
Billone, Pierluigi - Werke für Soloviola und Solovioline
Experimentelle Streichermusik
Label/Verlag: Kairos
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Das Label Kairos veröffentlich zwei Solokompositionen des Komponisten Pierluigi Billone mit dem Geiger Marco Fusi.
Da ist zunächst ein zerbrechlicher Klang mit ungewöhnlichen Eigenschaften, statisch und doch leicht bewegt, weil ständig irgendwelche Klangbestandteile davon abzubröckeln scheinen. Dann schließen sich gestische Momente an: Es scheint jemand zu reden, die im Duktus von Sprache glissandierenden Aktionen gleichen verschwommenen Worten, unter die sich manchmal Geräusche mischen. Rasch wird deutlich, wie ungewöhnlich es ist, was Pierluigi Billone (*1960) seinem Interpreten hier abverlangt, indem er extrem ungewöhnliche Spieltechniken vorschreibt und daraus klangliche Situationen formen lässt, die wiederum in einen abwechslungsreichen Spannungsverlauf eingebunden werden. Und eigentlich spürt man beim Anhören der CD auch, wie unzureichend der Klangeindruck allein ist, dass man das Ergebnis vielmehr auch sehen müsste um die körperlichen Spanunngen dessen wahrzunehmen, was hier passiert. 'ITI KE MI' heißt das 33-minütige Solostück für Violine aus dem Jahr 1995, das der Geiger Marco Fusi in dieser Aufnahme zum Besten gibt, indem er den Nuancen im Forte und Piano bis zur Neige nachspürt. Und Fusi, der vor einigen Jahren eine bemerkenswerte Gesamteinspielung von John Cages 'Freeman Etudes' auf zwei CDs vorgelegt hat (Stradivarius, 2011 und 2012), lässt keinen Zweifel daran, dass er in dieser Musik zu Hause ist.
Dass das Label Kairos so kurz nach seiner Veröffentlichung von Billones Gitarren-Triptychon 'Sgorgo Y. N. oO' (2012) Ende vergangenen Jahres erneut eine Produktion mit Werken des experimentierfreudigen Italieners herausbringt, ist sehr erfreulich, zumal hier zwei zeitlich weiter auseinanderliegende Werke miteinander konfrontiert werden. So steht dem ersten Stück die gleichfalls 33-minütige Komposition 'Equilibrio. Cerco' aus dem Jahr 2014 gegenüber, bei dem Fusi zur Viola greift. Auch wenn es gewisse Ähnlichkeiten zu den Klangexplorationen in 'ITI KE MI' gibt, unterscheidet sich das Violastück deutlich von der früheren Komposition durch Fokussierung auf einen relativ engen Tonraum, der stärker durch sich wiederholende und in ihrer Wirkung nach und nach präzisierte Gesten erschlossen werden. Beide Stücke zeigen jedoch, wie stark sich Billone von einer herkömmlichen Auffassung des Violin- bzw. Violaspiels und der damit verknüpften Klangvorstellungen entfernt, und wie er zugleich den Hörer dazu bringt, sich schrittweise auf den unerhörten Kosmos aus Klang und Geräusch einzulassen, der den Instrumenten hier entströmt – angefangen bei der Stimmung und der veränderten Saitenspannung bis hin zur Behandlung von Bogen- und Grifftechniken.
Billones Musik, so Fusi sinngemäß in seinem kurzen Booklet-Beitrag – einem von zwei leider nicht in deutscher Sprache vorliegenden Texten –, führe den Performer weit weg von dem ihm bekannten Territorium. Genau das macht den Reiz dieser Werke aus, ihre Stellung als zwei unterschiedliche Stadien von Klangerforschung an Streichinstrumenten. Nicht jeder wird sich auf diese experimentelle Haltung einlassen wollen; doch diejenigen, die neugierig genug sind, um es zu tun, werden mit einer ebenso spannenden wie ungewöhnlichen Klangreise belohnt.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Billone, Pierluigi: Werke für Soloviola und Solovioline |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Kairos 1 28.04.2017 |
Medium:
EAN: |
CD
9120040735180 |
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