
Schlamm - Lieder
Weit gestreutes Repertoire
Label/Verlag: WERGO
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Diesmal verbindet das Ensemble Musikfabrik Kompositionen von Brian Ferneyhough, Klaus Lang, Carola Bauckholt und Jorge E. López zu einer Leistungsschau seiner musikalischen Fähigkeiten.
Nun also ‚Schlamm‘. So lautet – nach ‚Scherben‘ und ‚Sterben‘ – der Titel der neuesten Wergo-Produktion aus der Reihe ‚Edition Musikfabrik‘. Folgt man Patrick Hahn, dem Autor des Begleittexts, ist damit ein Assoziationsspektrum angesprochen, das, am Titel der Komposition von Carola Bauckholt anknüpfend, sich zwischen einer ‚Schlammflocke‘ aus der Kläranlage und dem ‚Urschlamm‘ als Ort der Zeugung bewegt und daneben eben auch den Ozean als Lebensspender einbezieht. Hiervon ausgehend biete die CD folglich ‚vier faszinierende Versuche, die Natur zu begreifen und den Platz des Menschen auszuloten‘. Dass die Stücke allerdings kaum etwas miteinander zu tun haben und auch gedanklich höchstens mit der Brechstange aufeinander zu beziehen sind, weiß man aus vielen vorausgegangenen Produktionen. Wie dort handelt es sich um Live-Aufzeichnungen aus dem Kölner Funkhaus, die – allesamt Ersteinspielungen – das weit gestreute Repertoire des Ensembles Musikfabrik dokumentieren. Und auch diesmal hat man die Faltbeilage unter Verwendung eines Gemäldes von Gerhard Richter (‚Abstraktes Bild‘, 1999) gestaltet.
Immerhin gelingt dem Ensemble ein abwechslungsreiches Nebeneinander von ästhetisch stark differierenden Werken: Zur Eröffnung wird der Hörer mit dem Gewimmel der Instrumentalstimmen konfrontiert, das in Brians Ferneyhoughs 'Finis terae' für sechs Stimmen und 18-köpfiges Ensemble (2012) den Einsatz der sechs Vokalisten vorbereitet und den Hörer auf die Vertonung naturwissenschaftlicher Beschreibungen von Moränenlandschaften einstimmt. Die extrem verdichtete Schreibweise, hier unter Leitung des Dirigenten Emilio Pomàrico gemeinsam mit dem EXAUDI vocal ensemble präsentiert, bleibt in ihrer Wirkung meist eher flächig, doch gibt es zwischenzeitlich immer wieder Momente, in denen die musikalische Dichte abnimmt und sich das instrumentale Gewebe als Miteinander leuchtender Farbfäden entpuppt. Einen großen Kontrast hierzu bildet Klaus Langs ruhig und ziellos fließendes Ensemblestück 'The Ocean of Yes and No' (2008), das sich unter Leitung von Jean Deroyer als variables Miteinander unterschiedlichster, weich angestimmter instrumentaler Atembögen entfaltet und dadurch dem Hörer zumeist als permanent fluktuierende Farbfäche gegenübertritt.
Den originellsten Beitrag liefert Carola Bauckholt mit dem Ensemblestück 'Schlammflocke' (2010): Es entpuppt sich als feines Miteinander aufplatzender gestischer Momente wie Quietschen, Pfeifen und Fiepsen, das gelegentlich mit wellenartig anrollenden Klangbändern in den tiefen Registern kontrastiert wird. Die Komponistin schafft dadurch ein assoziatives Panorama, das an ein Bestiarium aus allerlei Tierstimmen erinnert. Die Stärke dieses Gebilde ist, dass es Bilder im Kopf erzeugt, ohne jedoch eine konkrete Auflösung dieser Bildhaftigkeit mitzuliefern. Dass Bauckholt diese Wirkung nicht einfach für sich stehen lässt, sondern eine behutsam sich verändernde Dramaturgie aus den verwendeten Klängen formt, macht ihre eigentliche Leistung aus und wird mit viel Überzeugungsvermögen unter Leitung Enno Poppes nachgezeichnet. Hieran schließt sich noch der von Marcus Creed geleitete Mitschnitt von Jorge E. López’ Quintett 'Gonzales the Earth Eater' für Wagnertuba solo, Englischhorn, Bassklarinette, Viola und Violoncello (1996) an: Angeregt durch die Literatur von William S. Burroughs hat der Komponist hier ein meist wildes Miteinander voller Schnitte, Ausdruckswechsel und Klangeruptionen geschaffen, das aber irgendwie auch ein wenig unentschlossen bleibt.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Schlamm: Lieder |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
WERGO 1 04.11.2016 |
Medium:
EAN: |
CD
4010228686425 |
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WERGO Als 1962 die erste Veröffentlichung des Labels WERGO erschien - Schönbergs "Pierrot lunaire" mit der Domaine musicale unter Pierre Boulez -, war dies ein Wagnis, dessen Ausgang nicht abzusehen war. Werner Goldschmidt, ein Kunsthistoriker, Sammler und Enthusiast im besten Sinne, war es, der - gemeinsam mit dem Musikwissenschaftler Helmut Kirchmayer - den Grundstein zu dem Label legte, das seit inzwischen 50 Jahren zu den führenden Labels mit Musik unserer Zeit zählt. Mehr Info... |
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