
Mayer, Emilie - Klaviertrios
Mayer, E., Komponistin
Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Zwei 1861 publizierte und nun erstmals eingespielte Klaviertrios unterstreichen die Wertschätzung, die Emilie Mayer (1812-1883) als Komponistin Mitte des 19. Jahrhunderts erfuhr - trotz Schwächen ihrer heutigen Interpretation.
Emilie Mayer dürfte tatsächlich – auch ohne rezeptionsfördernd mit einem berühmt(er)en Komponisten verschwistert oder verheiratet gewesen zu – die möglicherweise bedeutendste deutsche Komponistin im 19. Jahrhundert gewesen sein. Im ausgezeichneten Porträt, das Almut Runge-Woll im Booklet zeichnet, wird die ganze Bandbreite vor allem der Instrumentalkompositionen der Mecklenburgerin deutlich gemacht: acht ‚große‘ Symphonien, flankiert von einer größeren Reihe Konzert-Ouvertüren (anfangs überwiegend ohne programmatische Sujets) als stetiges Übungsfeld und Experimentierzone orchestral ausgerichteter Sonatensatzformen, dazu gängige Formen der kammermusikalischen Hauptgattungen in auch nicht geringer Stückzahl. Ein wissenschaftlich solides Werkverzeichnis, das merkt man an manch vager Zahl auch im Abschnitt über das Klaviertrio-Schaffen – bleibt bisher noch Desiderat (Runge-Wolls Monographie im Verlag Peter Lang über die Komponistin datiert von 2003, aktueller ist die Seite zur Komponistin in der Datenbank MuGi, Musik und Gender im Internet, der Hochschule für Musik und Tanz in Hamburg).
Nach Stand des Booklets sind acht Klaviertrios von Mayer nachgewiesen (laut von Runge-Woll nicht explizit genannter Quellen gesprochen können es auch bis zu zwölf Gattungsbeiträgen gewesen sein): sechs im Manuskript und zwei 1861 in Berlin gedruckte mit den Opus-Zahlen 13 und 16 (der vorher erwähnte dritte Druck eines Trios als Opus 12 ist offenbar auch nicht mehr erhalten). Ein nicht näher bestimmtes Trio Mayers wurde 1860 bei einem Kompositionswettbewerb in Mannheim von einer Jury um Franz Lachner und Ferdinand Hiller belobigt und dürfte wahrscheinlich unter den drei gedruckten gewesen sein (Runge-Woll enthält sich allerdings korrekt solcher Spekulationen). Die beiden erhaltenen Drucke sind auf diesem Tonträger zu finden; Opus 16 hat Mayer ihrem Kompositionslehrer Lehrer zwischen 1841 und 1846 gewidmet: Carl Loewe (dem 1847 nach Umzug nach Berlin A.B. Marx folgte). Die Pionier-Aufnahme des Labels cpo und des Trio Vivente widmet sich also den beiden exponiertesten der vorhandenen Klaviertrios Mayers.
Zwei 1861 veröffentlichte Trios im Gefolge Mendelssohns
An der überdurchschnittlichen kompositorischen Qualität dieser Werke im Kontext ihrer Zeit dürfte schon beim ersten Anhören kein Zweifel bestehen: Das den Tonträger 'Allegro di molto e con brio' eröffnende h-Moll-Trio op. 16 präsentiert ein zugkräftiges, rhythmisch treibendes Eingangsthema, das wie das lyrische Gegenstück zwar durchaus an den Ton Mendelssohns erinnert (Oktett, aber auch d-Moll-Trio), in der motivischen und chromatischen Arbeit aber auch Beethovens Sinn für Abspaltungen und die emotionale Dringlichkeit der Musik Schumanns in Erinnerung ruft, ohne im Geringsten epigonal zu wirken. Die beiden Mittelsätze wirken etwas schwächer: Der 'Adagio'-Gesang kommt anfangs reichlich umständlich in Gang, durchgehend etwas zu rasch und flach gespielt von den Musikerinnen, die auch im Scherzo einen wieder eher von Beethoven herrührenden rhythmischen Druck des Themas in ihrer Einebnung eines dynamisches Vortrags völlig verschenken (man ahnt allerdings das Potential des Satzes). Im Finalsatz gelingt zwar eingangs schöner Stimmen-Dialog, es fehlt aber wiederum an einem schlüssigen Konzept hinsichtlich Tempi und klanglicher Dramaturgie des emotionalen Ausdrucks.
Dass zudem die Geigerin Anne Katharina Schreiber nicht immer sauber intoniert, wird besonders im 'Notturno' op. 48 für Violine und Klavier deutlich, das als Intermezzo vor dem Trio Opus 13 fungiert: Schreiber, als Mitglied des Freiburger Barockorchesters eher auf vibratoreduziertes Spiel fixiert, stellt im Gesamtklang des Trio Vivente hinsichtlich dynamischer Ausgewogenheit ein Grundproblem dar, das offenbar auch Pianistin Jutta Ernst zu oft zur Zurückhaltung zwingt. Ernst zeigt in den raschen Triosätzen durchaus ihr virtuoses Vermögen; der Klavierklang wirkt allerdings auch aufnahmetechnisch nicht immer mit genügend Klangvolumen auch in den höheren Lagen ausgestattet, und manch rhythmisches Element wirkt im Verein der drei Stimmen nicht immer synchron, was auch an auffälligen und störenden kleinen Binnen-Schwankungen im den angeschlagenen Grundtempi liegen mag (vor allem im ‚Loewe-Trio‘ Opus 16). Das wirkt stellenweise nicht gut geprobt oder eben doch etwas konzeptlos.
Problematischer Violinklang
Opus 13 ist interpretatorisch – vor allem dank Jutta Ernst, die u.a. in den Figurationen des jetzt spannend gestalteten Scherzo ganz hinreißend spielt – und wohl auch kompositorisch das ansprechendere Werk. Die hymnischen, aus der Tradition heraus ganz eigenständigen lyrischen Momente im 'Larghetto' sind in Anne Kathrin Schreibers hier einmal entwickelter Emphase gut getroffen, und die untadelig zurückhaltende Rolle, die Cellistin Kristin von der Goltz in beiden Trios spielt, wird in den Ecksätzen gerade durch ihre auffällige Begleitfunktion deutlich, wo sie sich wechselnd Geige oder Klavier als Protagonisten unterordnet. Mayers Trios behandeln in der Tat das Cello etwas stiefmütterlich, und aus der Cinderella-Funktion macht von der Goltz tatsächlich das Beste. Somit darf hier eine am Ende doch überwiegend zufriedenstellende bis gute Interpretationsleistung trotz Abstrichen bei der Geigerin attestiert werden, wie auch die kompositorische Diagnose entdeckenswerter Stücke außer Frage steht – um Mayers Individualstil zu entdecken, ihn genauer bestimmen zu können, wäre allerdings Zugang zu ihren weiteren Orchester- und Kammermusikwerken unabdingbar. Eine Symphonie und Violinsonaten nebst kleineren Werken sind schon anderweitig eingespielt worden, und eine kleine Mayer-Reihe stünde dem Label als weitere verdienstvolle Unternehmung gut zu Gesicht.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Mayer, Emilie: Klaviertrios |
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Label: Anzahl Medien: Spielzeit: |
cpo 1 63:22 |
Medium:
EAN: BestellNr.: |
CD
761203502929 cpo 555 029-2 |
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Mayer, Emilie |
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cpo Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
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