> > > Schönberg, Arnold: Gurre-Lieder
Mittwoch, 29. November 2023

Schönberg, Arnold - Gurre-Lieder

Der Reiz der Dystopie


Label/Verlag: Opus Arte
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Schönbergs 'Gurre-Lieder' in einem gelungenen Experiment als szenische Dystopie.

Man darf getrost von einem regelrechten Trend im künstlerischen Umgang mit Kantaten und Oratorien sprechen, der im letzten Jahrzehnt immer evidenter geworden ist. Kompositionen, die einst ganz bewusst der konzertanten Aufführungen übergeben worden sind, spielen immer deutlicher eine Rolle auf der Opernbühne. Allen jenen wohlmeinenden Puristen, die ins Feld führen, dass jene dafür nicht gedacht seien, muss entgegnet werden, dies sei vielleicht ein Grund, aber kein Hindernis. Man denke an den Umgang mit Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich Händel. Der letztere hat selbst Anlass zu einer Inszenierung seiner 'Semele' gegeben, da er das Stück im Untertitel in die Nähe der Oper rückte, und man kann sich streiten, ob das Hörtheater der Bach'schen Passionen der Szene bedürfen, aber auch hier sind schon ansehnliche Produktionen gelungen. Ein besonderer Glücksfall ereignete sich jüngst mit Christian Spucks Inszenierung und Choreographie des Requiems von Giuseppe Verdi.

Ein besonderes Wagnis stellte auch das dar, was sich Intendant und Regisseur Pierre Audi an der Dutch National Opera in Amsterdam in der Spielzeit 2014/15 traute. Hundert Jahre nach der Uraufführung in Wien inszenierte er Arnold Schönbergs 'Gurre-Lieder' für Soli, Chöre und Orchester an dem Haus, das er nun verlassen wird. Opus Arte hat diese Produktion auf DVD festgehalten. Die 'Gurre-Lieder' sind in mehrfacher Hinsicht eine Herausforderung. Sie stehen im Schaffen Schönbergs zwischen den Stühlen, da in ihnen die vielbeschworene Spätromantik auf neue Kompositionstechniken und Ausführungsweisen trifft. Daraus ergibt sich der Anspruch, das Werk angemessen zu besetzen. Gerade die Sprecherpartie gehört sicherlich zum Anspruchsvollsten, was Schönberg dieser Komposition mitgab.

Idealbesetzungen

Marc Albrecht und das Besetzungsbüro der Dutch National Opera, Heldinnen und Helden des Alltags an jedem Opernhaus, haben hier Großes geleistet. Das Liebespaar Tove und Waldemar könnten idealer nicht besetzt sein. Emily Magee und Burkhard Fritz sind als Liebespaar, das durch reiche Strauss- und Wagner-Erfahrung gestählt ist, schlicht herausragend. Magee berührt mit warmer und dennoch kraftvoller Stimme und Fritz glänzt mit heldentenoraler Strahlkraft und vor allen Dingen auch mit seiner unglaublichen Bühnenpräsenz. Die dritten Hauptpartie der Premierenproduktion ist mit Anna Larsson genau richtig besetzt. Das Lied der Waldtaube, das eine eigenständige Karriere gemacht hat, ist der Dreh- und Angelpunkt der Kantate und ein großer Moment für die Frickas, die Brangänen und Waltrauden dieser Welt geworden. Larsson glänzt nicht zuletzt durch Stimmführung und  Brillanz, sondern auch durch ihre exzellent geführte Tiefe.

In der Inszenierung von Audi sind Bauer und Klaus Narr keine kleinen Partien. Markus Marquardt und Wolfgang Ablinger-Sperrhacke erweisen sich als Idealbesetzungen. Deutlich ungewohnt, was ihm aber nicht zum Nachteil auszulegen ist, ist es, Markus Marquardt als Bauer zu erleben. Sein Kavaliersbariton fügt hier eine spannungsvolle Farbe hinzu, Marquardt nimmt seiner Partie das Grobschlächtige. Besonders beglückend ist die Besetzung des Klaus Narr mit Ablinger-Sperrhacke zu nennen. Er ist derzeit einer der führenden Charaktertenöre weltweit. Leider setzt sich derzeit eine Tendenz durch, dass das Charakterfach ebenfalls die heldische Maske tragen muss. Das ist dahingehend traurig, als dass solche Partie ihre Eigenheiten verlieren, denn sie sind ebenso anspruchsvoll und meist sogar höher gesetzt als die Heldenpartien. Man denke an die halsbrecherische Partie des Mime in 'Siegfried' oder des Herodes in 'Salome'. Ablinger-Sperrhacke braucht diese Schminke nicht, seine Stimme wirkt natürlich und balanciert in ihrem Gewitztsein zwischen den Extremen.

Die Krone verdient sich Sunnyi Melles, die als Schauspielerin ungeheures Talent für die eigentlich Sängern zugedachte Sprecherpartie beweist. Ihre Interpretation reiht sich harmonisch ein in die Folge von grandiosen Interpreten wie Hans Hotter oder Ernst Haefliger. Freilich, vielleicht spricht sie manchmal zu exaltiert, aber das braucht diese Partie. Nicht vergessen werden dürfen die Chöre, den der Dutch National Opera und der KammerChor des ChorForum Essen. Spätestens bei der wilden Jagd der Mannen offenbart sich ihr sublimes Können. 

Pierre Audis Inszenierung betont gänzlich neue Aspekte in den 'Gurre-Lieder', die er – man kann sagen: der Partitur gemäß – als Dystopie erzählt. Die Dystopie liegt ihm und seinem Ausstatter Christof Hetzer bekanntlich sehr. Ein halb zerstörter Einheitsraum, in den immer wieder Elemente eingeschoben werden, bildet die Spielfläche für ein vom symbolistischen Gedicht zum Welt(kriegs-)theater geweiteten Bühnenstück. Audi zeigt dabei, was der Terminus ‚Musiktheater‘ wirklich bedeuten kann. Es gibt hier keine Bewegungen, die durch die Musik aus dem Orchestergraben (höchst erfreulich: das Netherlands Philharmonic Orchestra) nicht determiniert wären. Jede Rolle der torsohaften Handlung erzählt in diesem Ambiente ihre Geschichte. Vor allen Dingen sind hier Burkhard Fritz (als zerfallender Held) und Wolfgang Ablinger-Sperrhacke (als tänzelnder General mit Pickelhaube) in ihren schauspielerisch anspruchsvollen Partien zu loben. Auch dem, der szenisch ausgeführte Kantaten und Oratorien ablehnt, sei diese DVD, die auch in technischer Hinsicht beglückt, empfohlen. Wer die 'Gurre-Lieder' liebt, wird auch diese szenische Umsetzung lieben.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:
Features:
Regie:






Simon Haasis Kritik von Simon Haasis,


Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!

Ihre Meinung? Kommentieren Sie diesen Artikel

Jetzt einloggen, um zu kommentieren.
Sind Sie bei klassik.com noch nicht als Nutzer angemeldet, können Sie sich hier registrieren.



Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



Cover vergrößern

    Schönberg, Arnold: Gurre-Lieder

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Opus Arte
1
27.01.2017
Medium:
EAN:

DVD
809478012276


Cover vergössern

Opus Arte

Opus Arte ist eines der weltweit führenden DVD-Labels. Spezialisiert auf Oper und Tanz, enthält unser Katalog eine Vielzahl musikalischer Erfahrungen. Angefangen bei der Grand Opera hin zu märchenhaften Balletten, von zeitgenössischem Tanz hin zu Künstlerporträts - und nicht zu vergessen zu einer Party im rückseitigen Garten ihrer Majestät!
Stets ist es unser Bestreben Ihnen kulturelle Ereignisse in bestmöglicher Qualität nach Hause zu bringen. Alle Neu-Veröffentlichungen werden im Widescreen-Format mit True-Surround-Sound und der zusätzlichen Option einer exzellenten Stereo-Tonspur produziert. Interessantes Zusatzmaterial füllt die DVD bis zur Kapazitätsgrenze. Midprice-Serien wie die -La Scala Box- und -Faveo- öffnen den Blick auf klassische Archivaufnahmen von den führenden Opernhäusern der Welt in außergewöhnlicher Qualität. Opus Arte ist immer auf der Höhe der stets schneller voranschreitenden technischen Entwicklung, manches Mal sind wir ihr auch einen Schritt voraus. Bereits vor sieben Jahren begannen wir mit der Produktion in High Definition und verfügen somit über einen sehr großen Katalog an Titeln, der nur darauf wartet veröffentlicht zu werden. Mit -Schwanensee- veröffentlichte Opus Arte als erstes Klassik DVD Label einen Titel im Format HD DVD. Auch ein Besuch unserer Website lohnt stets: Sie erhalten dort aktuelle Nachrichten, Besprechungen, exklusive Fotos, Trailer und zahlreiche Details zu unseren Produktionen aus erster Hand.


Mehr Info...


Cover vergössern
Jetzt kaufen bei...


Von Simon Haasis zu dieser Rezension empfohlene Kritiken:

  • Zur Kritik... Reduzierte Klanggewalt: Das Label Thorofon bringt Arnold Schönbergs kongeniales Frühwerk 'Gurre-Lieder' in der reduzierten Orchesterfassung von Erwin Stein erstmals auf den CD-Markt. Ein reizvolles Hörerlebnis, wenn man über einige Schwächen hinwegsieht. Weiter...
    (Simon Haasis, 21.12.2016)
  • Zur Kritik... Expressionistisches vom Zwölftoner: Die instrumentalen Leistungen bieten für Kritik nur wenige Ansatzpunkte, die Interpretationen der Solisten bieten manch Eigenwilligkeiten über welche man geteilter Meinung sein kann. Weiter...
    (Martin Kofler, 04.07.2005)

Weitere Besprechungen zum Label/Verlag Opus Arte:

blättern

Alle Kritiken von Opus Arte...

Weitere CD-Besprechungen von Simon Haasis:

  • Zur Kritik... Ein Komponist ganz bei sich: Für Wolfgang Amadé Mozart ist wie für viele Zeitgenossen der Spätaufklärung die Freimaurerei ein Thema. Dieses Album aus dem Hause BIS lässt tief und nachhaltig ins Seelenleben des Komponisten blicken. Weiter...
    (Simon Haasis, )
  • Zur Kritik... Flächen und Farben: Musica Viva mit Ligeti, Murail und Benjamin in herausragender Besetzung. Weiter...
    (Simon Haasis, )
  • Zur Kritik... Ein Fund für den Konzertsaal: Das Polish Radio Symphony Orchestra entdeckt Alexandre Tansman bei cpo neu Weiter...
    (Simon Haasis, )
blättern

Alle Kritiken von Simon Haasis...

Weitere Kritiken interessanter Labels:

  • Zur Kritik... Shakespeare!: 'Sounds and Sweet Airs' heißt eine neue Platte, deren Inhalt durch den Untertitel 'A Shakespeare Songbook' konkretisiert wird. Weiter...
    (Dr. Jan Kampmeier, )
  • Zur Kritik... Feine Nuancen: Wolfgang Rihms Kammermusik mit Violoncello. Weiter...
    (Dr. Jürgen Schaarwächter, )
  • Zur Kritik... Pianistische Größe und Grenzen: Behzod Abduraimov überzeugt mit kanonischem Repertoire von Debussy, Chopin und Mussorgsky. Weiter...
    (Dr. Kai Marius Schabram, )
blättern

Alle CD-Kritiken...

Magazine zum Downloaden

NOTE 1 - Mitteilungen (4/2023) herunterladen (4868 KByte)

Anzeige

Jetzt im klassik.com Radio

Jules Massenet: Elégie

CD kaufen


Empfehlungen der Redaktion

Die Empfehlungen der klassik.com Redaktion...

Diese Einspielungen sollten in keiner Plattensammlung fehlen

weiter...


Portrait

Die Pianistin Jimin-Oh Havenith im Gespräch mit klassik.com.

"Schumann ist so tiefgreifend, dass er den Herzensgrund erreicht."
Die Pianistin Jimin-Oh Havenith im Gespräch mit klassik.com.

weiter...
Alle Interviews...


Sponsored Links

Hinweis:

Mit Namen oder Initialen gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers, nicht aber unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Die Bewertung der klassik.com-Autoren:

Überragend
Sehr gut
Gut
Durchschnittlich
Unterdurchschnittlich