
Alma oppressa - Arien von Vivaldi und Händel
Barocker Liebeskummer
Label/Verlag: Analekta
Detailinformationen zum besprochenen Titel
'Alma oppressa' ist eine äußerst klangschöne, wenn auch in ihrer Gesamtheit recht einfarbige Visitenkarte einer vielversprechenden Künstlerin.
Für interessierte Barockfans, die auch abseits der großen Labels ihre Ohren offen halten, ist in diesem Frühjahr ein neues Album erschienen: ‚Alma oppressa’ mit Arien von Antonio Vivaldi und Georg Friedrich Händel, die mit der kanadischen Mezzosopranistin Julie Boulianne eine klangschöne Wiedergabe erfahren. Die Sängerin ist schon seit einigen Jahren auch großen Opernhäusern unterwegs und pflegt ein breit gefächertes Repertoire von Händel-Partien über Mozarts Cherubino und Zerlina, Rossinis 'Cenerentola' und Rosina bis hin zu Berlioz' 'Béatrice et Bénédict', den Hosenrollen bei Offenbach und Gounod und zeitgenössischen Partien wie der Miranda in 'The Tempest' von Thomas Adès.
Bei all diesen Rollenportraits fallen immer wieder Bouliannes dunkle, samtige Mittellage und die kultivierte Stimmführung auf. Ihr edler Mezzosopran kann fraglos verführerisch klingen und verfügt über attraktive Farben. Dass für die Künstlerin auch Koloraturfähigkeit und eine leicht ansprechende Höhe zur vokalen Grundausstattung gehören, erscheint geradezu selbstverständlich. Kein Wunder also, dass sie ihr zweites Solo-Album beim Label Analekta erneut zwei Barockkomponisten gewidmet hat. Hier fühlt sich die Sängerin musikalisch zu Hause, der musikalischen Affektbehandlung steht sie mit hörbarer Sympathie und Emotionalität gegenüber.
Die Arien-Zusammenstellung der vorliegenden CD enthält sowohl Altbekanntes als auch Abseitiges, vor allem aber Melancholisches. Die Tragik der Liebe in all ihren Facetten wird zum übergreifenden Thema und doch gerät das Programm farblich recht einseitig. Selbst in Koloraturketten, die einen Anflug von Heiterkeit in sich tragen könnten, bleibt der Tonfall Bouliannes irritierend verhangen, als gälte es, der Hoffnung nicht übermäßigen Raum zu geben. So legt sich ein Schleier der Schwermut über die ausgewählten Werke von Vivaldi und Händel und eint somit die mehr oder weniger abwechslungsreiche Arienfolge. Am Ende bleibt der Eindruck, das Album hätte eher den Titel ‚Lamenti’ verdient.
Das ist durchaus nicht als Mangel zu verstehen, denn viele dieser Wehklagen und introvertierten Gedankenspiele sind von berückender Schönheit. Julie Bouliannes Stimme strömt mit großer Sinnlichkeit und teilweise eher instrumentaler Qualität, frei von jeglichem Vibrato, nahezu entrückt. So wird 'Lascia ch'io pianga' aus Händels 'Rinaldo' zur tief anrührenden Momentaufnahme, wie auch die folgende Arie des Tirinto aus Händels 'Imeneo' oder 'Dite, oimè!' aus Vivaldis 'La fida ninfa'. Bei 'Sovvente il sole' aus 'Andromeda liberata' kann Boulianne ihren langen Atem und ein vorbildliches Legato unter Beweis stellen, zudem ihre satte Tiefe.
Julie Bouliannes warme, dunkel schimmernde Stimme ist zu jedem Zeitpunkt von einer unmissverständlichen Weiblichkeit und Zartheit durchzogen. Vielleicht wollen daher die Arien aus Händels 'Ariodante' bei aller technischen und vokalen Souveränität nicht so recht überzeugen. Von einem verzweifelt liebenden Krieger ist die Sängerin in Ausdruck und Farbgebung weit entfernt. Hier zeigt sich auch der hauptsächliche Schwachpunkt des als Visitenkarte eigentlich sehr gelungenen Albums: Boulianne greift selten in die Vollen, geht letztlich nie ein Risiko ein, vor allem nicht in Fragen des Ausdrucks. Daher verlegt sich die Zuhörer Reaktion eher auf Rührung und den Genuss einer wunderschönen Stimme – aber wirklich aufregend ist der Gesang nicht. Ein Vibrieren vor Verzweiflung, aufwühlende Trauer oder Leidenschaft, die unter der ruhigen Oberfläche brodeln könnten, sind im Spiegel der vokalen Umsetzung nicht wahrnehmbar. Einzig in der letzten Nummer, 'Salda quercia in erta balza' aus Händels 'Arianna in Creta', erhält man eine Ahnung dessen, was möglich wäre, wenn die Sängerin die innere Handbremse lösen würde.
Begleitet wird Julie Boulianne vom Ensemble Clavecin en Concert unter der Leitung von Luc Beauséjour, der auch am Cembalo agiert. Die Musiker erweisen sich als deutlich mutiger als die Solistin, was in den Sinfonien zu 'Armida al campi d'Egitto' und 'L'incoronazione di Dario' von Antonio Vivaldi zu hören ist. Energetisch und farbenfroh geht das Ensemble zu Werke und lockert die melancholische Grundstimmung immer wieder ordentlich auf.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Alma oppressa: Arien von Vivaldi und Händel |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Analekta 1 24.03.2017 |
Medium:
EAN: |
CD
774204878023 |
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