
Nowowiejski, Feliks - Quo Vadis
Musik vor dem Blockbuster
Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Diese Aufnahme von Nowowiejskis 'Quo vadis' folgt einer Konkurrenzaufnahme dieses selten gespielten Werks auf dem Fuße. Musikalisch ist das solide umgesetzt, editorisch bleibt deutlich Luft nach oben.
'Quo vadis', das ist nicht nur der berühmte Hollywood-Film von 1951, die TV-Serie von 1985 oder ein polnisches Remake von 2001. Schon 1912, unmittelbar nachdem der Romancier Henryk Sienkiewicz den Literaturnobelpreis erhalten hatte, entstand Enrico Guazzonis für damalige Verhältnisse außerordentlicher Monumentalfilm; 1924 führten Georg Jacoby und Gabriele D‘Annunzio bei einem weiteren Stummfilm Regie. Feliks Nowowiejski (1877–1946) schuf sein Oratorium gleichnamigen Titels (die Opuszahl 30 findet sich im Booklet nicht) bereits 1903 und überarbeitete es 1909. Anlässlich seines 70. Todestages (und Sienkiewicz‘ 100. Todestages) wurde dieses Oratorium gleich mehrfach aufgeführt und auch zweimal auf CD vorgelegt (auf DUX und cpo), jeweils mit ausschließlich polnischen Kräften. Mit Łukasz Borowicz hat die cpo-Produktion aus Posen den bekannteren Dirigenten.
Nowowiejski lebte viele Jahre in Berlin, wo er nach Studien am Stern‘schen Konservatorium 1900-2 Meisterschüler von Max Bruch war. In Berlin komponierte er auch viele Teile seines Oratoriums auf einen Text von Antonie Jüngst, nachdem er seine ersten Anregungen dazu auf einer Reise nach Rom bekommen hatte. 1907 wurde die erste Fassung des Werkes in Ústí nad Labem in Nordböhmen uraufgeführt; die revidierte Fassung erlebte 1909 im Concertgebouw Amsterdam ihre triumphale Erstaufführung und trat darauf seinen Siegeszug durch die Konzertsäle der Welt an.
Nicht von ungefähr ist das Werk (in der späteren Version als ‚Dramatische Szenen’ untertitelt) durchaus in der Bruch‘schen Tradition zu verstehen – und gerade wenn es wie hier auf Polnisch dargeboten wird, muss man das vollständige Libretto einfordern dürfen, das aber sowohl im Booklet als auch sonst fehlt. So erfährt man außer einer knappen Inhaltsangabe wenig über das tatsächlich Gesungene, eine ungewohnt bescheidene Leistung für das Label cpo. Auch der (teilweise miserabel ins Deutsche übersetzte – Eckhardt van den Hoogen sei hier ausdrücklich als positives Gegenbeispiel ausgenommen) Bookletbegleittext (der offensichtlich für die Aufführung am 29. Juni 2016 in der Adam Mickiewicz Universität Poznań verfasst wurde) spiegelt wenig von der internationalen Rezeption des Werkes wider; selbst der Übersetzer des Gesangstextes ins Polnische wird im Booklet nicht genannt.
Im direkten Vergleich mit Chororatorien Bruchs scheint Nowowiejskis Komposition sowohl harmonisch als auch was den instrumentatorischen Einfallsreichtum angeht zunächst deutlich abzufallen, doch erweist sich dies als voreiliger Schluss. Ab dem zweiten Drittel ist das Werk imaginativ gesteigert, in der letzten Szene teilweise deutlich wagnerianisch 'Ring'-geprägt. Aufgeteilt in im Grunde drei vornehmlich chorisch geprägte Szenen (Rom brennt; die Prätorianer verhaften die Christen / Die Christen in den Katakomben; Lygia fleht Petrus an Rom zu verlassen / Petrus kehrt nach einer Vision Christi nach Rom zurück, seinem Martyrium entgegen), ist die Komposition ohne Frage von beeindruckender Plastizität, doch sind wir heute, spätestens seit der Filmmusik Miklós Rózsas, ‚stärkeren Tobak’ gewöhnt; möglicherweise hätte uns das Libretto mit scheinbaren musikalischen Schwächen versöhnt (vieles ist musikalisch eher konventionell, die Instrumentation kompetent, aber nicht außerordentlich – da helfen auch die apologetischen Zeilen im Booklet nicht).
Das Hauptgewicht der Interpretation tragen der Chor der Podlachischen Oper und Philharmonie Białystok und die Filharmonia Poznańska. Ihnen ist die Musik hörbar Herzensangelegenheit, Łukasz Borowicz treibt die Musiker zu emphatischer Darbietung an, die allerdings auch etwas unterkühlt bleibt. Die Chorsoprane klingen in der Höhe häufig etwas scharf. Die Registrierung der Orgel (Sławomir Kamiński – über die zur Verfügung stehende Orgel wird kein Wort verloren) ist schlicht langweilig (oder das zur Verfügung stehende Instrument ist ungeeignet). Die Aufnahmetechnik bildet die Interpretation kompetent ab; dass es sich um einen Live-Mitschnitt handelt, ist wie häufig heutzutage nicht zu hören.
In der Höhe etwas forciert ist der Bassist Robert Gierlach als Führer der Prätorianer; besser liegt ihm die etwas tiefer angelegte Partie des zusammenrufenden Christen. Der Bariton Wojtek Gierlach, dem der Part des greisen Petrus übertragen ist, überzeugt vokal insgesamt deutlich mehr, auch wegen seiner gebührend sakralen Klanggestaltung und empathischer Gestaltung in der letzten Szene. Die Sopranistin Wioletta Chodowicz in der Partie der Lygia überzeugt (trotz reifer Stimme) durch große Musikalität und feine dynamische Schattierung von den Solisten vielleicht am meisten – allerdings hat man den Eindruck, die Aufnahmetechnik habe ihre Stimme unnötig stark aufgebläht; zu präsent ist ihr Beitrag mit Blick auf das musikalische Ganze. Insgesamt eine interessante Repertoirerandentdeckung, deren Erkundung den Hörer aber zu aktiver Mitwirkung (in Form der Beschaffung von Libretto oder Klavierauszug) fordert.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Nowowiejski, Feliks: Quo Vadis |
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Label: Anzahl Medien: |
cpo 1 |
Medium:
EAN: |
CD
761203508921 |
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Nowowiejski, Feliks |
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cpo Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
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