
Jessye Norman singt - Lieder von Strauss, Wagner, Schönberg, u.a.
Portamentös
Label/Verlag: ORFEO
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Jessye Norman füllt bei diesem Liederabend in Salzburg jede Phrase mit Emphase, schießt dabei aber vor allem in den schlichter angelegten Liedern übers Ziel hinaus.
Regelmäßig galten die (insgesamt sechzehn) Liederabende Jessye Normans im Rahmen der Salzburger Festspiele als ganz besonderes Ereignis, so auch am 6. August 1991. Fast ritualartig versammelte sich die riesige Fangemeinde im Großen Festspielhaus (obschon natürlich das Große Festspielhaus für Liederabende vom Prinzip denkbar ungeeignet ist), diesmal zu einem Programm, das mit Wagner, Strauss und Schönberg Stammrepertoire der Sängerin enthielt. Ein Tschaikowsky-Block sollte nicht überraschen, doch wird immer wieder vergessen, dass sie sich mehrmals mit dem russischen Komponisten befasste, immer in französischer Sprache (hier vier der 'Six mélodies' op. 65). Normans Tschaikowsky ist nicht jener Tschaikowsky, den man von einem russischen Sänger oder auch einer Joan Rodgers erwarten würde – er ist ein amerikanisch-französischer Tschaikowsky, voll mit Verschleifungen und Manieriertheiten; jede Phrase wird liebkost und ausgekostet, auch solche, die eine schlichtere Fokussierung vertragen könnten. Keine Frage, das Piano der Sängerin, ihre Phrasierung ist mirakulös, aber gelegentlich gerät das Ganze doch etwas zu prätentiös, während sich an anderer Stelle (Wagner-bedingt) erste Schärfen ankündigen, die dem interpretatorischen Zugriff fast entgegenstehen. Normans Klavierpartner James Levine, der sich mit seinem Dresdner 'Eugen Onegin' für immer in die Tschaikowsky-Diskografie festgeschrieben hat, entspricht der Sängerin, lässt sie willfahren statt ihr ein verlässliches Korrektiv zu sein. Um es gleich vorwegzunehmen: Die 'Carmen'-Habanera als Zugabe wird in ähnlicher Weise vorgetragen – raffiniert ausgearbeitet, mit Mut zu ‚blue notes‘ und Schärfen, aber eher amerikanisch als ein Kind der Opéra comique. Aber – natürlich – bei dem begeisterten Publikum mit stehenden Ovationen honoriert.
Auch die Wagner-, Strauss- und Schönberg-Blöcke überraschen. Bei Schönbergs 'Brettl-Liedern' ist die sinnlich-frivole Komponente wohldosiert, und auch ihre komödiantischen Aspekte kommen nicht zu kurz. Doch lässt sich wohl kaum bestreiten, dass ihre Studioproduktion (Philips, ebenfalls mit Levine) deutlich überzeugender ist – sowohl was die Textverständlichkeit als auch was die Lebendigkeit des Klavierparts angeht. Auch klingt ihre Höhe noch deutlich schärfer als bei den Tschaikowsky-Liedern. Wie weitgehend mangelhafte Aufnahmetechnik die Interpretation beeinträchtigt, wäre zu prüfen; dass sie nicht optimal ist, ist von den ersten Takten an unüberhörbar.
Wagners 'Wesendonck-Lieder' in der erfreulichen Klavierfassung erfahren eine (fast) perfekt intonierte, aber nicht in jedem kleinen Moment differenziert ausgearbeitete Wiedergabe. Vor allem muss Norman die Stimme denn doch allzu häufig zur Größe des Saales hin öffnen, was der Intimität der Liedgattung entgegensteht; doch auch ihre Aussprache bietet ein paar kleine Überraschungen: ‚himmel-weerts‘ etwa und ein paar unidiomatische syntaktische Hebungen oder Senkungen, die bei solchem Standardrepertoire eigentlich unverzeihlich sind. Ihre bis zum Mezzoforte wunderbar warme, perfekt gerundete Stimme kompensiert vieles. 'Im Treibhaus' zerfällt etwas, auch wegen des problematischen Klavierklanges; hier verliert sich die Melodieführung auch etwas in den chromatischen Linien. 'Schmerzen' nutzt mehr als nur opernhafte Effekte, so dass auch hier der Charakter einer Liederwiedergabe konterkariert wird und vor allem 'Träume' als Schlussnummer an Wirkung verliert (trotz herrlicher Lautmalereien in der Stimme).
Richard Strauss war ein Fixpunkt von Normans Liedtätigkeit, wohl auch weil seine Gesänge ihrer Stimme quasi ‚in der Kehle‘ lagen. Hier 'Nachtgang' op. 29 Nr. 3, 'Allerseelen' op. 10 Nr. 8, 'Ständchen' op. 17 Nr. 2, 'All‘ mein Gedanken, mein Herz und mein Sinn' op. 21 Nr. 1, 'Du meines Herzens Krönelein' op. 21 Nr. 2 und als Zugabe 'Zueignung' op. 10 Nr. 1. In den ernsteren Gesängen stört Normans Ausdruckswille weniger als in den betonten 'Schlichten Weisen' op. 21, ganz besonders in 'Du meines Herzens Krönelein'. Da wird jedes Wort liebkost – von Schlichtheit keine Spur. Auch 'Allerseelen“ gerät zu einer eher dekadenten Lesart, irgendwie passend zu dem gesamten Konzept des ganzen Liederabends, der sich durch eine Unzahl an Portamenti auszeichnet, durch die ein unmittelbarer Zugang zu der Musik kaum mehr möglich scheint. Musikalisch (sängerisch wie pianistisch) beglückend (wenn auch in der Gestaltung etwas äußerlich) schließlich 'Ständchen' – textlich verbesserungsfähig.
Der Booklettext erschöpft sich zumeist in Jubelkritiken des Konzerts, ordnet die Interpretationen nicht in Normans Karriere und Diskografie ein. Was ja auch zu einer gewissen Relativierung ihres Wertes hätte führen können; dass auch die Textdichter allesamt unterschlagen werden, grenzt an Schlamperei; statt fünf Seiten Werbung wären die Gesangstexte von größerem Wert für den Hörer gewesen. Schlussendlich bleibt unklar, warum genau dieser Liederabend zur Veröffentlichung ausgewählt wurde.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Jessye Norman singt: Lieder von Strauss, Wagner, Schönberg, u.a. |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
ORFEO 1 14.10.2016 |
Medium:
EAN: |
CD
4011790926124 |
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Schönberg, Arnold |
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ORFEO Erschienen die ersten Aufnahmen des 1979 in München gegründeten Labels noch in Lizenz bei RCA und EMI, produziert und vertreibt ORFEO seit 1982 unter eigenem Namen. Durch konsequente Repertoire- und Künstlerpolitik konnte sich das Label seit seinem aufsehenerregenden Auftritt am Anfang der Digital-Ära dauerhafte Präsenz auf dem Markt verschaffen. Nicht nur bekannte Werke, sondern auch weniger gängige Musikliteratur und interessante Raritäten - davon viele in Ersteinspielungen - wurden dem Publikum in herausragenden Interpretationen zugänglich gemacht. Dabei ist es unser Bestreben, auch mit Überraschungen Treue zu klassischer Qualität zu beweisen.
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