
Rubinstein, Anton - Orchesterwerke Vol. 1 & 2
Die beste Anschaffung zum Kennenlernen
Label/Verlag: MDG
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Zwei um 2003 produzierte, bis heute als Referenz-Aufnahmen geltende CDs mit einigen historisch besonders exponierten Orchesterwerken von Anton Rubinstein sind jetzt als Doppelalbum neu veröffentlicht worden: Russisches aus Wuppertal.
Die erste CD, aufgenommen 2002 mit dem Violoncello-Konzert von 1864, der Orchester-Humoreske 'Don Quichote' (1870 als ‚musikalisches Charakterbild‘ nach Cervantes mit wie bei Richard Strauss recht detailliertem Programm) und zwei Ballett-Stücken aus der Oper 'Der Dämon' (1871), gewann damals sogar einen Echo-Klassik-Preis. Das ist verständlich, denn im Einsatz für solches Randrepertoire kann man selten solche orchestrale Qualität hören, auch technisch ansprechend aufgezeichnet (vielleicht im betont unverfälschten Raumklang aus der historischen Stadthalle Wuppertal heute ein wenig zu kompakt). Hinzu kam mit Alban Gerhardt ein junger Cellist, der aus dem an Schumanns zeitlich noch recht nahem Vorbildwerk orientierten Virtuosen-Stück Rubinsteins (ebenfalls in a-Moll) in Ausdruck und Spieltechnik das bestmöglich Erscheinende herausholt. Denn das Konzert ist ein zwar satztechnisch und dramaturgisch ansprechender und gut instrumentierter Genre-Beitrag, der es aber mit reichlich konventioneller Thematik im Geist der deutschen Romantik und wenig eigenem Idiom wohl zurecht auch durch diese Aufnahme nicht in den Gattungskanon geschafft hat – trotz Gerhardts einfühlsamen Vortrags (der aufnahmetechnisch leider manchmal im lauteren Klangbild etwas zu zurückgedrängt erscheint). 'Don Quichote' hingegen mag unter Rubinsteins symphonischen Fantasien und Dichtungen qualitativ etwas herausragen und zudem den reizvollen Vergleich mit Strauss herausfordern: Die Einbindung von Handlungselementen (Ritter-Queste, Schafe, Dulcinea, Verlachtwerden) in eine zwanzigminütige Tondichtung, die Franz Liszts um 1850 entwickelte thematische Verwandlungstechniken nachahmt und die zyklische Aspekte und Sonatensatztechniken miteinander verbindet, ist ganz spannend gelungen; das musikalische Material besteht aber ebenfalls, von einem markanteren Hauptthema abgesehen, zu weitgehend aus gewohnten, floskelhaften Versatzstücken zwischen deutscher Symphonik um 1850 und der Orchesterbühne französischer Grand Opera. Diese Musik ist gut gemacht und gut hörbar, aber selbst in diesem Vorzeigestück streckenweise erschreckend wenig originell.
Alban Gerhardt glänzt im Cello-Konzert
Als Nachfolgeprojekt wurde 2003 das zu Lebzeiten erfolgreichste Stück Rubinsteins aufgenommen, die 1851 zunächst viersätzig konzipierte 'Ozean'-Symphonie op. 42, deren anhaltender Erfolg in europäischen Konzertsälen 1863 zu einer Erweiterung um zwei und 1880 um einen siebten Satz führte. Die von Hanson und den Wuppertalern gewählte viersätzige ‚Erstfassung‘ gemahnt noch an Mendelssohn und ist mit vierzig Minuten und einem dichteren dramaturgischen Bogen vom eingängigen Ozeanbild des ersten Satzes zu den Anwandlungen eines choralartig-erhabenen Tons im Finale meines Erachtens ansprechender als mit Blick auf die ‚sieben Weltmeere‘ aufgeplusterte spätere Version (die gerne auch mit Bebilderungen rezipiert wurde) – auf die achtzehnminütige Wind-Stille des späteren zweiten Satzes oder die Dampfschifffahrt eines vor dem Finale eingegliederten Scherzos kann man getrost verzichten oder sie getrennt rezipieren in der ebenfalls ganz ordentlichen älteren Aufnahme mit der Slowakischen Philharmonie und Stephen Gunzenhauser (1986, Marco Polo / Naxos). Wobei Gunzenhauser im Kopfsatz das animiertere, überzeugendere Grundtempo bietet, Hanson aber im weiteren Verlauf und vor allem der Final-Apotheose die Qualitäten des Wuppertaler Orchesters zur insgesamt überlegeneren Darstellung nutzt. Das gilt auch für die CD 2 einleitende 'Ouverture triomphale', welche mit Zaren-Hymnik und heroischer Attitüde nebst Pauken-Kanonade und Glocken, aber wiederum wenig eigener Prägnanz jenseits der Orchestration als Vorläufer von Tschaikowskys '1812' daherkommt.
Deutsche Konventionen und wenig eigner, russischer Ton
Es sind deshalb die ebenfalls beigegebenen kleineren Orchester-Petitessen wie die von Karl Müller-Berghaus orchestrierte 'Valse-caprice' Es- Dur op. 118 (diese genaueren Werk-Angaben fehlen leider im Booklet), welche festes Zugaben-Repertoire von Arthur Rubinstein auf dem Klavier war, die als Ohrwürmer haften bleiben – hinreißend gespielt, herausragend hier wie auch in der Symphonie die Wuppertaler Holzbläser. Wobei die Rossini-Assoziation im 'Trot de Cavalerie' dann doch etwas zu viel Wunschkonzert-Kitschigkeit in die Waagschale gegen einen Komponisten wirft, der sich – jenseits seiner internationalen Bedeutung als Pianist und Dirigent sowie als Motor der russischen Konservatoriums-Bildung – kompositorisch als europaweiter Eklektiker ohne Bezug zu den Schätzen volksmusikalischer Idiome erweist, die seine Petersburger Rivalen wie Balakirew oder Rimsky-Korsakoff im Hinblick auf eine nationalrussische Symphonik zu heben begannen. Es mag bedauert worden sein, dass aus diesen beiden Aufnahmen heraus keine Fortsetzung mit Einspielungen weiterer Symphonien Rubinsteins erfolgte (hier bleibt man auf die preisgünstige, aber stellenweise mangelhafte ‚Gesamtaufnahme‘ bei Naxos angewiesen). So aber ist ein Kennenlern-Paket 'Rubinstein in 130 Minuten' gut geschnürt, und wer Gefallen daran findet, kann sich weiträumiger orientieren (sollte aber vielleicht doch einmal vergleichsweise die spannenden beiden Symphonien und Tondichtungen von Balakirew sichten). Mit der MDG-Produktion hat man jedenfalls die aktuell wohl immer noch besten Rubinstein-Aufnahmen bei der Hand (auch gegenüber zweitklassigen russischen Neuaufnahmen), die zudem herausragend von Egon Voss (CD 1) und – etwas weniger auf den informativen Punkt kommend – von Claudia Brinker (CD 2) kommentiert werden.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Rubinstein, Anton: Orchesterwerke Vol. 1 & 2 |
|||
Label: Anzahl Medien: |
MDG 2 |
Medium:
EAN: |
CD
760623201627 |
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MDG Die klangrealistische Tonaufnahme »Den beim Sprechen oder Musizieren entstehenden Schall festzuhalten, um ihn zu konservieren und beliebig reproduzieren zu können, ist eine Idee, die seit langem die Menschen beschäftigte. Waren zunächst eher magische Aspekte im Spiel, die die Phantasie beflügelten wie etwa bei Giovanni deila Porta, der 1598 den Schall in Bleiröhren auffangen wollte, so führte mit fortschreitender Entwicklung naturwissenschaftlichen Denkens ein verhältnismäßig gerader Weg zur Lösung...« (Riemann Musiklexikon)Seit Beginn der elektrischen Schallaufzeichnung ist der Tonmeister als »Klangregisseur« bei der Aufnahme natürlich dem Komponisten und dem Interpreten, aber auch dem Hörer verpflichtet. Die Mittel zur Tonaufzeichnung sind hinlänglich bekannt. Die Kriterien für ihren Einsatz bestimmt das Ohr. Deshalb für den Hörer hier eine Beschreibung unserer Hörvorstellung. Lifehaftigkeit In der Gewißheit, daß der Konzertsaal im Wohnzimmer (leider) nicht realisierbar ist, konzentriert sich unser Bemühen darauf, die Illusion einer Wirklichkeit zu vermitteln. Die Musik soll im Hörraum so wiedererstehen, daß spontan der Eindruck der Unmittelbarkeit entsteht, das lebendige Klanggeschehen mit der ganzen Atmosphäre der »Lifehaftigkeit« erlebt wird. Da wir praktisch ausschließlich menschliche Stimmen und »klassische« Instrumente - auch sie haben ihren Ursprung im Nachahmen der Stimme - aufnehmen, konzentriert sich unsere Klangvorstellung auf natürliche Klangbalance und tonale Ausgeglichenheit im Ganzen, und instrumentenhafte Klangtreue im Einzelnen. Darüber hinaus natürliche, ungebremste Dynamik und genaueste Auflösung auch der feinsten Spannungsbögen. Weitestgehend bestimmend für die Illusion der Lifehaftigkeit ist auch die Ortbarkeit der Klangquellen im Raum: freistehend, dreidimensional, realistisch.Musik entsteht im Raum Um diesen »Klangrealismus« einzufangen, ist bei den Aufnahmen von MDG eine natürliche Akustik unbedingte Voraussetzung. Mehr noch, für jede Produktion wird speziell in Hinblick auf die Besetzung und den Kompositionsstil der passende Aufnahmeraum ausgesucht. Anschließend wird »vor Ort« die optimale Plazierung der Musiker und Instrumente im Raum erarbeitet. Dieser ideale »Spielplatz« ermöglicht nun nicht nur die akustisch beste Aufnahme, sondern inspiriert durch seine Rückwirkung die Musiker zu einer lebendigen, anregenden Musizierlust und spannender Interpretation. Können Sie sich die Antwort des Musikers vorstellen auf die Frage, ob er lieber in einem trockenen Studio oder in einem Konzertsaal spielt?Die Aufnahme Ist der ideale Raum vorhanden, entscheidet sich der gute Ton an den Mikrofonen - verschiedene Typen mit speziellen klanglichen Eigenheiten stehen zur Auswahl und wollen mit dem Klang der Instrumente im Raum in Harmonie gebracht werden. Ebenso wichtig für eine natürliche Abbildung ist die Anordnung der Mikrofone, damit etwa die richtigen Nuancen in der solistischen Darstellung oder die Kompensation von Verdeckungseffekten realisierbar werden. Das puristische Ideal »nur zwei Mikrofone« kann selten den komplexen Anforderungen einer Aufnahme mit mehreren Instrumenten gerecht werden. Aber egal wie viele Mikrofone verwendet werden: Stellt sich ein natürlicher Klangeindruck ein, ist die Frage nach dem Zustandekommen des »Lifehaftigen« zweitrangig. Entscheidend ist, es klingt so, als wären nur zwei Mikrofone im Spiel.Ohne irgendwelche »Verschlimmbesserer« wie Filter, Limiter, Equalizer, künstlichen Hall etc. zu benutzen, sammeln wir die Mikro-Wellen übertragerlos in einem puristischen Mischpult und geben das mit elektrostatischem Kopfhörer kontrollierte Stereosignal linear und unbegrenzt an den AD-Wandler und zum digitalen Speicher weiter. Dadurch bleiben auch die feinsten Einschwingvorgänge erhalten. Auf der digitalen Ebene wird dann ohne klangmanipulierende Eingriffe mit dem eigenen Editor in unserem Hause das Band zur Herstellung der Compact Disc für den Hörer erstellt, für Ihr hoffentlich großes Hörvergnügen. Mehr Info... |
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