
Strauss, Richard - Der Rosenkavalier
Mit Augen voll Tränen
Label/Verlag: Profil - Edition Günter Hänssler
Detailinformationen zum besprochenen Titel
'Der Rosenkavalier' hier sorgsam edierte 'Rosenkavalier' von 1950 unter Rudolf Kempe sowie rarstes Bonusmaterial machen diese Produktion unverzichtbar. Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding.
Zigfach ist die vorliegende Produktion aus dem Jahr 1950 auf dem Tonträgermarkt greifbar gewesen, zu LP-Zeiten u.a. auf Urania und Acanta, zu CD-Zeiten auf Gala. Eine ‚autorisierte’ Ausgabe fehlte aber. Nun endlich liegt sie als Folge 9 der Semperoper Edition vor. Die Aufnahme entstand von 21. bis 23. Dezember 1950 im Funkhaus Hygienemuseum in Dresden, und die vorliegende Edition konnte in der Tat nicht nur von den Originalbändern ausgehen, sondern bietet auf einer Bonus-CD nicht weniger als vier Ausschnittsmaterialien; Grammophonaufnahmen mit den Uraufführungssängern am 25. August 1911 (Deutsche Grammophon, in für die Zeit durchaus beachtlicher Aufnahmequalität), Ausschnitte aus Buenos Aires vom 20. September 1936 unter Fritz Busch (mit Germaine Hoerner, Edita Fleischer und Alexander Kipnis), Electrola-Aufnahmen aus Dresden unter Karl Böhm 1938/1940 (als Ergänzung zur Strauss-Böhm-CD in der Reihe der Staatskapelle Dresden, in ganz erstaunlicher Aufnahmequalität, allerdings mit teilweise zu starken Bassfrequenzen; Solistinnen Esther Rethy und Elisabeth Höngen) sowie Ausschnitte aus Berlin vom 20. Januar 1942 unter Artur Rother (mit Paula Buchner und Maria Cebotari), wie unter Fritz Busch mit Tiana Lemnitz als Octavian. Eine im Deutschen Rundfunkarchiv nachgewiesene Aufnahme des 'Rosenkavaliers' aus Dresden unter der Leitung von Richard Strauss 1942 gilt als verschollen und konnte daher nicht berücksichtigt werden.
Rudolf Kempe war ein Straussianer von Graden – nicht nur seine Eterna/Electrola-Edition mit vielen (leider nicht allen) Orchesterwerken des Komponisten mit der Dresdner Staatskapelle ist Beweis hierfür, auch nicht bloß die legendäre 'Ariadne auf Naxos' (ebenfalls aus Dresden, mit Gundula Janowitz, James King, Teresa Zylis-Gara und Theo Adam). Auf dem Markt sind heute u.a. Strauss-Ochesterplatten mit den Berliner Philharmonikern (EMI), dem Royal Philharmonic Orchestra (Testament), dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart (Hänssler) und diversen weiteren Orchestern (auch auf DVD). Der Markt bietet aber auch 'Arabella' mit Lisa Della Casa aus London 1953 (Gastspiel der Bayerischen Staatsoper, Testament) sowie mit Eleanor Steber aus New York 1955 (Andromeda), 'Die Frau ohne Schatten' aus München 1954 (Voce Della Luna/Walhall/Myto), 'Salome' mit Inge Borkh aus München 1960 (Myto) und mit Leonie Rysanek aus Orange 1974 (Melodram), 'Elektra' mit Gerda Lammers aus London 1958 (Royal Opera House Heritage Series), 'Feuersnot' aus München 1958 (Orfeo) und 'Der Rosenkavalier' aus New York 1956 (Walhall) sowie aus München 1966 (Melodram). So ist der Dresdner 'Rosenkavalier', der sozusagen am Beginn von Kempes Strauss-Pflege steht, ein wichtiger Baustein.
Kempes 'Rosenkavalier' ist frisch, dramatisch-gradlinig, aber auch voller warmem Atem (ein wenig wie Fritz Busch die Partitur wohl genommen hätte) – gar nicht weit von Karl Böhms Interpretation (aus identischen Aufführungsmaterialien – offenbar enthalten die Dresdner Aufführungsmaterialien zahlreiche Informationen jenseits des reinen Notentextes, die zu besonders glücklicher, ja kongenialer Interpretation reizen). Trotz mangelnder Tiefendimension des Orchesterklangs ist die Sorgfalt des Ausmusizierens jeden Moment hörbar – die Feinzeichnung ist jeden Moment spürbar, und man bedauert umso stärker, dass Kempe in der Stereo-Ära nicht häufiger mit Strauss-Opern ins Studio gegangen ist. Die dramatische Kraft der Produktion, ihr Charme und ihr Witz überträgt sich auch heute noch unmittelbar (wie ungemein pointiert der Schluss des zweiten Aktes, trotz einiger weniger etwas unsauberer Töne).
Tiana Lemnitz ist ein großstimmiger, herrliche Bögen bildender Octavian – ein echter Mezzosopran mit dunklem Timbre, ein wenig wie Herta Töpper, aber doch mit interessanterer Klangfarbe. Sie weiß das Portamento des Orchesters auch in ihrer Stimme zu transportieren, ohne dass dies zu Sentiment oder Manieriertheit verkäme. Lemnitz hatte 1921(!) debütiert; dass sie als Dreiundfünfzigjährige nicht wie ein Siebzehnjähriger klingt, kann man ihr nur mit bösem Willen ankreiden.
Margarete Bäumer ist eine klanglich etwas ungeschliffene Marschallin. Wie so oft steht zu vermuten, dass auch hier die darstellerische Qualität Bäumers größer war als ihre vokale (man denke etwa an Marianne Schech, die Karl Böhms Dresdner Studio-'Rosenkavalier' von 1958 trotz ansonsten beeindruckender Hauptfiguren empfindlich beeinträchtigt, aber auch an Leonie Rysanek unter Wilhelm Schüchter im Electrola-Querschnitt von 1955). 'Die Zeit ist ein sonderbar Ding' besitzt nicht im Geringsten jene Magie, die eine Schwarzkopf, aber auch eine Janowitz oder eine Lotte Lehmann transportieren – und so wird die Gesamtbalance empfindlich gestört. Auch ein paar falsche Töne sind in der Rundfunkproduktion nicht korrigiert worden.
Wo man Lemnitz zu viele Jahre vorwerfen könnte, könnten derer bei Kurt Böhme als Ochs auf Lerchenau fast zu wenige sein. Böhme, bis 1949 fast zwanzig Jahre Ensemblemitglied der Sächsischen Staatsoper, hat Strauss‘ Schaffen von der Pike auf kennengelernt; seine Darbietung ist vielleicht nicht ganz so pointiert ausgearbeitet, dadurch ‚nobler’ – unter Böhm acht Jahre später ist er saftiger, auch im Detail noch überzeugender, doch hier ist er kaum weniger hinreißend. Leider hat Kempe (wie Karajan und selbst Carlos Kleiber) Ochs‘ große Szene im ersten Akt arg beschnitten, so dass Böhme nicht ganz so glänzen kann, wie es ihm Böhm wenige Jahre später zugesteht (Strauss selbst soll ihn als den ‚besten Ochs der Welt’ bezeichnet haben).
Passend zu Bäumer und Lemnitz ist auch Ursula Richters Sophie eine etwas substanzvollere als man sie seit Rita Streich immer wieder gehört hat. Dieser Sophie nimmt man jugendliches Gefühlsdurcheinander ebenso ab wie den ‚Kapricenschädel’, den ihr Ochs vorwirft. Herrlich, wie sie 'Die Mutter ist tot' ausformt.
Hans Löbel verleiht dem Faninal auf kleinem Raum adligen Anspruch und bürgerliche Unsicherheit – durch die reine Klangausformung gelingt ihm mehr als zahlreichen Rollenkollegen durch ausgearbeitete ‚Interpretation’. Auch sonst sind die Comprimarii gut bis sehr gut. Die Hauptlas trägt jedoch die ‚Wunderharfe‘, und die Staatskapelle Dresden spielt mit eben jener Eloquenz, Wärme und Eleganz, wie wir sie unter Kempe, Böhm und anderen kennen.
Wie das Bonusmaterial auf der vierten CD ist auch das Booklet ein einziger Luxus, und es ist höchst bedauerlich, dass im Booklet einige wenige Druckfehler stehen geblieben sind. Von Übergabe der Rundfunkbänder 2009 an den Produktionsleiter Steffen Lieberwirth bis zur Veröffentlichung sind leider viele Jahre vergangen, doch kommt die Veröffentlichung gerade recht zu Lieberwirths 65. Geburtstag.
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Strauss, Richard: Der Rosenkavalier |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Profil - Edition Günter Hänssler 4 28.04.2017 |
Medium:
EAN: |
CD
881488160710 |
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