
Genzmer, Harald - Werke mit Trautonium
Das Wohlinterpretierte Trautonium
Label/Verlag: Paladino
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Gänzlich neuartig und ansprechend wirken Harald Genzmers für den Trautonium-Pionier und bisherigen Monopolisten Oskar Sala geschaffene Kompositionen in den Lesarten bzw. Bearbeitungen von Peter Pichler.
In der Geschichte elektronisch erzeugter Musik nimmt das von Friedrich Trautmann schon Ende der 1920er Jahre entwickelte, 1930 mit Paul Hindemiths 'Sieben Triostücken für drei Trautonien' öffentlich wirksam vorgestellte Trautonium eine Sonderstellung ein. An wissenschaftlichen und fachlichen Informationen zur Baugeschichte, Klangerzeugung und Wirkungsgeschichte herrscht kein Mangel: Wer möchte, kann sich über diverse Internetpräsenzen zum Instrument und seinen Interpreten Oskar Sala und – auch mit eigener Homepage – Peter Pichler orientieren oder die schriftlichen Beiträge u.a. von Peter Donhauser lesen (verzeichnet schon im recht knappen deutschsprachigen Wikipedia-Artikel); im Booklet dieser hier besprochenen, wirklich aufsehenerregenden Neuproduktion liefert mit Kai-Erik Ziegenrücker ein weiterer bekannter Trautonium-Spezialist eine spannend lesbare, gut bebilderte siebenseitige Generaleinführung, auf die ein Interview Ziegenrückers mit Pichler und eine Einführung in die eingespielten Werke folgen, welche den Bearbeitungsanteil Pichlers hinreichend deutlich macht. Dieser ist besonders im Bereich der beiden ‚orchestraleren‘ Kompositionen Genzmers (für bzw. mit Sala) ganz offensichtlich nicht unerheblich. Aus Genzmers später 'Suite des danses pour Instruments électroniques' (1958/59), die Oskar Sala im zu dieser Zeit auch in der elektronischen Musik reichlich genutzten ‚Mehrspur-Synchronverfahren‘ im Studio schichtweise einspielte, hat Pichler etwa eine Aufführungsversion hergestellt für ein klangreicheres Mixtur-Trautonium – Pichler spielt ein neues, eigenes Instrument, das er solistisch in zwei kleinen Solo-Kompositionen von 1935 und 1938 vorführt – und zwei einfachere ‚Volks-Trautonien‘ (der Unterschied wird von Ziegenrücker erklärt). Das in dieser viersätzigen Suite vorgeführte Modulationsspektrum beeindruckt auch dank der exzellenten Aufnahmetechnik. Der im Untertitel der CD angedeutete Bezug zum ‚frühen Krautrock‘ wird auch in der rhythmischen Faktur der 'Sarabande' wie des finalen 'Ostinato' deutlich (wobei im frühen Progressive Rock ja gleichwohl die funktional ganz anders erzeugten Mellotron-Klänge noch typischer sind).
‚From post war sounds to early krautrock’?
Das Synthesizer-Pionierhafte des älteren Trautoniums wird aber mehr als deutlich im historischen Blickwinkel: Während die beiden kleinen Solo-Zugaben des 'Bass-Solos' (1938) und 'Capriccio Trautonico' noch ziemlich kirchenorgelhaft daherkommen, sind Genzmers zwei Sonaten für Mixtur-Trautonium und Klavier von 1949 zwar noch ganz in der Hindemith-Schule verhaftet ('Burleske'!), offenbaren aber im Dialog von Pichler und dem Pianisten Manfred Manhart eine ganz fantasiereiche Welt der Korrespondenzen von Klavier- und elektronischen Klangmöglichkeiten, die hinreichend illustriert, warum in allen musikalischen Bereichen der Komposition und Performance – eben auch Rock und Jazz – die Suche nach elektronischer Klangerweiterung so interessant für die Komponisten und Musiker war. Als Musiker ist Pichler hier auch Interpret und komponierender ‚Mit-Autor‘, da seine Sound-Findungen in ihrer Originalität durch alle Werke dieser CD hindurch ganz neu und unverbraucht wirken. Das macht sich besonders im fünfsätzigen Konzert für Mixtur-Trautonium und (großes) Orchester von 1952 bemerkbar, das Oskar Sala 1958 mit dem Sinfonieorchester des Süddeutschen Rundfunks unter Hans Müller-Kray – das in der Referenzaufnahme keineswegs souverän musiziert und intoniert – geradezu autoritativ eingespielt hat (digital aufgearbeitet erhältlich auf dem Label Wergo): Pichler reduziert einerseits das Orchester auf ein von Manhart dirigiertes achtköpfiges Ensemble und verändert auch Satz-Folge und -Zuschnitte (unter Hinweis auf eine Korrespondenz von Sala und Genzmer, die solche massiven Eingriffe aber eigentlich nicht ganz legitimiert); er kompensiert in dieser Neufassung allerdings den quantitativ, aber nicht qualitativ reduzierten Orchesterklang durch ein blendend aufgenommenes kammerorchestrales Spiel um das im Zentrum klanglich sehr raumgreifende Trautonium herum (unterstützt durch gewöhnungsbedürftigen, die Inszenierung aber stützenden starken Raumhall). Schade nur, dass der vierte Satz der von Sala eingespielten (Original?-)Fassung, wiederum eine Burleske mit ‚virtuosen‘ Trautoniumläufen, weggefallen ist. Dafür treten die lyrischen Qualitäten des Instruments bei Pichler im Scherzo-'Andante' und 'Largo' umso schöner hervor.
Der Musiker Pichler im Zentrum macht im Rahmen des Interviews zu seiner Passion auf sich nachhaltig neugierig (auch als Mitglied der Bands ‚Condom‘ und ‚No Goods sowie als Autor eines Theaterstücks über die ‚Väter‘ des Instruments); seine Homepage ist so besuchenswert wie diese von der Harald-Genzmer-Stiftung dankenswerterweise geförderte CD-Veröffentlichung auch für noch nicht mit der Klangwelt Oskar Salas Vertraute hörenswert (höchstens dogmatische ‚historisch-authentische‘ Sala-Puristen könnten Vorbehalte gegen die immense Soundverbesserung von Pichlers auf dem aktuellen ‚Stand des Klangmaterials‘ neu interpretierter Trautonium-Welt haben). Sie setzt einen Meilenstein für die Rezeption des Trautoniums und Genzmers.
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Genzmer, Harald: Werke mit Trautonium |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Paladino 1 27.01.2017 |
Medium:
EAN: |
CD
9120040730819 |
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Genzmer, Harald |
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Paladino Das CD-Label paladino music wurde 2009 von dem Cellisten Martin Rummel gegründet und ist sozusagen die Keimzelle von paladino media, wozu mittlerweile neben paladino music auch Orlando Records, KAIROS und Austrian Gramophone gehören. Inzwischen bei einem Durchschnitt von 15 Veröffentlichungen pro Jahr angekommen, hat paladino music sich zu einem anerkannten Boutique-Independentlabel entwickelt. Die Veröffentlichungen sind zumeist auf einen Komponisten fokussiert, aber auch Rezitalprogramme und aufsehenerregende Debütaufnahmen sind neben Ersteinspielungen von Komponisten wie Franz Krommer, David Popper, Johann Joachim Quantz, Thomas Daniel Schlee, Robert Stark und Johann Wenzel Tomaschek entstanden. Herausragende Interpreten aller Generationen, von jungen Künstlern bis hin zu internationalen Stars wie Vladimir Ashkenazy garantieren, dass die künstlerische Qualität der Einspielungen außer Frage steht. Ursprünglich auf Kammermusik fokussiert, veröffentlicht paladino music in jüngster Zeit auch zunehmend Solokonzert- und andere Orchesteraufnahmen. Zahlreiche Veröffentlichungen haben Auszeichnungen bekommen oder sind zumindest dafür nominiert worden, und Kritiker in internationalen Medien loben nicht nur die Aufnahmen und das Repertoire selbst, sondern auch die strikt durchgezogene Eleganz des Designs, dass aus dem Firmendesign von paladino media entwickelt ist. paladino music wird von Martin Rummel kuratiert, der von einem kleinen Team an Fachleuten in der Umsetzung, Fabrikation und Distribution unterstützt wird. Das Lager wird von Naxos Global Logistics verwaltet, und ein Netzwerk von über 50 internationalen Vertrieben garantieren, dass jede Aufnahme weltweit über den Fach- und Internethandel sowie über alle wesentlichen Streaming- und Downloadplattformen verfügbar ist. Mehr Info... |
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