> > > Reger, Max: Orgelwerke Vol. 4
Montag, 25. September 2023

Reger, Max - Orgelwerke Vol. 4

Kongeniale Klangwucherungen


Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Auch die vierte Folge der cpo-Reihe mit Orgelwerken Max Regers macht der Organist Gerhard Weinberger zu einem unverzichtbaren Schmuckstück der Reger-Diskographie.

Mit großer Freude erwarte ich mittlerweile jede neue Folge von Gerhard Weinbergers Reger-Edition auf cpo. Sorgfältig editiert, mit nur geringen Schwächen in Sachen Booklettexten haben wir hier Interpretationen, die mit den Referenzeinspielungen gut konkurrieren können. Diesmal war Weinberger in den Jahren 2015/6 in Giengen und Beckum tätig. Die Giengener Link-Orgel aus dem Jahr 1906, auf der Weinberger im Mai 2016 Regers berühmte 'Symphonische Phantasie und Fuge' op. 57 und die Orgelstücke op. 145 einspielte, ist seit ihrem Zentenarium 2006 für zahlreiche Reger-Einspielungen herangezogen worden. Regers Op. 57 (von Mitte April bis Anfang Mai 1901 entstanden), das gerne von Allzuinformiertseinwollenden mit Dantes ‚Inferno’ in Verbindung gebracht worden ist (in Folge einer Gelegenheitsäußerung des Komponisten), gehörte bislang noch nicht zu den Werken, die auf der Orgel der Ewigkeit überantwortet wurden. Mit einer Dauer von 20’23 unterbietet Weinberger seine alte Calig-Einspielung aus St. Josef zu Memmingen um gleich mehrere Minuten; insgesamt gehört seine Neuproduktion zu dem schnellsten Drittel aller (weit über dreißig) Einspielungen. Dennoch hat man keineswegs das Gefühl, dass er den Hörer mit seinen kongenialen Klangwucherungen einfach nur hinwegschwemmen würde. Vielmehr hören wir hier einen Musiker, der sich in höchster Meisterschaft geradezu spielend in Regers kompliziertesten Orgelpartituren zurechtfindet. Die Giengener Orgel, die auf anderen Einspielungen Anlass zu bewusst zurückgenommenen Tempi ist, wird hier in aller Farbenpracht und Macht, doch ohne brutale Gewalt präsentiert – gerade so wie Reger selbst als Pianist gewaltet hat. Selbst Edgar Krapps leider schon lange nicht mehr lieferbare Einspielung aus Passau hat nicht noch mehr dramatischen ‚Impact’ als diese Neueinspielung, die beweist, dass selbst Instrumente, die andere bewusst als ‚Farbenfabrik’ verstehen und dadurch Regers nervös-zerrissenes Naturell konterkarieren, nicht nur klangfarbig, sondern auch dramaturgisch Regers Musik mehr als geeignet sein können.

Die Orgelstücke op. 145 (1915-6) sind Regers letzte Orgelkompositionen überhaupt – ohne feste Anzahl zum Zeitpunkt des Todes des Komponisten 1916, wurde ihnen posthum eine feste Menge zugewiesen, obwohl es sich eindeutig um ein ‚offenes Opus’ handelte. Auch wenn ihnen die Zitation von Chorälen gemein ist, sind sie im Charakter doch durchaus eigen und keineswegs ‚Sieben Fantasien zu den Hauptfesten des Kirchenjahres’, wie es das Booklet behauptet: Vier dem Kirchenjahr zuzuordnende Stücke ('Weihnachten', 'Passion', 'Ostern', 'Pfingsten') werden ergänzt um mehr oder minder patriotisch-kriegsbedingte Stücke mit den Titeln 'Trauerode', 'Dankpsalm' und 'Siegesfeier' – ob und wie Reger diese Sammlung weiter fortgeführt hätte, ist müßige Spekulation (gleichwohl scheint die patriotische Apotheose in 'Siegesfeier' dem Gesamtopus kaum gemäß). Ohne falsch verstandene Ehrfurcht betrachtet Weinberger die sieben Stücke vornehmlich als absolute Musik, aus deren innerer Stimmung der Titel quasi automatisch resultiert. Mancher mag sich über die Geräusche der Registerwechsel beschweren, doch sind dies natürliche Geräusche, die bei einer musikalischen Interpretation natürlich und nicht etwa nebensächlich sind. Die teilweise etwas verhangene ‚Farbenmagie’ der Giengener Orgel kommt gerade bei diesen Stücken ganz besonders zur Geltung, ebenso wie die lichten, klaren Register. Was für eine Wärme am Ende der 'Trauerode', was für ätherische Klänge im 'Dankpsalm' (letzteres ursprünglich 'Siegesfeier' betitelt), was für eine Steigerung bei 'Ostern', was für feine Registrierung in 'Pfingsten'.

Die in den ersten Monaten des Jahrs 1900 entstandenen 'Sechs Trios' op. 47 waren ursprünglich eine Art ‚Nebenwerk’ der berühmten BACH-Phantasie und Fuge op. 46; ursprünglich trugen die kurzen Stücke, die auch der Hörer durchaus als ‚Erholung’ neben den ambitioniert-umfänglichen Großwerken Regers verstehen kann (sowohl für ihren Autor als auch für sich selbst) die Opuszahl op. 46b. Weinberger bringt Regers Kunstfertigkeit ebenso wie die Intimität der Stücke (unter denen sich ein veritables Hornpipe versteckt) auf der 1913 erbauten Johannes-Klais-Orgel der Propsteikirche St. Stephan in Beckum bestens zur Geltung. Es ist spannend zu hören, wie ganz anders früher der ‚Klais-Ton’ war – weit entfernt von jener Ästhetik, für die der Bonner Orgelbauer seit wenigstens den letzten vierzig Jahren berühmt ist.

'Monologe' ist der Titel der zwölf Orgelstücke op. 63 aus dem Jahr 1902. Ein Jahr nach der 'Symphonischen Phantasie und Fuge' entstanden, mittlerweile in München, nicht mehr in Weiden, werden hier drei Stücke aus der Mitte des Sammelopus dargeboten – 'Introduktion und Passacaglia' f-Moll (Nr. 5-6) und 'Ave Maria' Nr. 7. Introduktion und Passacaglia ist ein bei Reger durchaus geläufiger Topos, und die beiden Stücke aus Opus 63 zeigen den Komponisten von seiner inspiriertesten Seite. Die Passacaglia bildet nicht ohne Grund quasi die Mitte der 'Monologe' – ein architektonisch wohlgelungener Koloss; das 'Ave Maria' ist ein lyrisch-meditativer Gegenpol.

Seit langem hege ich eine besondere Liebe zu Regers Suite g-Moll op. 92 (1905-6), einer eher introvertierten Komposition, die bei den meisten Interpreten eher ein Schattendasein führt, auch weil die introspektiven Töne häufig genug schlicht nicht verstanden werden. Umrahmt von Präludium und Fuge einerseits und Toccata und Fuge andererseits, steht im Zentrum der drei Binnenstücke ein 'Basso ostinato', sozusagen eine Passacaglia en miniature – der einzige Satz aus einer Orgelsonate oder -suite Regers, die dieser für die Welte Philharmonie-Orgel eingespielt hat. Nicht nur aus diesem Grund hat dieser Satz ein durchaus eigenes Gewicht. Mit den umrahmenden Stücken 'Intermezzo' und 'Romanze' gelingen Weinberger drei durchaus aufeinander bezogene, farblich reiche Sätze, die wunderbar mit den jeweiligen Außensätzen harmonieren.

Weinbergers wertvolle Neueinspielung spielt aufnahmetechnisch in der ersten Liga und kann es mit den ambitioniertesten neuen Produktionen (Martin Schmeding auf Cybele) ebenso gut aufnehmen wie mit den interpretatorisch hochkarätigsten der ganzen Reger-Diskografie. Sehr empfehlenswert.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:






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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Reger, Max: Orgelwerke Vol. 4

Label:
Anzahl Medien:
cpo
2
Medium:

CD


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Reger, Max
 - Sinfonische Fantasie und Fuge d-Moll op. 57 - Fantasie
 - Sinfonische Fantasie und Fuge d-Moll op. 57 - Fuge
 - Sieben Orgelstücke op. 145 - Trauerorde 'Dem Gedenken der im Kriege 1915/16 Gefallenen'
 - Sieben Orgelstücke op. 145 - Dankpsalm 'Dem deutschen Heere'
 - Sieben Orgelstücke op. 145 - Weihnachten
 - Sieben Orgelstücke op. 145 - Passion
 - Sieben Orgelstücke op. 145 - Ostern
 - Sieben Orgelstücke op. 145 - Pfingsten
 - Sieben Orgelstücke op. 145 - Siegesfeier


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Interpret(en):Weinberger, Gerhard


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cpo

Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
Besonders stolz macht uns dabei, daß cpo - 1986 gegründet - in Rekordzeit in die Spitze vorgestoßen ist. Das Geheimnis dieses Erfolges ist einfach erklärt, wenn auch schwierig umzusetzen: cpo sucht niemals den Kampf mit den Branchenriesen, sondern füllt mit Geschick die Nischen, die von den Großen nicht besetzt werden, weil sie dort keine Geschäfte wittern. Und aus mancher Nische wurde nach einhelliger Ansicht der Fachwelt mittlerweile ein wahres Schmuckkästchen.
Am Anfang einer Repertoire-Entscheidung steht bei uns noch ganz altmodisch das Partituren-lesen, denn nicht alles, was noch unentdeckt ist, muß auch auf die Silberscheibe gebannt werden. Andererseits gibt es - von der Renaissance bis zur Moderne - noch sehr viele wahre musikalische Schätze zu heben, die oft näher liegen, als man meint. Unsere großen Werk-Editionen von Pfitzner, Korngold, Hindemith oder Pettersson sind nicht umsonst gerühmt worden. In diesem Sinne werden wir fortfahren.
Letztendlich ist unser künstlerisches Credo ganz einfach: Wir machen die CDs, die wir schon immer selbst haben wollten. Seien Sie herzlich zu dieser abenteuerlichen Entdeckungsfahrt eingeladen!


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