
Mendelssohn-Bartholdy, Felix - Streichquartette vol.3
Der Blick fürs Detail
Label/Verlag: BIS Records
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Mit einer herausragenden Wiedergabe der Streichquartette Nr. 5 und 6 beschließt das Escher String Quartet seine Einspielung der Quartettkompositionen Felix Mendelssohn Bartholdys.
Das Streichquartett Nr. 5 Es-Dur op. 44 Nr. 3 (1837-38), das am Anfang dieser SACD von BIS steht, hebt mit einem Kopfsatz an, den die vier Musiker des Escher String Quartet als verästeltes, durchpulstes Gebilde präsentieren. Hinter der feinfühligen Zeichnung, die beim ersten Hören leicht und luftig wirkt, verbirgt sich jedoch eine innere Gespanntheit: Sie färbt die melodischen Phrasen, bestimmt die Herausarbeitung leichter Impulse und Akzentuierungen, durchzieht die Verdichtungen der Durchführung und reicht über die Reprise hinaus bis zu Coda, wo sie schließlich noch stärker zur Geltung kommt. Dem gesamte Satz ist, verstärkt durch die ausgefeilte dynamische Gestaltung, ein nicht nachlassender Spannungsbogen eingeschrieben, wodurch er die vielen harmlosen Interpretationen durch andere Quartettformationen Lügen straft. Mit diesem Einstieg geben die Musiker die Richtung vor, die sie im gesamten dritten und letzten Teil ihrer Einspielung von Felix Mendelssohn Bartholdys Streichquartetten verfolgen: Direkt an die subtile Umsetzung des Kopfsatzes anknüpfend, gestalten die Musiker das Scherzo als verhalten erregtes Gebilde, dessen einzelne Linien sie zu polyphonen Texturen verweben, um gleich darauf wieder melodische Phrasen daraus hervorwachsen zu lassen, bis der Satz – nach einer Unisono-Vereinigung aller Stimmen – in einem extrem leisen Pizzicato ausläuft. Nach einer ständig ansteigenden Spannungskurve bildet der langsame Satz den warm ausgesungenen Ruhepunkt des Werkes, den auch einige vorübergehende Schattenmomente nicht eintrüben können; dieser weicht jedoch anschließend wieder einer Unruhe, welche die Musiker – damit auf den Kopfsatz zurück verweisend – gekonnt in die emphatischen Melodiebögen des Finales einflechten.
Mit ungewöhnlicher Intensität setzt sich das Escher String Quartet auch mit dem Streichquartett Nr. 6 f-Moll op. 80 auseinander, das – von Mendelssohn 1847 nach dem überraschenden Tod seiner Schwester Fanny komponiert – hier ganz bewusst zum musikalischen Widerhall biografischer Erschütterungen geformt und als Psychogramm einer Trauerarbeit wiedergegeben wird. Vom scharf formulierten Klang der eröffnenden Tremolo-Attacken ausgehend, beginnen die Musiker die erregten Texturen des Kopfsatzes zu erschließen, um sie immer wieder in melodisch geprägte Phasen münden zu lassen. Indem sie die rauen Momente dynamisch nie außer Kontrolle gerade lassen, sondern vielmehr alle Forte-Ausbrüche in ihrer Wirkung wohl kalkuliert einsetzen, gelingt es ihnen, der innere Gefühlslage der Musik eine besondere Intensität zu verleihen. Auch hier wird die Spannung vom Kopfsatz ins pulsierende Scherzo getragen, bevor sie sich im melodisch ausgefeilten Gesang des Adagios verliert. Die Wärme, mit welcher das Quartett die hier eingestreuten Reminiszenzen an den Klagegestus klanglich transzendiert, bildet einen frappierenden Kontrast zu den umgebenden Sätzen. Dass die Musiker dieser Stimmung durch phasenweise Veränderung der Tongestaltung auch im Finale Präsenz verleihen, obgleich Mendelssohn dort erneut in den zerrissen-erregten Duktus des Beginns verfällt, gehört zu den großartigsten Momenten dieser feinen und detailversessenen Wiedergabe.
Zwischen den beiden großformatigen Streichquartetten hat das Escher String Quartet wie im zweiten Teil seiner Einspielung zwei der vier Stücke aus Mendelssohns op. 81 – das Capriccio e-Moll op. 81 Nr. 3 (1843) und die Fuge Es-Dur op. 81 Nr. 4 (1827) – platziert. Hier lassen sich die interpretatorischen Qualitäten und Gestaltungsfähigkeiten des Ensembles noch einmal auf engstem Raum bewundern: Das Capriccio wird zum kontrastreichen, stimmungsvoll schwankenden Gebilde, dessen Spannung sich nach einem ruhigen Einleitungsteil in einem fast schon zornig anmutenden fugierten Abschnitt entlädt. Die Es-Dur-Fuge wiederum erklingt, ganz dem lyrischen, voller Zartheit steckenden Ausdruck verpflichtet, als ruhig atmende kontrapunktische Konstruktion voller wechselnder melodischer Intensitäten. Kein Zweifel: Hier ist dem Escher String Quartet ein denkwürdiger Abschluss seiner außergewöhnlichen Trilogie mit Mendelssohns Quartettschaffen gelungen.
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Mendelssohn-Bartholdy, Felix: Streichquartette vol.3 |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
BIS Records 1 03.08.2016 |
Medium:
EAN: |
SACD
7318599921600 |
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Mendelssohn Bartholdy, Felix |
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BIS Records Most record labels begin with a need to fill a niche. When Robert von Bahr founded BIS in 1973, he seems to have found any number of musical niches to fill. The first year's releases included music from the renaissance, Telemann on period instruments, Birgit Nilsson singing Sibelius and works by 29 living composers - Ligeti and Britten as well as Rautavaara and Sallinen - next to Purcell, Mussorgsky and Richard Strauss. A musical chameleon was born, a label that meant different things to different - and usually passionate - devotees. Mehr Info... |
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