stattdessen meißelt sie glasklare Linien heraus und lässt den rhythmischen Schwung nie erlahmen.
Die Etüde op. 25/12 gelingt ihr beeindruckend schnell, präzise und differenziert. Bei anderen Etüden lässt sich eher ein nervös-überspannter Zug bemerken. Nur die wenigen langsamen Etüden (op. 10/6) bzw. die lyrischen Mittelteile (op. 25 Nr. 5 und 10) geht sie unaufgeregt an. Hier zeigen sich andersartige Herausforderungen: op. 10/6 gerät ohne differenziertes Abtönen der harmonischen Spannungen leicht zur Fesselübung à la Cortot. Die Ritardandi im Mittelteil von op. 25/10 leben durch eine Intimität, die die brachialen Außenteile des Virtuosenstücks nicht vermuten lassen. An diesen wenigen Stellen lässt sich erahnen, wie Chernichka wohl mit den Nocturnes oder den Balladen umgehen würde.
Von diesen Meilensteinen des Klavierspiels existieren ungezählte hochkarätige Aufnahmen, man denke nur an Maurizio Pollini, Murray Perahia und Vladimir Ashkenazy. Vielleicht führt der Anspruch des Sich-beweisen-Müssens zu dem künstlerischen Überdruck, der nicht allen Etüden so gut bekommt, etwa der berüchtigten Oktavenetüde op. 25/10, wo ihr spieltechnischer Furor sich austoben kann. Aus Op. 10 sind es die toccatenartige Nr. 4 und die leidenschaftliche Nr. 12 (‚Revolutionsetüde‘), die überzeichnet wirken. Dass eine Steigerung von Tempo und Dynamik nicht immer die musikalische Aussage intensiviert, sondern manchmal auch karikiert, kann man hier lernen. Bei op. 25/2 führt der spielerische Übermut dagegen eher zu einer humorvollen Note, bei op. 25/4 zu einem eleganten Staccato-Tanz.
Technisch kann Chernichka definitiv beeindrucken, bisweilen gemahnt ihr Spiel an das makellose Funktionieren einer Maschine. Die poetische Aussage, die in den kleinen Charakterstücken steckt und die den Preludes op. 28 gar nicht so unähnlich sind (schließlich finden sich auch unter den Preludes etüdenartige Stücke), bleibt jedoch etwas einseitig auf eine stählerne Grazie beschränkt. Mit der Fokussierung auf die technische Seite macht Chernichka aber auch nachvollziehbar, was diese Stücke einst waren und für jede neue Generation wieder sind: die virtuose Eroberung des Tastengeländes.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Chopin, Frederic: Etüden |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: Spielzeit: |
ARS Produktion 1 01.01.2018 61:32 |
Medium:
EAN: BestellNr.: |
CD
4260052385487 ARS 38 548 |
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Chopin, Frédéric |
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ARS Produktion Das exquisite Klassiklabel ARS Produktion wurde 1987 von Annette Schumacher mit dem Ziel gegründet, jungen, aufstrebenden Künstlern und interessanten Programmen gleichermaßen eine individuelle musikalische Heimat und entsprechende Marktchancen, u.a. durch internationalen Vertrieb und Vermarktung zu geben. Die bei Paul Meisen ausgebildete Konzertflötistin hat sich damit nach langer aktiver Musikerlaufbahn einen geschäftlichen Traum erfüllt.
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