
Huppertz, Gottfried - Zur Chronik von Grieshuus
Und noch ein Meisterwerk der Stummfilmzeit
Label/Verlag: Pan Classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Erneut widmen sich Frank Strobel und das hr-Sinfonieorchester einer Filmmusikpartitur von Gottfried Huppertz und überzeugen dabei auf ganzer Linie.
Im Anschluss an die monumentale Partitur zu Fritz Langs viereinhalbstündigem Stummfilmepos 'Die Nibelungen' (1922–24) und vor der gleichfalls monumentalen Musik zu dessen zukunftsweisendem Film 'Metropolis' (1925–27) widmete sich der Komponist Gottfried Huppertz einer bislang kaum bekannten Vertonung von Arthur von Gerlachs Theodor-Storm-Verfilmung 'Zur Chronik von Grieshuus' (1924). Wie im Fall der 2015 erschienenen 'Nibelungen'-Musik brilliert auch auf dieser Produktion des Labels Panclassics das hr-Sinfonieorchester unter Leitung des Filmmusikexperten Frank Strobel bei der Wiedergabe der Partitur. 94 Minuten, verteilt auf zwei CDs, dauert dieses seit der Stummfilmzeit nicht mehr aufgeführten Werk, das vielleicht stärker als die übrigen beiden Filmmusiken über die exzellente Qualität von Huppertz’ Arbeit Auskunft gibt. Während nämlich die 'Nibelungen' von einer durch das Sujet nahegelegten Orientierung an Richard Wagners Musik geprägt sind und 'Metropolis' ganz unter dem Einfluss der immer wieder aufgegriffenen Maschinenrhythmen steht, lässt der Komponist hier seiner melodischen Erfindungskraft freien Lauf.
Bereits der stimmungsvolle Prolog mit einem Englischhornsolo, das von schwelgenden Melodiebögen der Streicher aufgegriffen und weitergeführt wird, verweist darauf, dass Huppertz vor allem auf das liedhafte Element setzt, um thematische Einfälle und feinsinnige melodischen Gedanken daraus abzuleiten, die er dann – ganz im Sinn eines der historisch weit ausgreifenden Filmhandlung unterlegten Erinnerungsnetzes – einer ständigen Wandlung unterzieht. Tatsächlich verdankt sich die außerordentliche Wirkung des Werkes einem tief in der Romantik verwurzelten Tonfall, der mit vereinzelten archaisierenden Wendungen angereichert ist. Seine Grundlage ist eine klangfarblich abwechslungsreiche, das Filmgeschehen mitunter emotional akzentuierende Instrumentation, die unter Strobels Leitung zu einem plastischen Gebilde geformt wird und dabei immer wieder zu dramatischen Höhepunkten findet. Resultat ist ein stimmungsvolles sinfonisches Gemälde, das man sich – etwa in Gestalt suitenartiger Auszüge – auch in den Konzertsaal versetzt vorstellen könnte.
Die Aufnahme, entstanden im Zusammenhang mit der Restaurierung des Films, basiert auf einem außergewöhnlich umfangreichen Quellenmaterial. Grundlage ist die Partitur für großes Orchester – offenbar die Fassung der Filmpremiere im Ufa-Palast am Zoo (Berlin) vom 11. Februar 1925 –, deren fehlende Stellen von Olav Lervik anhand des Klavierauszugs, des Particell-Manuskripts und der Version für kleines Orchester rekonstruiert wurden. Um diese Musik mit dem restaurierten Film zu synchronisieren, waren darüber hinaus, verantwortet von Frank Strobel, auch Kürzungen und Verlängerungen des Originals notwendig. Solche Eingriffe in eine doch im Grunde vollständig erhaltene Musik machen deutlich, dass die Prioritäten bei der Wiederherstellung historischer Filmkunstwerke weiterhin eher beim Bild, denn bei der akustischen Ebene liegen. Begleitet wird die Produktion von einem reich bebilderten Booklet, das neben einer Zusammenfassung der Filmhandlung einen ausführlichen, von Nina Goslar verfassten Beitrag zur Geschichte dieser Huppertz’schen Filmmusik und ihrer zeitgenössischen Rezeption enthält.
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Huppertz, Gottfried: Zur Chronik von Grieshuus |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Pan Classics 2 02.09.2016 |
Medium:
EAN: |
CD
7619990103559 |
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Pan Classics Gegründet 1992 vom Musikhaus Pan in Zürich, wurde das Label 1997 von den Tonmeistern Clement Spiess und Koichiro Hattori übernommen. 2011 entschloss man sich zu einem radikalen Neuanfang: Der umfangreiche Katalog wurde gelichtet und die verbliebenen Aufnahmen erhielten ein neues, attraktives Erscheinungsbild. Den CDs wird so ein unverwechselbares Äußeres mit einem hohen Wiedererkennungswert verliehen. Geblieben sind dagegen die Vorliebe für außergewöhnliches Repertoire und der Anspruch, mit renommierten Musikern und Ensembles einen künstlerisch hochwertigen Katalog zu schaffen. Zu diesen Künstlern zählen Namen wie die Hammerklavier-Spezialisten Edoardo Torbianelli und Arthur Schoonderwoerd, der Tenor Jan Kobow u.v.a. Mehr Info... |
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