
Prokofjew, Rachmaninoff & Skrjabin - Werke für Cello und Klavier
Kongeniale Leidenschaften
Label/Verlag: Pentatone Classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Das Interpreten-Doppel passt, das Werk-Doppel wird passend gemacht. Ideal spielen Johannes Moser und Andrei Korobeinikov Rachmaninows zerklüftetes Gesangsepos für Cello und Klavier. Die Härten Prokofjews werden eher abgemildert.
Es gibt keine klangschönere Aufnahme der Cello-Sonate von Rachmaninow, die in direkter Nachbarschaft des überragenden Zweiten Klavierkonzerts op. 18 noch von der angeblich in diesem Konzert überwundenen Depression des Komponisten kündet: Im Kopfsatz gibt es eigentlich nur sangliche Themen, die Allegro-molto-Bewegtheit des Klaviers im Hauptthema wird durch die beherrschend darübergelegte melancholische Kantilene im Violoncello fast neutralisiert; und abrupt fordert der Übergang zum zweiten Thema einen Tempowechsel quasi in einen langsamen Satz als viel simpler gestrickte Lied-ohne-Worte-Episode, die nun das Klavier einleitet, jetzt im Vorgang und dann Einklang mit dem singenden Streichinstrument. Johannes Mosers Cellospiel ist hier und im ganzen präsentierten Programm durchgängig groß im Klang, immer etwas dunkel und nobel, nicht überdrückend wie manche (v.a. slawische) Konkurrenz: Weder Rachmaninows Sonate noch die unumgängliche Lied-Transkription der 'Vokalise' für Cello und Klavier – wahrscheinlich die Version von Leonard Rose, dazu keine Angabe – sind dabei überzuckert. Moser hält sie fast naiv, was mehr berührt als offene Pathetik. Und Andrei Korobeinikov, 1986 in Aserbaidschan geboren und trotz einiger schöner Einspielungen beim West-Label Mirare noch im Osten wohl bekannter als bei uns, beeindruckt nicht durch Zurschaustellung, sondern kongenialer Anpassung seiner immer wohldosierten Anschlagskräfte.
Das Tempo als Motor melancholischer Dramaturgien
Die Symbiosen aus Celloklang und Klavierbühne, aber auch der gemeinsamen Gestaltung der Tempi in Rachmaninows fantasieartigen Episoden, oft in dynamisch großangelegten, in der Ausdrucksekstase klimaktischen Steigerungsbögen überzeugen in der schwierigen Sonate tief und grundlegend. Rachmaninows Entwickeln durch Abspaltung kleinerer melodischer Parcellen, motivischem Insistieren und neue dynamische Materialverdichtungen wird traumhaft und mitreißend umgesetzt. Das 'Allegro scherzando' brummt, nur oberflächlich aggressiv, da in der ziellosen Motorik selbstreflektierend resignativ. Und das im Selbstverlust des unendlichen komplementären Melodisierens überraschend genauso kurze, nur sechsminütige 'Andante' (man denke an den unendlicheren Gegenentwurf im dritten Satz der Zweiten Symphonie) wirkt in der schönen Selbstzurücknahme des Cellos beim endlich wuchtigen Ausbruch des Klaviers und der gemeinsam verständigten finalen Beruhigung perfekt in seinem Heilungsprozess erfasst. Den konzertanten Rausch des großen Finalsatzes spielen Moser und Korobeinikov voll aus, das eingängige lyrische Thema in seiner paradoxen triumphalen Gestik des zugleich Heroisch-Resignativen und doch immer noch Hoffnungsvoll-Tröstlichen hörte ich nirgends besser getroffen. Die Vielgestaltigkeit des Satzes und schiere Unmöglichkeit kontingenter Tempi-Folgen, an der sogar Größen wie Rostropovich oder Janos Starker stellenweise scheitern, wird zusammengedacht, zusammengefühlt und vermittelt: So müssen Accelerandi ‚getimed‘ sein, um das Primat des Cellogesangs über die banale Form fast erhaben-sakral zu inszenieren. Da diese SACD wirklich exzellent im Frühjahr 2016 in Hilversum von Erdo Groot aufgenommen wurde, führt kein Weg an dieser Einspielung vorbei, möchte man Rachmaninows Sonate in allen ihren Stärken kennenlernen – wobei es den Musikern gelingt, die unbestreitbaren kompositorisch-dramaturgischen Schwächen mittels ihrer Interpretation und emotionalen Einfühlung vollends zu kompensieren, was sonst keiner mir bekannten Aufnahme bislang in solchem Maße zu attestieren ist.
Satter Ton auf allen Ebenen
Vermutlich ist die ganz anders angelegte Sonate Prokofjews eigentlich als Programm-Gegenstück eine ganz gute Wahl, würde sie auch anders ausgelegt. Mosers hier ebenso fast durchgängig ‚großer‘ Ton nimmt der sprunghafteren Expressivität der Melodik, die nicht selten an Prokofjews 'Romeo und Julia'-Ballett erinnert, sogar mitunter ihren tragisch-ironischen Witz oder Zynismus, und das ganz puppenhaft-tänzerische Moderato hat in den meisten Vergleichseinspielungen mehr Biss als Kultiviertheit (gerade auch des Bogen-Schlagens), so dass der Kontrast zum wahrhaft leidenschaftlichen Gesang des Mittelteils nicht ganz so extrem ausfällt als Überwindung der grotesken Eingangsmotorik. Bereits bei Prokofjew – in der Dramaturgie dieser nicht chronologischen Werkanordnung – klingt alles leidenschaftlich-schön und beeindruckend, aber irgendwie wie eine kulinarischere, bereits ‚rachmaninowsche‘ Variation einer eigentlich provokanteren Welt. Somit bekommt Prokofjew hier fast einen Vorspiel-Charakter zum folgenden Durchleben der großen romantischen Ausdrucksgesten. Ein sehr gelungenes Betthupferl aber am Tonträgerende sind die drei für und vom Cello gut ‚bearbeiteten‘ Zugaben – die 'Vokalise', ein 'Adagio' aus Prokofjews 'Aschenbrödel' und eine alle Gefühle noch einmal scharf ansprechende 'Romanze' (eigentlich für Horn und Klavier), welche einen überraschend kongenialen Leidensdruck auch von Rachmaninows Alters- und Studiengenossen Alexander Skrjabin wieder ganz eindringlich vorführt: miniaturhaft in knapp zwei Minuten wie eine final isolierte, erinnerte Sonaten-Durchgangsepisode ohne sonatengemäße Vor- und Nachspiele. Ein kleines nach dem großen Juwel.
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Prokofjew, Rachmaninoff & Skrjabin: Werke für Cello und Klavier |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Pentatone Classics 1 25.11.2016 |
Medium:
EAN: |
SACD
827949059469 |
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Prokofieff, Sergej |
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Pentatone Classics PentaTone wurde im Jahr 2001 von drei ehemaligen Leitenden Angestellten der Philips Classics zusammen mit Polyhymnia International (dem ehemaligen Philips Classics-Aufnahmezentrum) ins Leben gerufen.
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