
Britten & Hindemith - Violinkonzerte
Im Kompositionsjahr vereint
Label/Verlag: Pentatone Classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Geigerin Arabella Steinbacher stellt zwei Violinwerke aus dem Jahr 1939 gegenüber. Den beiden Konzerten von Benjamin Britten und Paul Hindemith verleiht sie dabei leider zu wenig Persönlichkeit.
Arabella Steinbacher zählt zu den gefeierten Geigerinnen der jüngeren Generation. Sie zeichnet sich insbesondere durch ihr vielseitiges Repertoire aus. Neben den großen Klassikern der Literatur scheut sie sich nicht vor neueren Werken, von denen sie bereits eine beachtliche Anzahl auf Tonträger veröffentlicht hat, beispielsweise die Konzerte von Aram Chatschaturjan (2004), Darius Milhaud (Orfeo, 2005), Alban Berg (Orfeo 2009), Bela Bartók (Pentatone, 2010) oder auch Sergej Prokofiev (Pentatone, 2012). Man kann ihr somit zugutehalten, dass sie die ausgetretenen Pfade der Repertoire-Einspielungen bislang eher vermieden hat.
Auch auf ihrer neuesten Aufnahme hat sie sich zweier durchaus unbequemer Werke der Violinliteratur angenommen. Zu hören sind das Violinkonzert op. 15 von Benjamin Britten (1913-1976) und das Violinkonzert von Paul Hindemith (1895-1963). Diese zählen zu den bekanntesten Violinkonzerten des 20. Jahrhunderts, erfreuen sich aber – wie es das Schicksal vieler Werke dieses Jahrhunderts ist – in der allgemeinen Rezeption keiner übermäßigen Beliebtheit. Ein Grund mehr, sie zu Gehör zu bringen. Steinbacher zur Seite steht mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter der Leitung des aktuellen Chefdirigenten Vladimir Jurowski eine kompetente Begleitung. Erschienen ist die Aufnahme bei Pentatone in Koproduktion mit Deutschlandfunk Kultur.
Den Auftakt macht das Britten‘sche Violinkonzert. Es ist ein fulminantes Konzert, das Britten selbst nach der Uraufführung sogar als sein ‚bestes Werk‘ titulierte. Die drei kontrastierenden Sätze sind voller theatralischer Gesten, unbefangener Lyrik und atemberaubendem Feuerwerk. Arabella Steinbacher musiziert – wie gewohnt souverän – mit hochsensiblem Klangempfinden und schlanker Tongebung, blitzsauberer Intonation und tadelloser technischer Präzision. Mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin hat sie einen spielfreudigen Klangkörper als Partner, der sich ebenso klug zurücknehmen wie auch an passender Stelle musikalisch zupacken kann. In dem scherzoartigen zweiten Satz überzeugen Orchester und Solist, besonders in den fahrigen, zerrissenen Abschnitten. Wobei insgesamt Steinbachers Lesart an mancher Stelle etwas mehr Temperament vertragen könnte. Das Hauptaugenmerk ihres Ansatzes scheint auch in dieser Aufnahme die klangliche Schönheit zu sein, an deren Grenzbereiche sie nur höchst selten stößt – eine Klangästhetik, der sie seit vielen Aufnahmen treu bleibt. So gibt sie dem ‚romantischen‘ Tonfall in Brittens Konzert viel Raum und stellt heraus, wie seine moderne Struktur und Klanglichkeit mit – zum Teil auch melodienseliger – Sinnlichkeit zu verschmelzen scheinen. Das Kratzige, (Kontur-)Scharfe, kommt bei ihr kaum hervor. Doch gelegentlich packt sie auch musikalisch zu, so wie beispielsweise zu Beginn der Passacalia, die sie erfreulicherweise höchst eindringlich und intensiv musiziert. Das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin folgt ihr dabei ohne Zögern. Wie ein Leichenkondukt zieht dieser melancholisch-feierliche Satz dahin und endet, so die Vortragsbezeichnung, ‚Lento e solemne‘. In diesem großartig komponierten Finale überzeugen sowohl Steinbacher wie auch das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin.
Im Violinkonzert von Paul Hindemith zeigt sich ein ähnliches Bild: Der Kontrastreichtum zwischen den massiven orchestralen Strukturen und den fein geformten Figurationen im klangvollen Violinenton ist enorm ausdrucksstark. Steinbacher brilliert bei den halsbrecherischen Läufen mühelos. Allgemein ist auch dieses Werk von einem lyrischen Tonfall bestimmt, der in Steinbachers Spiel und Lesart greifbar zum Tragen kommt (und ihrem Spiel scheinbar zu liegen scheint). Jedoch hätte es im dritten Satz, der vor energischem Gestus nur so strotzt und mit rhythmischen Impulsen gespickt ist, etwas mehr Zugriff vertragen können. Vladimir Jurowski führt das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin sicher durch ein breites und ebenso intensives Klangfarbenspekrum.
Insgesamt gelingt hier – vor allem konzeptionell – eine interessante Gegenüberstellung zweier Werke aus ein und demselben Jahr, 1939. Beide Komponisten waren zu diesem Zeitpunkt bereits im Exil und leisten dennoch einen bereichernden Beitrag zur (durchaus europäisch geprägten) Gattungsgeschichte des Violinkonzertes. Es ist sicherlich auch eine innere musikalische Auseinandersetzung mit den individuellen neuen Lebensumständen. ‚Für mich bersten die Konzerte geradezu vor emotionaler Zerrissenheit, bohrender Unsicherheit und latenter Gebrochenheit‘, schreibt Arabella Steinbacher selbst im Booklet. Ob die Stärke genau dieser Einspielung jedoch explizit hierin besteht (und ob man diese Lesart in der Interpretation wiederfindet), bleibt wohl letztlich jedem Hörer selbst überlassen.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Britten & Hindemith: Violinkonzerte |
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Label: Anzahl Medien: |
Pentatone Classics 1 |
Medium:
EAN: |
SACD
827949062568 |
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