
Scarlatti, Alessandro - Missa Defunctorum
Prunkhaft
Label/Verlag: Arcana
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Das italienische Ensemble Odhecaton entfacht in Alessandro Scarlattis geistlicher Musik Oberflächenglanz, wo ein wenig spirituelle Zurückgenommenheit am Platze wäre. Doch die musikalische Qualität lässt nichts zu wünschen übrig.
Auch wenn man Alessandro Scarlatti als Komponisten geistlicher Musik durchaus kennt, so gibt es doch immer noch eine genügende Menge eher minder bekannter Werke, die hier beim traditionsreichen Label Arcana vorgelegt werden. Die vier Kompositionen, ein um 1717 entstandenes Requiem, ein vor 1715 komponiertes (nicht weniger als sieben Soli forderndes) 'Magnificat', ein doppelchöriges 'Miserere mei, Dominus' von 1708 und ein 'Salve Regina' von kurz vor der Jahrhundertwende, fordern allesamt nur einen bescheidenen Instrumentalanteil, die meisten nur einen Basso continuo. So haben wir es hier mit klar auf das Vokale konzentrierten Aufnahmen zu tun, die auch durch die überschaubare hier genutzte Stimmenbesetzung große Intimität bieten.
Auch sonst haben wir es eher mit einer Besonderheit zu tun – Scarlattis Duktus ist hier ein betont retrospektiv-sakraler, äußerem Effekt abgewandter, was der Spiritualität der Kompositionen gut bekommt. Dass sich dennoch kein durchgängig rein sakrales Ereignis einstellt, ist wohl in dem musikalisch teilweise eher profanierten Zugang der Interpreten begründet. In musikalisch hoher Professionalität bietet Odhecaton (das wievielte Ensemble mit diesem Namen es wohl sein mag? hier das 1998 gegründete italienische Ensemble) die vier Werke vom rein musikalischen Standpunkt aus tadellos – doch eben gerade nicht durchgängig mit der bei einem solchen Projekt so wichtigen echten spirituellen Dimension. Dies ist umso erstaunlicher, als die Musik eine bewusste Synthese mit der Kirchenpolyphonie vergangener Jahrhunderte anstrebt und die Befassung mit ihr fast zwangsläufig eine entsprechende Aura entwickeln sollte. Wo aber bei Monteverdi, Gabrieli und anderen ein entsprechendes Problembewusstsein bei den Interpreten vorgegeben ist, prunkt der insgesamt fünfzehn Sänger und Sängerinnen aufbietende Chor (‚I Quindici‘ in Anlehnung an ‚The Sixteen‘?) mit Klangfarben und Klängen, bietet die Musik in großer Klarheit und (zumeist) perfekter Intonation und dynamischer Schattierung dar, scheint sich aber eben in genau diesem Zugang auch selbst zu gefallen, mit teilweise extrem flotten Tempi.
Die insgesamt maximal fünf Instrumentalisten (von denen die zwei Violinistinnen Anaïs Chen und Hedwig Raffeiner nur im 'Salve Regina' zu tun haben) sind mit dem Stil der Musik um 1700 bestens bewandert, ihnen gelingt die ‚Stilfusion‘ zwischen Spätrenaissance und Barock besser, sind aber auch klangtechnisch zumeist mit größerer Diskretion eingefangen. Der interpretatorische Höhepunkt der CD ist möglicherweise das 'Miserere', in dem die spirituelle Dimension (aber auch interpretatorische Schwächen einzelner Sänger) in der Interpretation am stärksten ausgeprägt ist; besonders interessant auch das 'Graduale' aus der 'Missa pro defunctis', das die ‚gradus‘ (Stufen) auch musikalisch quasi haptisch spürbar macht (was aber im Ergebnis nicht ganz frei ausgesungen wirkt).
Jenseits des rein Musikalischen noch zwei kleinere Anmerkungen. Dem Aufnahmeleiter, der eindeutig zu diesem prachtvollen Ergebnis maßgeblich beigetragen hat, sind ein paar ‚Nebengeräusch-Patzer‘ stehen geblieben, die gerade bei dem offenkundig vorhandenen Perfektionsdrang umso feiner auffallen. Die zweite Merkwürdigkeit betrifft das (ansonsten tadellose) Booklet: Dieses verliert ganze 21 Zeilen über den Booklettextautor, aber keine einzige über die Interpreten. Das nenne ich Schwerpunktverfehlung.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!
Ihre Meinung? Kommentieren Sie diesen Artikel
Jetzt einloggen, um zu kommentieren.
Sind Sie bei klassik.com noch nicht als Nutzer angemeldet, können Sie sich hier registrieren.
Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
![]() Cover vergrößern |
Scarlatti, Alessandro: Missa Defunctorum |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Arcana 1 02.09.2016 |
Medium:
EAN: |
CD
3760195733981 |
![]() Cover vergössern |
Scarlatti, Alessandro |
![]() Cover vergössern |
Arcana Michel Bernstein hat mit ARCANA eine Institution im Bereich der Alten Musik geschaffen, deren Katalog mit einer Vielzahl prominenter Namen der Alten Musik aufwarten kann, darunter prominente Namen wie Rinaldo Alessandrini, Gunnar Letzbor oder Sigiswald Kuijken. Als der Labelgründer 2006 plötzlich verstarb, schien es zunächst so, als würde dies auch unweigerlich das Ende von ARCANA bedeuten. Zum Glück entschied sich der italienische Vertrieb Jupiter zum Kauf des Labels. Selbstverständlich plant man, es im Sinne seines Gründers weiterführen. Nach und nach werden nun Aufnahmen aus dem umfangreichen Backkatalog des Labels in neuer Gestaltung wieder veröffentlicht und der Katalog durch neue Aufnahmen bewährter Künstler und von Neuzugängen (darunter Marco Beasley und das Ensemble Accordone) erweitert. Mehr Info... |
![]() Cover vergössern |
Jetzt kaufen bei...![]() |
Weitere Besprechungen zum Label/Verlag Arcana:
-
Ensembleleistung: Lebhaft-bewegende Wiedergabe des Requiems von Niccolò Jommelli. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Giosquino, der Italiener: Ein weitere hochklassige Würdigung Josquins in seinem 500. Todesjahr: Diese Platte von Odhecaton und Gesualdo Six setzt willkommene Impulse, um das erfreulich reich überlieferte kompositorische Erbe Josquins vor Ohren geführt zu bekommen. Weiter...
(Dr. Matthias Lange, )
-
Wider das Vergessen: Enorm qualitätvolle Musik von Giovanni Antonio Rigatti aus der vermeintlich zweiten Reihe Venedigs, von i Disinvolti und dem UtFaSol Ensemble mit Temperament und etlichem Vermögen präsentiert. Weiter...
(Dr. Matthias Lange, )
Weitere CD-Besprechungen von Dr. Jürgen Schaarwächter:
-
Es dreht sich nur um einen: Der Klaviertriokomponist Camille Saint-Saëns als Schöpfer und Nachschöpfer. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Kein überzeugendes Plädoyer: Dem Constanze Quartett mangelt es an rhetorischer Überzeugungskraft, um drei Streichquartette Emilie Mayers zu einem besonderen Erlebnis zu machen. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Pionierleistungen: Bedeutsame Dokumente der Havergal-Brian-Diskografie. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
Weitere Kritiken interessanter Labels:
-
Lohnende Neuauflage: Hochwertige Liszt-Aufnahmen von Michael Korstick, gesammelt in einer neuen Edition. Weiter...
(Oliver Bernhardt, )
-
Komplexe Kunst: Verlässlich bringt das Orlando Consort wie hier mit Machaut ferne Musik ans Ohr der Gegenwart und lässt sie ebenso regelmäßig auf erstaunliche Weise bei aller Komplexität frisch, relevant und dringlich klingen. Weiter...
(Dr. Matthias Lange, )
-
"Mannheimer goût" mit enormem Eigenwert: David Castro-Balbi und das Württembergische Kammerorchester Heilbronn unter Kevin Griffiths überzeugen auf ganzer Linie mit Werken von Johann Stamitz. Weiter...
(Dr. Kai Marius Schabram, )
Portrait

"Man muss das Ziel kennen, bevor man zur ersten Probe erscheint."
Der Pianist und Organist Aurel Davidiuk im Gespräch mit klassik.com.
Sponsored Links
- Opernreisen und Musikreisen bei klassikreisen.de
- Konzertpublikum
- Musikunterricht
- klassik.com Radio
- Urlaub im Schwarzwald
- Neue Musikzeitung
- StageKit - Websites für Musiker, Veranstalter und Konzertagenturen
Hinweis:
Mit Namen oder Initialen gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers,
nicht aber unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Die Bewertung der klassik.com-Autoren:
Überragend
Sehr gut
Gut
Durchschnittlich
Unterdurchschnittlich