
Schubert & Dvorák - Streichquartette
Gänsehaut garantiert
Label/Verlag: Channel Classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Mit ihrer ersten CD liefern die vier Musiker des Dragon Quartet eine erstklassige Leistung ab. Ihre in jeder Hinsicht stimmige Interpretation zeigt, dass man auch häufig gespielte Werke immer wieder aufs Neue entdecken kann.
Ein Ensemble, das sich für seine Debut-CD ausgerechnet zwei der bekanntesten und populärsten Werke einer Gattung aussucht, beweist schon von Anfang an ein gesundes Selbstbewusstsein und auch viel Mut zum Risiko. Einerseits ist die Konkurrenz groß, so dass der Versuch, mit einer eigenen Interpretation in den Ring zu steigen, oft weniger einem friedlichen Wettbewerb, sondern eher einem Sprung ins Haifischbecken gleicht. Andererseits kennt auch das Publikum schon etliche Aufnahmen der betreffenden Werke, und eine Lieblingsinterpretation zu übertrumpfen, entpuppt sich bekanntlich oft als ein schier unüberwindbares Hindernis.
Schuberts Quartett 'Der Tod und das Mädchen und Dvořáks ‚Amerikanisches’ Quartett sind zwei Streichquartette, die hinsichtlich ihres Bekanntheitsgrades und ihrer Beliebtheit beim Publikum kaum zu überbieten sind. Hinzu kommt, dass sie einem Ensemble beträchtliche Fähigkeiten abverlangen, sowohl spieltechnisch betrachtet als auch den Ausdruck betreffend, ganz zu schweigen von der Herausforderung einer für die Zuhörer stimmigen Interpretation. Doch das Unglaubliche geschieht: Schon nach den ersten Takten von Schuberts Streichquartett weiß der Hörer, dass die Solisten des Dragon Quartet genau wissen, was sie da tun. Man hält den Atem an, wartet gebannt auf die ersten Klänge, die unweigerlich für den ersten Eindruck verantwortlich sind - und schon wenige Sekunden später kann man seine Skepsis getrost begraben, sich entspannt im Sessel zurücklehnen und mit Vorfreude und Neugierde der Dinge harren, die da kommen.
Unglaubliche Spannungsbögen
Die Solisten des erst 2012 gegründeten Dragon Quartet - Ning Feng (Violine), Wang Xiaomao (Violine), Zheng Wenxiao (Viola) und Qin Liwei (Cello) - schaffen es bereits mit den ersten Tönen, den Inhalt der poetischen Vorlage ‚Der Tod und das Mädchen’ heraufzubeschwören und ihn jederzeit präsent zu erhalten. Die Wildheit und Energie der ersten Akkorde, die sofort Assoziationen von Angst und Schrecken hervorrufen, charakterisieren die Figur des Mädchens, das mit allen Kräften den Tod in seiner Gestalt als Knochenmann und Schreckgespenst abzuwehren versucht. Die Charakterisierung ist jedoch differenzierter, was sich im Anschluss daran ebenfalls in aller Deutlichkeit zeigt. Von Anfang an nutzen die Musiker die gesamte Bandbreite der dynamischen Möglichkeiten ihrer Instrumente aus und zeichnen so ein gestochen scharfes Bild des Mädchens, das sich nach dem ersten Schreck und den angstvollen Schreien als ebenso zartes wie wankelmütiges Wesen entpuppt, das zwischen seinen Gefühlen hin- und hergerissen ist. Der dynamische Spannungsbogen vollzieht sich hierbei nicht nur innerhalb einer ganzen Phrase, sondern auch schon auf engstem Raum; der Klang schwillt an und wieder ab, noch bevor der gerade gespielte Ton verklungen ist, wodurch nicht nur eine unglaubliche Transparenz erzeugt wird, sondern auch ein Höchstmaß an Dramatik, die das ganze Stück durchzieht.
Auch mit dem wohl bekanntesten Satz, den Variationen über Schuberts Lied 'Der Tod und das Mädchen', zieht das Ensemble sämtliche Register und stellt meisterhaft unter Beweis, dass auch bei so vielen Interpretationen noch lange nicht das ultimative letzte Wort gesprochen ist. Statt flächiger, getragener Klänge, die das Fundament der Melodie bilden und oft melancholisch und traurig wirken, wählt das Dragon Quartet einen anderen Weg. Das Ensemble entscheidet sich für einen sehr schlanken, zarten Klang und hebt nicht seine Flächigkeit hervor, sondern seine rhythmische Energie. Auch die gekonnt eingesetzten dynamischen Abstufungen unterstützen diese Interpretation, die geradezu bildlich auf die Bewegung des Schreitens hinweist, die in Schuberts Lied vor allem die Todesstrophe kennzeichnet. Besonders beeindruckend ist in dieser Hinsicht auch die Variation, in der die Melodie von den Mittelstimmen gespielt wird, während das Cello sich zunächst ganz im Hintergrund hält, aber mit wachsender Lautstärke suggeriert wird, dass es langsam näher kommt, bis es schließlich in einem plötzlichen Ausbruch seine gesamte bedrohliche Präsenz zeigt und die drei hohen Stimmen, die nur einen rhythmisch und melodisch einheitlichen Klangteppich spielen, deutlich dominiert. Die Charakterisierung der Todesfigur könnte musikalisch kaum eindrucksvoller - und klanglich kaum schöner - präsentiert werden.
Im Klang schwelgen
Auch das ‚Amerikanische’ Quartett von Dvořák steht seinem Vorgänger hinsichtlich der Stimmigkeit der Interpretation, der Ausgewogenheit des Klangs, der Brillanz der Virtuosität und nicht zuletzt der Schönheit des Klangs in nichts nach. Man wünscht sich als Zuhörer nur, das Werk möge niemals zuende sein, so groß ist die Faszination, die von der Musik und ihrer Interpretation ausgeht. Angesichts dieser ersten CD, die in diesem Jahr bei Channel Classics erschienen ist, darf man gespannt sein, mit welchen Werken das Dragon Quartet die Zuhörer demnächst überraschen wird. Fest steht jedenfalls: Vielversprechender kann ein Debut kaum sein.
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Schubert & Dvorák: Streichquartette |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Channel Classics 1 14.06.2017 |
Medium:
EAN: |
CD
723385394174 |
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Channel Classics Channel Classics Records is a quality record label based in Holland. Director, producer and recording engineer is C. Jared Sacks. Having grown up in Boston Massachusetts, schooled at Oberlin Conservatory and the Amsterdam Conservatory of music with 15 years experience playing French Horn, Jared decided to make his hobby of recording a profession in 1987. The label started in 1990 with the name Channel Classics coming from the street he lived on in Amsterdam. (Kanaalstraat).
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