
Rachmaninoff, Sergej - Sinfonie Nr. 1
Gegen den Strich gebürstet
Label/Verlag: LSO Live
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Valery Gergiev zeigt neue interpretatorische Einsichten in Rachmaninows Erste Sinfonie. Aber nicht alles überzeugt gleichermaßen.
Die Uraufführung der Ersten Sinfonie von Sergej Rachmaninow am 15. März 1897 in St. Petersburg geriet zum Desaster. Die Kritiken waren vernichtend. César Cui, einer der führenden Kritikern verspottete Rachmaninow gehässig als den Studenten eines Höllenkonservatoriums, der ‚die sieben Plagen von Ägypten erschuf‘ und führt weiter aus: ‚Wenn es in der Hölle einen Konzertsaal gäbe und man beauftragte einen Komponisten, eine Symphonie über die Plagen Ägyptens zu schreiben, dann würde dieses neue Werk dem Auftrag in idealer Weise entsprechen…‘. Rachmaninow geriet in eine tiefe seelische Krise, über die er später feststellte: ‚Ich glich einem Menschen, den der Schlag getroffen hatte und dem für lange Zeit Kopf und Hände gelähmt waren.‘ Der Schock führte aber dazu, dass er das Werk nicht mehr öffentlich aufgeführt wissen wollte: ‚Die Sinfonie werde ich nicht zeigen und im Testament werde ich ein Verbot ihrer Ansicht niederlegen…‘ Gottseidank wurde das Werk 1945 aus den Orchesterstimmen rekonstruiert. Die erneute Aufführung war ein enormer Erfolg. Schlagartig war klar, dass es sich um ein geniales Werk in der Nachfolge Tschaikowskys handelte.
Nun liegt eine neue, überzeugende Interpretation mit dem London Symphony Orchestra unter Valery Gergiev vor. Gergiev stellt Sachlichkeit und architektonische Strenge über romantisierenden Stimmungszauber. Er entwickelt ein quasi elektrisierendes Hochspannungsfeld über alle vier Sätze hinweg, die ja durch das Thema, das zu Beginn des ersten Satzes erklingt, und durch einen Triolenrhythmus miteinander verbunden sind. Im ersten Satz arbeitet Gergiev subtil die Lyrismen heraus, sodass dieser Satz nicht so brachial wie etwa bei Mariss Janson erklingt, anderseits versinkt der dritte Satz nicht in klanglicher Verträumtheit, sondern hier geht es Gergiev um das strukturelle Moment. Er legt insgesamt Wert auf das, was quasi zwischen den Zeilen steht. Das gilt etwa auch für die Polyphonie des vierten Satzes, die allzu leicht unter einem breiten Pinsel verschwindet. Man kann durch Gergievs Herangehensweise sehr deutlich den zum Finale hingerichteten dramaturgischen Ablauf nachvollziehen. Valery Gergiev gelingt in diesem Satz eine vorbildliche Balance zwischen den großen Energielinien, die selbst noch in den dichtesten Passagen klar durchscheinen, und den Details, die bei dieser Herangehensweise eine geradezu spontane Lebendigkeit gewinnen. Gergievs Interpretation streift das rustikale russische Gewand ab, das die meisten anderen Aufnahmen beschwert. Man muss aber in der Tat diese Aufnahme mehrmals hören, um sich in diese so andere Herangehensweise einzuhören, die so quer zu den bekannten Interpretationslinien steht.
Die formidablen Musiker des London Symphony Orchestras zeigen sich bei dieser auch instrumentaltechnisch anspruchsvollen Sinfonie als selbstbewusster, in komplexer Beredsamkeit überzeugender Klangkörper. Die selten zu hörende symphonische Dichtung 'Tarmara' aus den Jahren 1867-1882 von Milli Balakirew, dem Mentor des sogenannten Mächtigen Häufleins und Wegbereiter einer russisch-national geprägten Musik, rundet diese empfehlenswerte CD ab. Auch hier überzeugen die beeindruckende Disziplin und Beherrschtheit, mit der dieses klangfarbenreiche Werk in Klang umgesetzt wird. Da es (erfreulicherweise!) eine Liveaufnahme ist, muss man einige klangliche Ungenauigkeiten in Kauf nehmen.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Rachmaninoff, Sergej: Sinfonie Nr. 1 |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
LSO Live 1 02.09.2016 |
Medium:
EAN: |
SACD
822231178422 |
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Rachmaninoff, Sergej |
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