
Froberger, Johann Jacob - Sämtliche Musik für Cembalo und Orgel
Abwechslungsreiche musikalische Rhetorik
Label/Verlag: Brilliant classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Simone Stellas Gesamteinspielung der Cembalo- und Orgelwerke von Johann Jakob Froberger bietet eine kostengünstige Annäherung an dieses bedeutende Repertoire für Tasteninstrumente.
Mit seinen dicken CD-Boxen schafft das Label Brilliant Classics immer wieder preisgünstige Alternativen zu gängigen Aufnahmen. Dies trifft auch auf die Gesamtedition der Cembalo- und Orgelwerke Johann Jakob Frobergers zu, da die einzelnen Doppel-CDs der großartigen, bei Aeolus erschienenen Froberger-Edition mit Bob van Asperen bislang durch ihre durchgängig hohen Preise abschrecken. Zwar berührt der italienische Cembalist und Organist Simone Stella nie die interpretatorischen Extrempositionen seines fast vier Jahrzehnte älteren niederländischen Kollegen, doch überzeugt er durch einen überlegten, dem Geist der Rhetorik verpflichteten Zugang. Angeordnet sind Frobergers Kompositionen auf insgesamt 16 CDs, die sich inhaltlich an der Quellenlage orientieren: Die Stücke der beiden für Kaiser Ferdinand III. entstandenen Bücher mit Musik für Tasteninstrumente – ‚Toccate, fantasie, canzone, allemande, courante, sarabande, gigue, et altre partite‘, Libro Secondo (1649) und ‚Toccate, ricercari, capricci, allemande, gigue, courante, sarabande‘, Libro Quarto (1656) – erscheinen jeweils in der gedruckten Anordnung, sodann gefolgt vom ‚Libro di capricci e ricercate‘ (um 1658) und anschließend um den wesentlich mächtigeren Korpus von Kompositionen aus unterschiedlichsten Sekundärquellen ergänzt.
Cembalowerke
Stella folgt fast ausnahmslos dem Prinzip, die freien kontrapunktischen Formen – also Toccaten, Fantasien, Canzonen, Ricercari, Fugen – auf der Orgel wiederzugeben, wogegen er die zahlreichen Partiten dem Cembalo anvertraut. Für den zuletzt genannten Fall greift er auf einen von William Horn gefertigten Nachbau eines auf 1638 datierten Cembalos von Ioannes Ruckers zurück und setzt den feinen, variantenreichen Klang dieses Instruments sehr geschickt sowohl zur dynamischen Differenzierung als auch zur Akzentuierung formaler Aspekte ein. Geradezu vorbildlich gelingt ihm dies in der Partita VI 'auff Die Maÿerin' G-Dur FbWV 606 aus dem Libro Secondo, deren an Volksmusikbezügen orientierte Variationsteile er mit großem Abwechslungsreichtum gestaltet und auf die abschließende Sarabande hin ausrichtet. Insbesondere die Allemanden und Sarabanden der Partiten zeichnen sich darüber hinaus generell durch einen rhetorisch geprägten Vortrag aus, der allerdings große agogische Schwankungen weitgehend meidet. Stella lässt sich vor allem von der Kantabilität den Froberger’schen Melodiekonstruktionen leiten, die er deklamatorisch ausgestaltet und durch geschmackvolle Ornamente und arpeggierte Akkorde akzentuiert.
Die eigentlichen Höhepunkte der Einspielung liegen im Repertoire der über Sekundärquellen verfügbaren Partiten, deren teils gewagte, dem ausdrucksvollen ‚Stylus phantasticus‘ verpflichtete Satzbilder Stella zu beredter Klanglichkeit und schlüssigen Spannungsverläufen verhilft. So interpretiert er beispielsweise in der Gigue 'nomée la Mozarinique' aus der Partita d-Moll FbWV 613 die ungewöhnlichen, die Diktion des Satzes förmlich zerschneidenden rezitativischen Einschübe als überraschende Interpolationen, während er im eröffnenden 'Lamento Frobergeri' der Partita g-Moll FbWV 614 eine weiträumig deklamierten Klage formuliert und zu diesem Zweck auf eine nuancierte Umsetzung der melodischen Verzweigungen zurückgreift. Besonders überzeugend gerät unter seinen Händen die sehr frei, fast schon improvisatorisch dargebotene Méditation 'faite sur ma mort future' aus der Partita D-Dur FbWV 620, zumal Stella deren motivische Bezüge zu den übrigen Sätzen hervorhebt und dabei gekonnt die klanglich differenten Register des Cembalos einsetzt.
Die großen, fast zehnminütigen Lamentationen – der Tombeau c-Moll FbWV 632 auf den Tod des befreundeten Lautenisten Blancrocher und die Lamentation f-Moll FbW 633 auf den Tod Ferdinand III. – zeigen den Cembalisten schließlich auf der Höhe seiner Gestaltungskraft: Fantasiereich folgt er den – in positivem Sinne – weitschweifigen, am Stil vokalen Deklamierens angelehnten musikalischen Phrasen und arbeitet in seiner Wiedergabe die Verknüpfung von harmonischen Besonderheiten und Klageformeln als Moment der Überraschung heraus. Dadurch entstehen weite musikalische Spannungsbögen, die – das Außergewöhnliche der umrissenen Affektsituation – von einer ungewöhnlichen Formulierung zur nächsten übergehen, um schließlich das Einmünden in die Grundtonart als erlösenden Ruhepunkt erfahrbar werden lassen. Einen solchen beredten Vortrag lässt der Cembalist aber auch anderen langsamen Einleitungssätzen, etwa der Allemand aus der Partita c-Moll FbWV 619, angedeihen, und wahrt zudem bei den einzelnen Suiten möglichst einen übergreifenden Tonfall, so etwa in der einem vorwiegend kantablen Charakter verpflichteten Partita Es-Dur 'Das Nachtlager' FbWV 654.
Orgelwerke
Auch beim Orgelvortrag nutzt Stella die Möglichkeiten der Registrierung zur Akzentuierung formaler Aspekte, wobei er vor allem in den formal komplexeren Stücken zusätzlich die Kontraste zwischen freierem Spiel in ungebundenen Abschnitten und strengerem Vortrag in kontrapunktischen Teilen einbezieht. Unter Rückgriff auf die klanglichen Möglichkeiten von vier historischen Orgeln aus dem 16. und 17. Jahrhundert aus Florenz, Vicenza und Ferrara schafft er damit ein Maximum an Abwechslungsreichtum, wovon insbesondere gewichtigere Stücke wie das Capriccio g-Moll FbWV 508 aus dem Libro Quarto profitieren. Besonders schön geraten dem Interpreten in diesem Sinne die drei ausgedehnten Toccaten FbWV 127–129 aus dem ‚Codex Chigi‘, wo er die Kontraste zwischen freiem und strengem Spiel sehr überzeugend herausarbeitet, aber auch Stücke mit anspruchsvollen formalen Konstruktionen aus Sekundärquellen wie beispielsweise die Capricci d-Moll FbWV 510 und F-Dur FbWV 512.
Das schmale englischsprachige Booklet bringt zunächst einen fünfseitigen Text zur Biografie Frobergers, gefolgt von einem mit vier Seiten ziemlich kurz gefasst Einblick in einige musikalischen und stilistische Details der eingespielten Werke aus der Feder von Simone Stella. Das alles kann man ausführlicher an anderer Stelle nachlesen, doch erlaubt das Booklet immerhin, unterstützt durch (allerdings sehr kleinformatige) farbige Abbildungen der einzelnen Instrumente, einen Blick auf die Dispositionen der vier eingesetzten historischen Orgeln.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Froberger, Johann Jacob: Sämtliche Musik für Cembalo und Orgel |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Brilliant classics 16 30.09.2016 |
Medium:
EAN: |
CD
5028421947402 |
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Froberger, Johann Jacob |
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